Comic über Job an der Hasskommentarfront: Kaffeepause vom Volkszorn

Freischalten, Ablehnen, Sortieren: Kathrin Klingners Comicfigur Kitty kämpft sich in einer Hamburger Internetklitsche durch Hass und Gewaltfantasien.

Ein gezeichneter Computer, auf dessen Bildschirm 574 zu beaarbeitende Kommentare angezeigt werden, daneben eine Kaffeetasse

Das Tagwerk kann beginnen: Klickjob in der Internetklitsche Foto: Kathrin Klingner

Schwer zu sagen, wann genau Zensor*innen vom Inbegriff der Kultur- und Demokratiefeindlichkeit zu den Guten geworden sind. Sicher ist aber, dass es am Internet lag. Heute gilt es zu Recht als progressiv, Leute konsequent wegzublocken, deren Gerede und deren Hass eine*n nur mürbe machen. Genauso richtig ist auch, dass aus den Kommentarspalten großer und kleiner Medien der Dreck gelöscht wird, der täglich hunderttausendfach Menschenwürde verletzt – der rechte Mehrheiten suggeriert und sie damit vielleicht irgendwann auch erschafft.

Für Sprach- und Politikwissenschaftler*innen ist das interessant, für politischen Aktivismus eine noch unbewältigte Herausforderung. Und für Kitty, die für verschiedene Onlinemedien als ausgelagerte Kommentarmoderatorin in einer Hamburger Internetklitsche arbeitet, ist Zensur vor allem ein okay bezahlter Job.

Kitty ist eine Comicfigur, ihre Geschichte aber mehr oder weniger echt. Die Hamburgerin Künstlerin Kathrin Klingner hat selbst in so einer Firma gearbeitet und ihre Erfahrungen in den kürzlich bei Reprodukt erschienenen Comic „Über Spanien lacht die Sonne“ einfließen lassen – auch wenn der keine ausdrückliche Autobiographie ist.

Die moralische Frage nach Zensur stellt sich dort übrigens nicht, oder nur zwischen den Zeilen und Panels. „Wir lesen hier den ganzen Kram, den Leute im Internet schreiben“, erklärt Kittys Chef eher lapidar beim Vorstellungsgespräch, „damit es der Rest der Welt nicht tun muss“.

Zensieren als technische Angelegenheit

Und für die Hauptfigur und ihre Kolleg*innen ist das Zensieren dann tatsächlich eine technische Angelegenheit zwischen Freischalten, Ablehnen und Sortieren: Das Kürzel „OT“ steht für off topic, „FR2“ für rassistische Beleidigungen, „GFA“ für Gewaltfantasien und so weiter. Kittys Geschichte spielt 2015, auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingswelle, und man kann sich vorstellen, wie und womit Kittys Moderationsagentur in diesen Zeiten zu tun hat. Bei bester Laune allerdings.

Klingners Figuren sind grob gezeichnet, wirken skizziert und verfremdet. Manche sind Tiere, andere nicht. Wie bereits im Vorgänger „Katze hasst Welt“ (Mami Verlag/Reprodukt) folgt das keinem offensichtlichen System, die Geschichten sind keine Fabeln und auch sonst nicht wirklich metaphorisch – die Tiergesichter scheinen eher ein spielerisches Umgehen damit zu sein, dass in Sachen Identität heute alles nicht mehr so einfach ist.

„Über Spanien lacht die Sonne“ handelt von einem Balanceakt, oder von gleich mehreren: zwischen Beruf und Freizeit, zwischen Ex-Partner und neuen Flirts, zwischen Politik und Klickjob. Viel wird nur angedeutet. Es braucht auch keinen vollständigen Satz, um zu kapieren, was etwa bei „Hans­joerg“ aus der Kommentarspalte los ist. „Ich bin dafür, hilfebedürftige Menschen zu unterstützen“, schreibt er, „aber ganz ehrlich...“ – und nach so einem Einstieg ist auch wirklich ganz egal, wie es weitergeht. Kitty liest es trotzdem und erfährt so noch ein paar Details zu Hansjoergs Ansichten über den Islam.

Klingners Comic ist kein verbittertes Lehrstück über den Rechtsruck, sondern eine Einladung zu einem Perspektivenwechsel

Im Comic ist das eine Seite unter vielen. Auf der nächsten schreibt User „Ostwind“ was über Sachsen, danach beschwert sich „Wusel33“ darüber, dass er von der „Systempresse“ ständig und selbstverständlich zu Unrecht als rechts beschimpft werde. Auf je sechs Panels pro Job ist Kitty fast regungslos am Monitor zu sehen. Ihr Katzengesicht hat sich seit dem letzten Band verändert: besteht heute nur noch aus vier Ovalen und einem Strich: Hasenohren, -augen und ein Mund, die allerdings erstaunlich dynamische Mimik aufs Papier bringen.

Manchmal deutet sich beim Lesen der beknackteren Kommentare ein Lächeln an, mal gähnt Kitty offensichtlich und greift zur Kaffeetasse. Es hat tatsächlich etwas sehr Schönes und irgendwie Ermutigendes, wie die abstrakte und belanglos-menschliche Reaktion das pegidistische Rauschen einfach mal so beiseite schiebt.

Moderatorinnen werden zum Hassobjekt

Echte Vollnazis bleiben die Ausnahme und sind für zumindest diese Geschichte auch gar nicht weiter wichtig. Will man „Über Spanien lacht die Sonne“ politisch lesen, geht es eher um eine Gesamtgesellschaft am Computer: erschreckend normale Menschen, denen im Internet weltgeschichtlich erstmals eine Möglichkeit zur Verfügung steht, vorbei an Staat und Redaktionen große Öffentlichkeit mit ihrem Zeug zu erreichen. Und weil ihnen genau das nun wieder streitig gemacht wird, werden auch die Moderator*innen selbst zum Hassobjekt.

„Ich wünsche euch weiterhin fröhliches Zensieren, ihr elendigen Unheilsbringer“, schreibt Lord of Winterfell, „Ich hoffe ihr verreckt.“ Den Gefallen tut ihm keiner. Dass Kitty aber trotzdem nicht völlig unbeschadet rauskommt aus der Nummer, liegt nicht an den sich kriegerisch gebenden Kommentierern, sondern daran, dass Moderation eben Lohnarbeit ist und die Welt außerhalb des Internets noch ganz andere Gemeinheiten auf Lager hat.

Wahrscheinlich ist auch gerade das der Punkt: Kathrin Klingners Comic ist kein verbittertes Lehrstück über den Rechtsruck der Volksgemeinschaft, sondern eine ausgesprochen sympathische Einladung zu einem Perspektivenwechsel: weg vom stumpfsinnigen Hassmob und hin zu Strategien, damit umzugehen. Gemeint ist weniger das professionelle Löschen der schlimmsten Ausbrüche, als vielmehr die Kaffee- und Raucherpausen jenseits der Monitore.

Das hat wirklich Seltenheitswert: eine Abrechnung mit Internetschreihälsen, die dabei weder das Netz verteufelt, noch das Offlineleben bedingungslos glorifiziert. Auch Kitty textet ihren Freund*innen und streamt abends betrunken Serien. Und es ist nun wirklich weder Leistung noch Schuld des Internets, dass beides manchmal doof ist und manchmal auch sehr erfreulich sein kann.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.