Corona in Kenia: Virus macht krank, Armut tötet
Unter Tagelöhnern in Kenias Hauptstadt grassiert die Sorge, wovon man leben soll, wenn Corona sich weiter ausbreitet. Schon jetzt gibt es kaum Arbeit.
Mwongela ist einer der vielen Menschen, die täglich die übervollen Satellitenstädte von Nairobi auf dem Weg zur Arbeit in der Metropole verlassen: Friseure, Hausangestellte, Mechaniker, Busfahrer. „Ich kam vor einem Jahr nach Nairobi, um Arbeit zu suchen, weil es zu Hause keine Jobs gibt“, erzählt er. „Mein Bruder ist Automechaniker, er wohnt zur Miete in einem Zimmer in Ongata Rongai, und ich teile das mit ihm. Aber es gibt kaum Arbeit. Ich überlege jetzt, zu meinen Eltern in Ukumbani zu fahren. Die haben jedenfalls einen Gemüsegarten und ein paar Schafe.“
Die Eltern leben weit außerhalb, auf einem Hügel weit entfernt vom nächsten Dorf. Mwongela hofft, dass das Coronavirus nicht so weit kommt. Er hat große Angst. Als am Freitag, den 13. März bekannt wurde, dass in Ongata Rongai eine kenianische Studentin, gerade zurückgekehrt aus den USA, positiv getestet worden war, schlug die Panik zu. Wer es sich leisten konnte, fing an zu hamstern. Andere schickten Kinder und Senioren zu Verwandten aufs Land.
Kenias Gesundheitswesen ist auch in normalen Zeiten unzureichend. Das Pflegepersonal des Mbagathi-Krankenhauses in Nairobi, nach Angaben der Regierung speziell ausgerüstet für Coronafälle, befindet sich in einem Bummelstreik. Die Forderung: bessere Schutzkleidung und mehr Coronatests. Nur Menschen mit Symptomen, die sich melden, werden derzeit getestet. Die meisten Kenianer haben aber kein Geld für einen Arzt. Sie werden nie offiziell wissen, ob sie Corona hatten oder etwas anderes.
„Ich bin machtlos“
Ein Schönheitssalon wollte daran verdienen und bot Coronatests auf Facebook an. Kurz danach kam die Polizei und verhaftete alle Angestellten, weil Schwindel vermutet wurde. Schon gleich nach der Ankündigung des ersten Coronafalls machten Witze die Runde darüber, wer sich daran wohl bereichern werde.
James Kiarie wird aber nur verlieren. Der 47-Jährige lebt normalerweise von den Touristen. Er bietet am Straßenrand aus Holz geschnitzte Tiere an, vor allem Vögel. „Seit der erste Fall bekannt wurde, habe ich nichts mehr verkauft. Aber ich gebe noch nicht auf. Vielleicht möchten Kenianer so etwas auch kaufen, um sich aufzuheitern in trüben Zeiten.“
Kiarie pendelt aus Kiambu, einem Städtchen nördlich von Nairobi. „Es macht Angst, in einem Matatu (Kleinbus) hierher reisen zu müssen. Die sind normalerweise übervoll und dreckig. Aber heute gab es viel weniger Passagiere“, sagt der Witwer. Er sorgt sich um seine zwei Söhne, die ihm beim Anmalen der Holztierchen helfen: Sie sind erwachsen, aber haben keine Arbeit. In Kiambu hat er einen kleinen Gemüseacker mit ein paar Bananenstauden. Trotzdem macht er sich große Sorgen über die Zukunft: „Ich bin machtlos und kann nur beten, dass wir diese Plage überstehen.“
Viel beten – das tun auch die Putzfrauen und Gärtner, die aus Ongata Rongai ins benachbarte Mittelklasseviertel zur Arbeit gehen. Sie haben alle beschlossen, die vier Kilometer zur Arbeit zu laufen, weil sie Matatus jetzt zu riskant finden. Ihre Arbeitgeber haben ihnen Videos gezeigt, wie man sich die Hände intensiv wäscht, und so viel wie möglich aufgeklärt über das Virus.
Selbstisolation unmöglich
„Ich bilde mir überall ein, das Coronavirus zu sehen, obwohl ich nicht weiß, wie es aussieht. Ich habe solche Angst“, sagt das Kindermädchen Alice Omwakwe (37). „Ich habe selbst zwei kleine Kinder, und meine Schwester passt auf sie auf, wenn ich arbeite. Aber was wird geschehen, wenn wir vielleicht nachher nicht mehr aus dem Haus gehen dürfen? Werde ich dann noch bezahlt?“
Ein Drittel der Kenianer, ungefähr 17 Millionen Menschen, leben in Städten. Davon wohnen etwas mehr als die Hälfte in Armenviertel oder in Orten wie Ongata Rongai, wo die Einkommen niedrig und die Menschen nicht versichert sind. Selbstisolation ist für sie kaum möglich, weil sie ohne Gehalt nicht überleben können.
Das Kindermädchen redet mit ihrer Cousine Zamu Mwangale, Putzfrau im Nachbarhaus. Die lebt allein mit ihrer kranken Tochter, die oft ins Krankenhaus muss. „Sie bekommt dort wöchentlich Spritzen. Was ist, wenn dort jemand kommt, der mit Corona infiziert ist? Wenn selbst Amerika und Europa dieses Virus nicht bezwingen können, dann sind wir hier doch vollkommen hilflos.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative