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Corona-Hilfen für Lockdown-BetriebeLob der Gießkanne

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Manche Unternehmer kriegen zu viel Corona-Hilfen, andere zu wenig. Das Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit ist aufwändig – besser ist das der Gießkanne.

Was damals den Gastwirten zu wenig gezahlt wurde, wird nun obendrauf gelegt Foto: Oliver Berg/dpa

D a kann Neid aufkommen: Die staatlichen Corona-Hilfen fallen im November und Dezember so großzügig aus, dass manche Gastwirte oder Konzertveranstalter im Lockdown mehr Geld erhalten dürften, als sie im Normalbetrieb verdienen würden. Geld fürs Nichtstun – das hätte jeder gern.

Es geht um stattliche Summen: Wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ausgerechnet hat, gibt der deutsche Staat etwa 10 Milliarden Euro mehr aus, als eigentlich nötig gewesen wären. 30 Milliarden Euro sind jetzt eingeplant, um die Lockdown-Opfer zu entschädigen – 20 Milliarden hätten wahrscheinlich auch gereicht.

Die IW-Forscher argumentieren mit denkbaren Einzelfällen: So gibt es beispielsweise viele Kneipen, die mit Aushilfen arbeiten. Im Lockdown müssen diese Kräfte natürlich nicht bezahlt werden. Die Betriebe sparen also bei den Kosten, bekommen aber trotzdem 75 Prozent ihres Umsatzes aus dem Vorjahresmonat erstattet. Zurück bleibt ein zusätzlicher Gewinn, der auf Staatskosten erzielt wird.

Die IW-Forscher wenden somit das Prinzip der „Einzelfallgerechtigkeit“ an, das bei den Deutschen generell hoch im Kurs steht – ganz egal, worum es gerade geht. Die Idee ist: Jeder soll stets punktgenau das bekommen, was ihm oder ihr zusteht. Dieses Prinzip erklärt auch, warum etwa die Einkommenssteuererklärung hierzulande so kompliziert ist: Statt einfach großflächig Pauschbeträge vorzuschreiben, wird in Deutschland jede Handwerkerrechnung einzeln abgesetzt. In vielen anderen Ländern wäre das undenkbar.

Der deutsche Hang zur Einzelfallgerechtigkeit ist bereits im Normalbetrieb ziemlich aufwändig – in der Coronapandemie ist er schlicht nicht mehr durchzuhalten. Wenn erst haarklein berechnet würde, welcher Betrieb welche Kosten im Lockdown hat, würde es Monate dauern, um die Corona-Hilfen auszuzahlen. Bis dahin wären nicht wenige Firmen schon pleite.

Es ist also richtig, dass die Bundesregierung umgeschwenkt ist und neuerdings auf das „Prinzip Gießkanne“ setzt. Die Anträge lassen sich viel schneller bearbeiten, wenn nur nachzuweisen ist, wie viel Umsatz vor einem Jahr beim Finanzamt angegeben wurde.

Zudem trifft die warme Gelddusche genau die Richtigen: Die Betriebe, die jetzt im Lockdown sind, waren auch schon im Frühjahr geschlossen – damals aber war die Hilfe vom Staat kümmerlich und wurde meist nur als Notkredit gewährt. Was damals zu wenig gezahlt wurde, wird nun obendrauf gelegt. Das ist gerecht und effizient. Neid ist nicht angebracht.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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4 Kommentare

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  • Es iat ja nicht so, als hätten Restaurants, Kneipen und Co das restliche Jahr normale Umsätze verzeichnen können, insofern ist dieses "Zuviel" durchaus gerechtfertigt. Denn das Zuwenig der letzten 9 Monate muss ja auch ausgeglichen werden.

    Es wird scheinbar oft vetgessen, dass es in diesen Branchen eben nicht nur um den November und Dezember geht. Sie waren schon ein mal mehrere Wochen geschlossen und danach nur eingeschränkt offen.

