Corona-App und Datenschutz: Datensammelfantasien
Soll die App alle möglichen privaten Daten sammeln und an Behörden geben? Diese Idee wird gerade populär. Durchdenken wir das mal kurz.
Das ging wirklich schnell. Kaum steigen die Infektionszahlen, diffundieren Vertreter:innen der Fraktion Ich-hab-nichts-zu-verbergen in die Talkshows hinein. So forderte etwa Philosophie-Professor Julian Nida-Rümelin am Sonntag bei Anne Will: Die Corona-App solle persönliche Daten sammeln und an die Gesundheitsämter weiterleiten, auf dass derart die Pandemiebekämpfung erleichtert werde.
Die Corona-App, könnte man sagen, ist das datenschutzvorbildlichste Projekt, das die Bundesregierung in den vergangenen Jahren so auf den Weg gebracht hat. Dass es nun Forderungen gibt, den Datenschutz hier runterzuschrauben, ist also erwartbar und ironisch zugleich. Als ob „informationelle Selbstbestimmung“ ein Schimpfwort wäre. Und das Erinnern daran, dass mehr persönliche Daten nicht unbedingt mehr Sinn oder mehr Handeln oder mehr Pandemiebekämpfung bringen, ein Leugnen der Schwere der Situation.
Lassen wir das Datenschutzargument kurz beiseite und sagen: Okay. Soll die Corona-App doch tracken und sammeln was das Zeug hält und die Daten direkt an die Gesundheitsämter schicken. Das ließe sich politisch so entscheiden. Zwar auf wackeligem rechtlichen Boden – aber das ist ja in der Politik nicht unbedingt ein Argument. Stellen wir uns daher vor, die Bundesregierung träfe jetzt die Entscheidung, die App entsprechend zu ändern. Was würde passieren?
Nun, zunächst einmal müsste die Architektur der App entscheidend verändert werden. Denn derzeit ist sie sehr datensparsam angelegt. Die Daten, die die Ich-hab-nichts-zu-verbergen-Fraktion gerne bei den Gesundheitsämtern sehen würde, werden noch gar nicht gesammelt. Es müssten also gute Teile der App und der dahinterstehenden digitalen Infrastuktur neu aufgebaut werden. Gemessen an der Zeit, die die App-Entwicklung im Frühjahr gebraucht hat, wäre es gut möglich, dass es schneller einen zugelassenen Impfstoff gibt als eine neu gebaute App.
Es geht um Vertrauen
Aber selbst wenn es schneller ginge: Wie kommen die frisch gesammelten Daten zu den Gesundheitsämtern? Nun, die Gesundheitsämter müssten auch an die App-Infrastuktur angeschlossen werden. Schließlich können die Daten ja nicht per Fax übermittelt werden. Hier wären also weitere Investitionen nötig, in Hardware, in Softwareentwicklung, in Schulungen. Investitionen, die auch der konventionellen Nachverfolgung gut täten, aber das nur nebenbei.
Doch die größte Hürde liegt bei den Nutzer:innen. Die Entscheidung für eine datensparsame Architektur fiel nach einer breiten öffentlichen Debatte auch über problematische, datensammelnde Nachverfolgungspraktiken in anderen Ländern. Die Bundesregierung schien schließlich zu verstehen, dass es bei einer freiwilligen App auf das Vertrauen der Nutzer:innen ankommt – und das ist eher mit Datensparsamkeit als mit Tracken und Sammeln zu gewinnen. Heißt also: Mehr Datensammelei gleich weniger Nutzer:innen. Gleich: Der vermeintliche Vorteil bei der Pandemiebekämpfung wäre schneller wieder dahin als ein Talkshowabend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid