Corona in Flüchtlingsunterkünften: Dem Virus wehrlos ausgeliefert
In mindestens sieben Flüchtlingsheimen in NRW grassiert das Coronavirus. Das Ansteckungsrisiko ist dort noch größer als auf Kreuzfahrtschiffen.

In den Landesunterkünften in Sankt Augustin, Euskirchen, Marl, Bonn, Bad Driburg und Neuss sind mindestens 226 Bewohner*innen an Covid 19 erkrankt. 152 von ihnen leben in der „Zentralen Unterbringungseinrichtung“ (ZUE) Sankt Augustin, allein dort kommen mindestens zehn erkrankte Mitarbeiter*innen dazu. Dieses Heim und die Unterkunft in Marl stehen unter Vollquarantäne.
Wie die Landtagsopposition aus SPD und Grünen fordert auch Naujoks, zumindest Angehörigen von Risikogruppen schnellstmöglichst Unterkünfte bereitzustellen, die sie vor Corona schützen. FDP-Flüchtlings-und Integrationsminister Joachim Stamp hätte „schon vor Wochen dafür sorgen müssen, dass besonders ältere oder Menschen mit Vorerkrankungen schnell verlegt werden“, sagt Berivan Aymaz, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion. Nach Angaben von Stamps Ministerium zählen aktuell 842 der insgesamt rund 11.500 Menschen in den Flüchtlingsheimen des Landes zur Risikogruppe.
„Eine Zumutung“ seien die „Massenunterkünfte“ aber auch für Jüngere und nicht Vorerkrankte, sagt Ibrahim Yetin, integrationspolitischer Sprecher der SPD im Düsseldorfer Landtag. „Abstand zu anderen oder Selbstisolation“ seien dort „nicht umzusetzen“. Zumindest mittelfristig müssten die Geflüchteten dezentral untergebracht werden, fordern Aymaz und Yetim deshalb.
Testen will die Landesregierung lieber nicht
Der 2019 lange vor Corona beschlossene „Asylstufenplan“ von Minister Stamp sieht dagegen vor, dass Schutzsuchende bis zu 24 Monate in den beengten Sammelunterkünften ausharren müssen. „Mit Corona ist die Verteilung auf Städte und Gemeinden komplett gestoppt worden“, kritisiert auch Birgit Naujoks vom NRW-Flüchtlingsrat – „mit der Begründung, die Kommunen zu entlasten. An die Geflüchteten hat niemand gedacht“.
Kurzfristig müssten die Menschen in den Unterkünften zumindest regelmäßig und flächendeckend auf das Corona-Virus getestet werden, fordern die Fraktionsvorsitzenden von Grünen und SPD, Monika Düker und Thomas Kutschaty, außerdem. „Überall dort, wo Menschen eng miteinander zusammenkommen, müssen regelmäßige Tests an der Tagesordnung sein“, so Kutschaty zur taz. „Das gilt natürlich auch für Flüchtlingsunterkünfte.“
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) gibt sich dagegen zurückhaltend. Über generelle Tests wolle er „noch ein bisschen nachdenken“, sagte er im WDR – dabei wird die in NRW zur Verfügung stehende Kapazität von wöchentlich rund 181.000 Untersuchungen längst nicht ausgeschöpft: Durchgeführt werden pro Woche nur etwa 80.000 Tests.
Skeptisch gibt sich auch Integrationsminister Stamp. Coronatests seien „immer nur eine Momentaufnahme“, heißt es aus seinem Ministerium. Verwiesen wird stattdessen auf ein „Unterbringungs- und Verteilungskonzept“, das in der Corona-Pandemie erarbeitet worden sei. So seien Jugendherbergen mit zusätzlichem Platz angemietet worden. Außerdem seien „Quarantänebereiche für Infizierte“ vorgesehen und es solle auf Abstandsregelungen und die Hust- und Niesetikette hingewiesen werden. Allerdings hätten die zuständigen Bezirksregierungen „vor Ort nicht alles zeitgleich umsetzen können“, räumt ein Sprecher Stamps ein.
Abstandhalten im Mehrbettzimmer unmöglich
Dabei ist besserer Schutz längst überfällig. Nach einer bisher unveröffentlichten Studie der Universität Bielefeld ist das Corona-Infektionsrisiko in Flüchtlingsheimen noch größer als auf Kreuzfahrtschiffen, die vor ihrer Stilllegung als Hotspots der Pandemie galten. Danach dürfte ein Infizierter in einer Geflüchteten-Unterkunft 20 Prozent der übrigen Bewohner*innen anstecken – ein Schiffspassagier dagegen nur 17 Prozent der Mitreisenden.
Der Grund dafür ist simpel: „Abstandhalten zu Personen, die nicht demselben Haushalt angehören, ist in engen Mehrbettzimmern unmöglich. Ebenso müssen sich viele Menschen Sanitäreinrichtungen und Küchen teilen“, so der Mediziner Kayvan Bozorgmehr, der die Bielefelder Studie verantwortet. „Die Bedingungen befördern eine Ausbreitung.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!