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Corona-App im EinsatzMantel, Mütze, tanzende Dinosaurier

Unterwegs mit der Corona-App: 20 Minuten im Supermarkt: 29 IDs. Eine Stunde zu Fuß draußen: 273 IDs. Fehlen nur noch ein paar knallbunte Tiere. Oder?

Corona-App im Einsatz: sammeln von IDs bei jedem Schritt vor die Tür Foto: Hernandez and Sorokina/imago

S eit Kurzem läuft auch auf meinem Handy die Corona-App. Ehrenamtliche Ent­wick­le­r:in­nen haben mit großem Einsatz von Zeit, Arbeitskraft und Gehirnwindungen die App und vor allem die zugehörige Schnittstelle nachgebaut für all jene, die auf Google-Dienste auf ihrem Telefon verzichten wollen. Seitdem ist beim Rausgehen neben dem Pandemiewinterdreiklang – Mantel, Mütze, Maske – noch etwas dazugekommen: Bluetooth an, damit die App die Abstände zu anderen App-Nutzer:innen messen kann.

Jetzt gibt es nur ein Problem. Denn wenn ich wieder nach Hause komme und Bluetooth aus Akkuspargründen ausschalte, zeigt mir die App an, wie viele IDs sie in den vergangenen 60 Minuten und am gesamten Tag gesammelt hat. IDs, das sind die wechselnden, sehr wilden Buchstaben-Zahlen-Kombinationen, die alle Geräte mit der Corona-App per Bluetooth durch die Gegend schicken. Und die auch mein Gerät einsammelt, wenn wir uns näher als ungefähr acht Meter kommen. Das sieht etwa so aus: 20 Minuten im Supermarkt, früh morgens: 29 IDs. Anderthalb Stunden auf dem Spielplatz: 50 IDs. Eine Stunde zu Fuß unterwegs: 273 IDs. Mal kurz zum Briefkasten: 135 IDs – krass, was war da los? Würden zwischendurch, wenn man genügend IDs gesammelt hat, ein paar knallbunte Tiere mit hohem Niedlichkeitsfaktor auftauchen, die man gegeneinander kämpfen lassen kann, man wäre schon fast in einer Spiele-App.

Irgendwo ist das wohl einprogrammiert im Menschen: je mehr, desto besser. Wie, du warst einkaufen und bringst nur 15 IDs mit? Dabei wären weniger IDs besser. Weniger Menschen ist gleich weniger Infektionsgefahr. Deshalb gibt es schon seit Monaten Stimmen, die fordern, ein bisschen Gamifikation in die App zu bauen. Also ein paar spielerische Elemente, die Menschen dazu motivieren, sich im Sinne der Kontaktreduktion möglichst weit von allen anderen fernzuhalten. So nach dem Motto: Mehr als 700 IDs heute? Das gibt eindeutig eine rote Ampel. Nur 6? Grünes Licht, ein tanzender Dinosaurier, super, weiter so.

Das Problem ist: Wie soll das bei dem Kita-Erzieher ankommen, der mit dem Bus zur Arbeit fahren muss? Bei der Ärztin im Krankenhaus? 1.473 IDs am Tag – und dann erscheinen ein unglücklich schauender Jens Spahn und ein freundlich gemeinter Hinweis in der App, dass doch alle angehalten sind, ihre Kontakte zu reduzieren. Die würden das Ding doch sofort vom Telefon runterschmeißen – und zwar zu Recht.

Kürzlich schaute ich nach dem Auspacken der gerade getätigten Einkäufe auf mein Telefon und das zeigte: 0 IDs. Wie jetzt? Keine anderen App-Nutzer:innen unterwegs gewesen? App kaputt? Bluetooth-Einheit geschreddert? Pandemie vorbei? Dann fiel mir auf: Nein, alles wie immer. Telefon zu Hause vergessen.

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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3 Kommentare

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  • Bluetoothimlementationen, die noch in 100 Meter Entfernung Kontakte aufzeichnen, taugen nur für eins: IDs sammeln. Sonst für nichts.

  • Mich würde statt irgendwelcher IDs (die ich noch nie gesehen habe) tatsächlich interessieren, WO und WANN ich ggf. eine Risikobegegnung hatte. Ich brauche keine Namen, aber Ort und Zeit, damit ich ggf. selbst überlegen kann, ob ich jemanden fragen oder andere darauf hinweisen sollte.

    • @fly_by_night:

      Aus Datenschutzgründen sollen Sie ja gerade nicht erfahren, wann der Kontakt mit einem Infizierten stattgefunden hatte, um keine Rückschlüsse auf die Person zu ermöglichen.