Corona-Virus in New York: Tauge ich zur Einsiedlerin?

New York ist das Epizentrum der Corona-Pandemie in den USA. Alle huschen wie Schatten aneinander vorbei, die Straßen sind wie leergefegt.

Polizisten mit Mundschutz in New York.

New York im Ausnahmezustand: Fast alle sind vermummt Foto: Mark Lennihan/ap

NEW YORK taz | Mein Lieblingsbriefträger trägt endlich Handschuhe. Bloß sein rechter Zeigefinger schaut nackt aus dem blauen Latex hervor. „Sie geben uns nur zwei Paar pro Tag“, sagt er. Hunderte seiner Kollegen in New York sind mit dem Virus infiziert. Manche Straßen kriegen seit Tagen keine Post mehr.

Ich brauche allmählich meine Essenreserven auf. Ersetze Butter durch Kokosöl. Nähe Masken aus alten taz-T-Shirts. Mache Sport im Wohnzimmer. Beruhige meine Freunde, die sich nach Horrormeldungen aus New York in Wellen melden. Recherchiere per Telefon und Computer. Und bin erstaunt über meine Selbstgenügsamkeit. Vielleicht tauge ich für das Leben als Einsiedlerin?

Die Wohnung verlasse ich nur noch am Mittwoch. Dann hole ich frisches Gemüse, das direkt vom Bauernhof kommt. Es wird an einem Tisch unter einer Zeltplane an einer der lautesten Kreuzungen von Harlem verteilt. Gewöhnlich hallen dort das Bremsenquietschen der Vorstadtbahn und das Hupen von Autos auf der 125th Street durcheinander. Jetzt ist selbst der Himmel still, weil kaum noch ein Flugzeug La Guardia anfliegt.

Jemand hat mit Kreide regenbogenfarbene Markierungen auf den Asphalt gemalt, damit wir sechs Fuß Abstand halten. Sobald ich mein Gemüse bezahlt habe – mit Kreditkarte, Bargeld ist zu gefährlich –, werde ich weggewunken. Wir sind fast alle vermummt, manche tragen zusätzlich ein Schutzvisier. „Hast du einen Quarter?“, fragt ein junger Mann. Wovon leben die Bettler jetzt?

In meinem Block (zwischen Malcolm X und der Fifth Avenue) gibt es Vorgärten, Mäuerchen und Stufen zu den Hauseingängen, wo Nachbarn zusammenkommen. Aber jetzt huschen sie wie Schatten durch. Nur die Obdachlosen halten sich noch auf der Straße auf. „Alles okay?“, ruft mir am Morgenmorgen einer von ihnen zu, wenn ich mein Fenster hochschiebe. Im Epizentrum der Pandemie ist ein Fenster, das sich öffnet, ein Ereignis. Ich bin ihm dankbar, wenn er mir einen „gesegneten Tag“ wünscht. Ich weiß, dass ich bis zum Abend, wenn ich um 19 Uhr für ein paar Minuten lang Lärm mit Nachbarn mache, nur am Telefon kommunizieren werde.

Als Trump Europäern die Einreise verboten hat, weil das angeblich hilfreich bei der Bekämpfung des Virus ist, war ich persönlich gekränkt. Und jedes Mal, wenn er von einem „ausländischen Virus“ redet, denke ich daran abzuhauen. Als es schien, dass er diesen Bundesstaat vom Rest der USA abriegeln könnte, habe ich mein Rad vorsichtshalber fertig gemacht und Fluchtrouten aus Manhattan ausgedruckt. Aber ich habe hier einen Job, einen Alltag, Freunde und eine unverstellte Sicht aus dem zweiten Stock auf eine kleine Straße, auf der das Leben irgendwie weitergeht.

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