Comedian Idil Baydar über Deutschland: „Fickfehler gab es früher nicht“
Ihre Mutter gab ihr den Namen Jilet Ayse – weil ihre Zunge scharf wie eine Rasierklinge ist. Über Yotube wurde sie bekannt, nun hat Idil Baydar ein Bühnenprogramm.
taz: Frau Baydar, Ihr Programm heißt „Deutschland, wir müssen reden“. Worüber müssen Sie mit Deutschland reden?
Idil Baydar: Über uns. Ich will fragen, was es Deutschland so schwer macht, uns zu lieben.
Spricht Deutschland mit Ihnen?
Meistens. Ich fühle mich ja hier zu Hause und wenn ich „Wir“ und „Ihr“ sage, ist das künstlich. Ich arbeite trotzdem mit dieser Trennung. Weil sie immer wieder gemacht wird: Wir und Ihr. Ihr und wir. Nach meiner Lieblingsfarbe werde ich nicht gefragt.
Und versteht Deutschland Sie?
Einige empfinden Jilet als Angriff. Oder sie sagen: „Die sind doch so, die Ausländer, was is’n jetzt daran lustig?“ Überhaupt scheinen die Deutschen es witziger zu finden, wenn ich Türken niedermache als wenn ich mich über Deutsche lustig mache. Dabei ist Jilet deutsch, in der Türkei existiert diese Figur gar nicht.
39, arbeitet seit 2011 als Comedian. Bekannt wurde sie durch die Verkörperung der Kunstfigur „Jilet Ayse“ in YouTube-Videos. Mit dem Programm „Deutschland, wir müssen reden!“ steht Baydar vom 2. bis zum 6. März und am 27. April in der Bar jeder Vernunft in Berlin auf der Bühne. Weitere Termine auf ihrer Facebook-Seite oder unter unter idilbaydar.de.
Sehen sich die echten Ayses aus Neukölln Ihre Show an?
Klar. Die Jugendhäuser haben bei mir Kontingente. Weil diese Jugendlichen kommen nirgendwo vor. Nicht mal Rama macht Werbung mit Ausländern. Die haben doch sonst keine Möglichkeit, ihr Selbstbild zu reflektieren.
Was unterscheidet Sie von Kartoffel-Comedians?
Der Takt. Die deutsche Comedy baut sich über zehn Sekunden auf. Dann passiert was, dann kommt ein Gag. Mein Takt ist ein anderer: Ich sage was, das ist so behindert, da muss man lachen. Ich sage wieder was, und man muss wieder lachen.
Sind Comedians wie Kaya Yanar oder Bülent Ceylan Ihre Vorbilder?
Kaya Yanar war der Erste, der sich durchgesetzt hat. Bei Bülent war ich mal zu Gast, ein toller Mensch und ein großartiger Performer. Er ist vielleicht nicht so politisch, aber er hat eine Haltung. Es gibt auch großartige Künstler ohne politische Haltung. Aber meins ist mehr Volker Pispers oder Hagen Rether. Und Serdar Somuncu.
Cindy aus Marzahn?
Nicht mein Humor. Aber sie ist sehr gut. Und auch eine soziale Figur. Kein Wunder, dass sie im Osten so beliebt ist. Die Ossis sind ja auch marginalisiert.
Ihre andere Figur, Gerda Grischke, stammt ebenfalls aus der Unterschicht, aber aus der deutschen.
Ich liebe Gerda. Die schreit dich an: „Ab ins Arbeitslager!“ Und gibt dir dann ein Pfefferminzbonbon. Bei ihr sagen viele Deutsche: „Ich kann der nicht zuhören, die erinnert mich an meine Mutter.“
Als Jilet Ayse sagen Sie: „Mein Freund darf mich schlagen, das ist ein Mann.“ Was ist, wenn junge Frauen glauben, dass Sie Gewalt rechtfertigen?
Man darf als Künstler keine Angst davor haben, falsch verstanden zu werden. Es kommt vor, dass mir eine 15-Jährige sagt: „Ich finde das super, was du sagst. Bei uns ist das halt so. Der schlägt mich, weil er mich liebt.“ Dann sage ich: „Ey, Mädchen, ist an dir dit Leben vorbeigegangen oder wat? Liebe hat nix mit auf die Fresse hauen zu tun.“ Wenn sie aber diese Scheiße verinnerlicht hat, wird sie die an ihre Tochter weitergeben, so wie das ihre Mutter bei ihr getan hat. Aber die meisten dieser Mädchen finden etwas anderes an Jilet gut: dass sie so aggressiv ist.
Empfohlener externer Inhalt
Jobcenter ist Terrorcenter
Jilet erzählt oft von ihrer Schwester, die sie „Integrationsnutte“ nennt. Die hat einen deutschen Freund und geht aufs Gymnasium. Warum spielen Sie diese Figur nicht?
Die Integrationsnutte ist nicht so lustig. Und ich habe dafür noch keine Form gefunden – außer mich selbst. Vielleicht fehlt es mir an Vorbildern. Ich muss dringend zur Uni.
Ist Jilet Ayse eine Figur, mit der Sie die echten Ayses lächerlich machen wollen?
Ich mache mich über gewisse Dinge lustig. Aber ich mache das nicht auf eine entwürdigende Weise. Es gibt Grenzen.
Welche?
Zum Beispiel Allah und der Prophet. Wenn du diese Jugendlichen erreichen willst, kannst du ihnen nicht Bam Bam auf die Fresse geben. Die merken, dass ich nicht bloß versuche, den Kanakenton nachzumachen, sondern das ich den beherrsche, weil ich deren Welt kenne.
