Corona in Osteuropa: Slivovic desinfiziert
Pflaumenschnaps soll gegen Corona helfen. Glaubt ein serbischer Arzt. Das Gesundheitssystem auf dem Balkan allerdings ist total krank.
Und jetzt dies: Seitdem der Virologe Dr. Jovan Adamovski vor sechs Wochen das hochprozentige Produkt in einem Artikel in einer wissenschaftlichen Zeitung als Heilmittel gegen Corana angepriesen hat, ist der Export des Getränks in die EU um 115 Prozent hochgeschnellt. Auch China hat schon Kontingente bestellt. Präsident Vucic will bei seinem Chinabesuch am 15. März Sliva den Chinesen noch schmackhafter machen.
In seltsamen Kontrast zu dem Optimismus des Präsidenten steht allerdings, dass Serbien nun auch Einreiseerschwernisse für Menschen aus Italien, Frankreich und Teilen der Schweiz erlassen hat – in der Schweiz wohnen 75.000 Serben, die oftmals zum Heimaturlaub kommen. Bald werden wohl Ausländer aus anderen EU-Ländern und Deutschland wie schon in Bosnien und Herzegowina nach der Einreise für 14 Tage in die Quarantäne gehen müssen.
Die Behörden in den beiden Teilrepubliken – zuerst in der serbischen Teilrepublik und seit vorgestern auch in der bosniakisch-kroatischen Föderation- haben sich zu dieser drastischen Maßnahme gezwungen gesehen. Zwar sind bis Mittwoch nachweislich erst 11 Menschen in Bosnien an Corona erkrankt, doch man zog in beiden Landesteilen die Reißleine. Denn allen Beteiligten ist klar, dass angesichts des ohnehin schon kollabierenden Gesundheitssystems die Zunahme von Krankheitsfällen nicht mehr kontrolliert werden könnte.
Kliniken sind kaputtgewirtschaftet
Denn nach dem Zerfall Jugoslawiens in den 90er Jahren haben die Nachfolgestaaten das einstmals vorbildliche staatliche Gesundheitssystem kaputtgewirtschaftet. In den Kliniken fehlt es an allem, nicht nur an Medikamenten, an Reinigungsmitteln und natürlich an Personal. In den vergangenen Jahren haben in fast allen Nachfolgestaaten geschätzt mindestens 50 Prozent der ÄrztInnen und Krankenschwestern das staatliche System verlassen. Viele MedizinerInnen und Krankenschwestern gingen in die EU oder heuerten bei den Privatkliniken an. Die haben zwar einen durchaus akzeptablen Standard, aber die Behandlungen dort sind für Normalbürger unerschwinglich. Zudem sind die staatlichen Kliniken in einem erbärmlichen baulichen Zustand. Wo sollen Leute untergebracht werden, die in die Quarantäne gehen müssen? Darauf ist man überhaupt nicht vorbereitet.
In allen Westbalkanstaaten bis auf Slowenien und teilweise Kroatien fehlt es an Schutzkleidungen für das Personal. Seitdem sich Deutschland weigert, Schutzkleidungen und Mundschutz außerhalb der EU zu exportieren, sind Serbien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Kosovo, Nordmazedonien und Albanien der auf sie zurollenden Corona-Epidemie fast schutzlos ausgeliefert.
Das erklärt die drastischen Maßnahmen an den Grenzen. Aber wie überall auf dem Balkan ist damit zu rechnen, dass es immer „Möglichkeiten“ gibt, die strengen Erlasse zu umgehen. Um staatliche Präsenz zu zeigen, werden jetzt – wie in der bosnischen Industriestadt Tuzla – sogar Waren in Lebensmittelläden mit Desinfektionsmitteln besprüht. Wer denkt da eigentlich an das Gift, das in diesen Mitteln enthalten ist?
Dieser Aktionismus soll den Leuten wohl Vertrauen in die staatliche Fürsorge einflößen. Doch fast allen sei klar, dass das nur die Schwächen des Systems offenbart, erklärte ein anonymer Arzt aus dem Kosevo-Krankenhaus in Sarajevo. Kritik am System sei unerwünscht. So ist mit einem weiteren Ansteigen der Corana-Fälle zu rechnen.
In Kroatien fürchtet man zu Recht um die Tourismussaison, der Haupteinahmequelle des Landes. Die bisher 19 Corona-Fälle traten vor allem im Norden und in Istrien auf. In Dalmatien dagegen ist bisher noch kein Fall bekannt. Was nicht heißt, dass es sie nicht gibt. Die Fähre nach Italien wurde vorgestern eingestellt.
Der Autor dieses Textes, der als Deutscher nicht nach Sarajevo reisen darf, wartet auf einer dalmatinischen Insel zusammen mit Nachbarn, isst Knoblauch und trinkt Sliva.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Ineffizienter Sozialstaat
Geteilte Zuständigkeiten
Gesetzentwurf aus dem Justizministerium
Fußfessel für prügelnde Männer
Europarat beschließt neuen Schutzstatus
Harte Zeiten für den Wolf