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Corona in IsraelHausgemachtes Chaos

Judith Poppe
Kommentar von Judith Poppe

Israel droht der zweite totale Lockdown. Grund für die hohe Zahl der Neuinfektionen ist Netanjahus Zickzackkurs.

Morgengebet mit Abstand. Die Ultraorthodoxen in Israel trifft die Coronakrise besonders schwer Foto: Oded Bality/ap

I srael befindet sich in der vielleicht tiefsten innenpolitischen Krise seit Gründung des Staates. Die Corona-Infektionszahlen schießen in die Höhe. Bis zu 4.000 positive Testergebnisse wurden in der letzten Woche fast jeden Tag gemeldet, umgerechnet auf deutsche Dimensionen wären dies annähernd 40.000 täglich. Wirtschaftlich liegt das Land am Boden. Beinah jedeR achte Israeli ist ohne Arbeit. Die Krankenhäuser schlagen Alarm; sollten die Zahlen nicht bald sinken, drohen sie, keine neuen Fälle aufnehmen zu können.

Regierungschef Benjamin Netanjahu, der in drei Korruptionsfällen angeklagt ist, hat mit seinen Kampagnen gegen das Justizsystem, gegen die Polizei und die Medien das politische ­System destabilisiert. Nun, wo es wirklich drauf ankommt, ist es nicht ­funktionstüchtig. Die Koalition von Netanjahus Likud und dem liberaleren Ex-Generalstabschef Benny Gantz ist wohl die ­ohnmächtigste, die das Land je gesehen hat.

Der Zickzackkurs der Regierung in der Coronakrise führte dazu, dass sich kaum jemand noch an die von der Regierung erlassenen Regeln hält. Riesige Feiern und Hochzeiten finden überall im Land statt. Geschäftsinhaber*innen und Restaurantbesitzer*innen kündigten an, einem Lockdown, sollte er in Kraft treten, nicht Folge zu leisten.

Am Sonntagnachmittag ist nun auch noch der ultraorthodoxe Wohnungsbauminister Yaakov Litzman aus Protest gegen den geplanten Lockdown zurückgetreten. Damit hat sich der einzige politische Partner, der Netanjahu geblieben war, aufgrund von Druck aus seiner eigenen Community von ihm abgewandt. Es sieht nicht nur für das Land düster aus, sondern auch für Netanjahu.

Netanjahu flieht zur Unterzeichnung der Normalisierungsverträge mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain nach Washington ins Blitzlichtgewitter. Er will sich für außenpolitische Erfolge feiern lassen. Was das Land jetzt bräuchte, ist eine lösungsorientierte Politik, die nicht von persönlichen Interessen geleitet ist. Solange Netanjahu das Steuer in der Hand hält, bleibt das wohl Illusion.

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Judith Poppe
Auslandsredakteurin
Jahrgang 1979, Auslandsredakteurin, zuvor von 2019 bis 2023 Korrespondentin für Israel und die palästinensischen Gebiete.
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