  • Zitat: „Die Idee ist: Jeder soll stets punktgenau das bekommen, was ihm oder ihr zusteht.“

    Diese Idee ist so schlecht nun auch wieder nicht. Nicht einmal in Corona-Zeiten. Und dass Gerechtigkeit teuer ist, kann durchaus sein. Die Sache ist nur: Ungerechtigkeit kommt oft noch sehr viel teurer.

    Neid lässt sich schließlich nicht verbieten. Er findet vor allem im Kopf statt, und zum Kopf hat der Staat keinen Zugang (außer, er trennt ihn gewaltsam vom Körper, etwa per Ideologie oder Machete). Allenfalls die Auswirkungen unmöglicher Verbote lassen sich bekämpfen. So ein Kampf macht die Sache dann aber nicht besser sondern schlimmer. Weil sich die Neidischen dann noch ungerechter behandelt fühlen.

    Je mehr Leute neidisch sind, weil sie nicht kriegen, was ihnen prinzipiell zusteht, um so gefährlicher wird es für die Entscheidungsträger. Vor allem, wenn die Neider auch noch mit ansehen müssen, dass andere mehr kriegen, als sie bekommen dürften. Dabei gilt: Je höher die Differenz der Beträge, desto größere das Risiko, dass die Gesellschaft in lauter unzufriedene (und nicht mehr zu befriedigende) Egoisten zerfällt und sich nicht mehr wirklich regieren lässt.

    Dieser Gedanke, scheint mir, war den Eltern des Grundgesetzes noch sehr viel geläufiger als Ulrike Herrmann. Sie hätten sonst nicht darauf bestanden, dass der Staat in die Rechte seiner Bürger nur auf gesetzlicher Grundlage eingreifen kann. Dass er das irgendwann einmal nicht mal mehr hinkriegen wollen könnte, hatten sie offenbar nicht erwartet.

    Hätte der Staat geltendes Recht geachtet und nur solche Betriebe geschlossen, die nachweislich an der Verbreitung des Virus mitgewirkt haben, wäre das mit der Entschädigung leichter gewesen. Hat er aber nicht. Das Vorbild hieß schließlich China und war gar kein Rechtsstaat. Nun kann ich nur hoffen, dass nicht auch McDoof & Co. in den Genuss des warmen Geldregens kommen - oder wenigstens nicht mal die taz drüber berichtet. Wir haben nämlich schon Ärger genug.

  • Die naheliegendste, gerechteste Lösung wird von den "Volksparteien" nichtmal in Erwägung gezogen: Ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), zumindest für den Zeitraum der Corona-Krise.



    Denn wer oder was muss denn in erster Linie gerettet werden? Die Betriebe oder die Menschen?

    Mit einem bescheidenen BGE, intelligent angewandt, könnte man beides erreichen, und die Verteilung wäre auch noch wesentlich gerechter.

    Wer behauptet, das sei nicht finanzierbar, hat das Prinzip eines BGE nicht verstanden. Es geht bei den üblichen BGE-Konzepten darum, dass die Starken (Reichen) einen bescheidenen Teil ihres Vermögens abgeben für die Schwachen. Das könnte man - wenn man denn wollte - sogar komplett kostenneutral gestalten. Wer solch ein gerechtes System fordert, wird aber sofort in die Sozialisten/Kommunisten-Ecke gestellt, und die Diskussion ist beendet. Wir sind seit langem so konditioniert, dass wir dieses vordergründige Ablenkungsmanöver nicht mehr erkennen, ja dieses sogar aktiv mitspielen.

    Meine einzige Hoffnung ist, dass die Generation "FFF" dies durchblickt und dieses uralte Spiel nicht mehr mitmacht.

    Sorry, aber das musste einfach raus.

  • 0G
    02881 (Profil gelöscht)

    "So gibt es beispielsweise viele Kneipen, die mit Aushilfen arbeiten. Im Lockdown müssen diese Kräfte natürlich nicht bezahlt werden. Die Betriebe sparen also bei den Kosten, bekommen aber trotzdem 75 Prozent ihres Umsatzes aus dem Vorjahresmonat erstattet."

    Dann wär's nur fair wenn die Betriebe ihren Aushilfen auch 75% ihres (Vorjahres-) Lohns zukommen lassen.