Eine Welt, in der Sie aufgewachsen sind?
Nicht ganz. Ich war auf einer Waldorfschule in Celle. Mit 15 zog ich mit meiner Mutter nach Berlin. Siemenststadt. Schock.
Und da haben Sie diese Sprache gelernt?
Nein. „Fickfehler“, „Arschgeburt“, „Übertreib nicht deine Rolle“ – diese Sprache gab es zu meiner Zeit nicht. Das ist neu. Das habe ich von den Kindern gelernt, mit denen ich später in Jugendhäusern und Schulen gearbeitet habe. Zum Beispiel an der Rütli-Schule. Eine Katastrophe.
Warum?
Das war eine Verwahrungsstätte. Desolater Zustand. Du siehst Kids, die wissen, dass sie keine Perspektive haben, Mädchen, die mit 14 schon verheiratet sind… Ich habe Nachhilfe gegeben. Wenn einer Stress gemacht hat, habe ich gesagt: „Pass mal auf, Digger, mach hier keine Welle, vallah ich hau dir eine, dann bist du blamiert.“ Meine Kinder habe ich so zum Mittleren Schulabschluss gebracht. Aber wenn Frau Schmidt gesagt hat: „Mohammed, das ist vielleicht in deiner Kultur so, aber in unserer Kultur, da macht man das nicht so“ – das hat nicht funktioniert.
Ist das heute besser?
Ich glaube, dass es schlechter geworden ist, seit alle von Integration reden. Es gibt hier ein Projektchen und dort eins, aber an den Strukturen ändert sich nichts. Die Empfehlung für die weiterführende Schule wird in Deutschland nach sozialer Herkunft vergeben. Und wir wollen eine Leistungsgesellschaft sein?
Was meinen Sie?
Ich hatte eine pfiffige Schülerin mit einem Notendurchschnitt von 2,0. Mit Kopftuch. Ihre Mutter konnte nur schlecht Deutsch. Die hat mich angefleht: „Bitte sorgen Sie dafür, dass meine Tochter aufs Gymnasium kommt.“ Ich war ja nur freie Mitarbeiterin, aber ich habe nachgefragt. Die Lehrer sagten: „Also nee, das ist viel zu schwer. Wenn sie keine Unterstützung in der Familie hat, wird sie das nicht schaffen.“ Die kam auf die Hauptschule. Das hat mir das Herz zerrissen. Ich dachte: Ey, selbst wenn du gut bist, heißt das noch lange nicht, dass du in diesem System zu den Gewinnern gehörst. Das ist der Grund, warum Jilet so wütend ist, warum ich überhaupt diese Jilet-Nummer mache: aus Schmerz.
Auch eigenem?
Ja. Ein Beispiel: Ich musste im Jobcenter so ein Formular ausfüllen. Da wurde nach dem Migrationshintergrund gefragt. Ich dachte: Mache ich mich strafbar, wenn ich das nicht ankreuze? Voll Deutsch, ein richtiger Türke denkt nicht so. Ich kreuze das also an, und mein Berater sagt: „Sie müssen zu einem türkischen Berater.“ Und ich: „Ich bitte Sie, Sie sehen doch, dass ich Deutsch kann. Ich versteh den gar nicht.“ Und der: „Ist egal, ist egal.“ Am Ende war ich bei so einem Kanaken, der gebrochen Deutsch sprach und sich über mein schlechtes Türkisch beschwerte.
Eine Demütigung.
Noch und nöcher! Das war 2010, da kam Sarrazin. Bald darauf habe ich gesagt: Ihr wollt den Kanaken? Okay, ihr kriegt den Kanaken.
Wie kommt man von Schmerz auf die komische Form?
Weil Lachen befreiend ist. Aber es war nicht geplant. Ich kam zur Comedy, weil ich meine Mutter loswerden wollte.
Wie das?
Auf der Waldorfschule hatte ich eine künstlerische Ausbildung, auch das ganze Bewusstsein für Sprache. Später habe ich gerappt, Hörspiele und Theater gemacht, im Gorki Theater zum Beispiel, mit Feridun Zaimoglu. Ich bin wüüürklich talentiert. Aber ich saß zu Hause und habe gejammert. Meine Mutter sagte: „Wenn du unglücklich bist, dann liegt das nicht an anderen Leuten, sondern an dir. Sei kein Opfer und mach was.“
Toll.
Ja! Meine Mutter ist eine hochintelligente Person. Meine Eltern kamen als Arbeiter. Aber sie hat sich weitergebildet, hat schnell Deutsch gelernt, als Maskenbildnerin und als Familientherapeutin gearbeitet. Und sie hat mich dazu gezwungen, mit einigen ihrer Freunde vom Fernsehen das erste Video aufzunehmen. Das habe ich auf YouTube gestellt. Sogar der Name Jilet Ayse, Rasierklinge Ayse, ist von meiner Mutter. Ich wollte die Figur Massaker-Fatma nennen; jetzt heißt Jilets Hund so. So fing das alles an.
Sie haben auch Videos für Bild.de produziert.
Das war das erste Mal, dass ich mit Comedy Geld verdient habe. Und eine Möglichkeit, vor einem Massenpublikum meine Figuren zu entwickeln. Sachen, die sie zu hart fand, hat die Redaktion rausgeschnitten.
Wurden Sie für Ihren Auftritt bei der Bild kritisiert?
Na klar.
Ihre Antwort?
Ich habe gesagt: Fick dich! Zahlst du meine Miete? Erzähl mir nix in dieser Welt voller Doppelmoral.
Und was ist jetzt Ihre Lieblingsfarbe?
Weißgold.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an