Corona-Kritik mit NS-Begriff: Der „Volkskörper“ ist zurück
Der Hamburger Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Walter Plassmann greift mit rechter Wortwahl die Coronamaßnahmen in Deutschland an.
Zunächst hatte sich Plassmann in einem Gastbeitrag im Hamburger Abendblatt über Coronamaßnahmen in Deutschland ausgelassen. Es würden immer die denkbar dramatischsten Entwicklungen beim Verlauf der Krankheit wie bei den Ansteckungszahlen angenommen, um politisches Handeln zu begründen.
„Notwendige Relativierungen werden als ‚Verharmlosung‘ verunglimpft“, sagte Plassmann. Stattdessen würden „martialische“ Warnungen überwiegen, ob von Markus Söder (CSU), Karl Lauterbach (SPD) oder dem Virologen Christian Drosten.
Doch gerade diese ständigen „Hiobsbotschaften“ würden die Gesellschaft tatsächlich krank machen, meint Plassmann. Was für einen Menschenkörper gilt, gelte auch für ein Volk: „Permanenter Stress, ununterbrochene Aufgeregtheit und Angst schädigen Körper und Seele eines Menschen. Das ist bei einem Volkskörper und einer Volksseele nicht anders.“
Begrifflich fest an rechter Seite
Philipp Osten hat für diese Wortwahl kein Verständnis. „Der Begriff des Volkskörpers ist ideologisch besetzt“, sagt der Leiter des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin in Hamburg. Der Begriff sei klar in der NS-Zeit zu verorten. „Deshalb ist der Begriff völlig verbrannt“, sagt Osten.
Nun ist Plassmann, der seit 2013 an der Spitze der KV in Hamburg steht, keinesfalls ein Coronaleugner. Mit seiner Wortwahl jedoch steht Plassmann fest an der Seite der extremen Rechten. Schließlich ist der Begriff nicht nur aufgrund seiner spezifischen NS-Rassenideologie belastet. Gegenwärtig will besonders die AfD den Begriff wieder in den Sprachgebrauch einzuführen. Außerdem nutzte die rechtsextremene Corona-Leugnungsgruppe „Widerstand 2020“ den Begriff zuletzt.
Christian Drosten erwiderte in seinem NDR-Podcast bereits Plassmanns Attacke: „Wir dürfen nicht in der Öffentlichkeit Botschaften setzen, die da komplett kontraproduktiv sind.“
Doch obwohl es für die Wortwahl sofort Kritik hagelte, fühlte sich Plassmann, der die Interessen der Vertragsärzt*innen als KV-Vorsitzender vertritt, jetzt bemüßigt, seine Äußerungen zu verteidigen. Vom Magazin Focus ließ er sich befragen, wie er die Kritik an seinen Äußerungen wahrgenommen habe.
Dabei meint er einen „Verfall der Debattenkultur“ beobachtet zu haben und glaubt, von einer Cancel Culture umgeben zu sein. Statt auf Kritik einzugehen, würde mittlerweile nur „der Daumen gehoben oder gesenkt“.
„Das ist der übliche Versuch, sich von vornherein gegen Kritik zu immunisieren“, sagt der Göttinger Politikwissenschaftler Michael Lühmann. Dieses „populistische Spiel“ sei zwar nicht neu, aber gegenwärtig vermehrt in Coronadebatten zu beobachten.
Plassmann argumentiert, dass seine Erkenntnis erst im Verlauf der Pandemie entstanden sei. Dabei gab er schon Mitte März, zum Zeitpunkt steigender Fallzahlen in Deutschland, der Zeit ein Interview, in dem er das Virus als kaum gefährlicher als andere Viren einschätzte.
Ärztekammer hält sich zurück
Nun ist Plassmann allerdings selbst kein Mediziner. Bevor er über die Krankenkassen-Branche bei der KV landete, war er journalistisch tätig. Unter anderem ist er Autor des Buchs „Die Kanarischen Inseln sehen und erleben“, in dem es um die Geschichte und Sehenswürdigkeiten der Inselgruppe geht.
Pedram Emami, Präsident der Hamburger Ärztekammer und damit oberster Berufsvertreter der niedergelassenen wie angestellten Ärzt*innen, hält sich mit Kritik am KV-Chef zur Volkskörper-Wortwahl zurück. „Der Begriff ist unglücklich gewählt, aus der persönlichen Kenntnis heraus würde ich das aber nicht überbewerten“, sagt Emami.
Dass Plassmann eine falsche Debattenkultur beklagt, sei aber richtig: „Der Ton wird auf allen Seiten gegenwärtig immer aggressiver – das mindert die Akzeptanz der Maßnahmen.“
Plassmann äußerte sich zu seiner Wortwahl gegenüber der taz bis Redaktionsschluss nicht. Er ist laut KV momentan im Urlaub.
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