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Bildungsministerin über Einwanderung„Die CDU war Avantgarde“

Migrantenkinder haben es nach wie vor schwer, sagt Johanna Wanka. Die Ministerin über Bildungschancen, Migration und ihren eigenen Aufstieg.

„Ich bin eine einfache Bauerstochter“, sagt Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) Bild: imago/Ipon
Anna Lehmann
Ulrich Schulte
Interview von Anna Lehmann und Ulrich Schulte

taz: Frau Wanka, braucht ein Migrantenkind in Deutschland vor allem Glück, um es ganz nach oben zu schaffen?

Johanna Wanka: Glück schadet nie. Aber über gesellschaftlichen Aufstieg entscheiden andere Faktoren. Sprachkenntnisse, gute Kitas und Schulen, die Durchlässigkeit des Bildungssystems.

Wirklich? Erfolgreiche Menschen wie Cem Özdemir oder Fatih Akin berichten von Hindernissen in der Schule. Sie sagen, ohne Menschen, die sie förderten, hätten sie es nie geschafft.

Solche Vorbilder haben wir zum Glück viele in Deutschland. Den engagierten Lehrer, der an einen Jungen mit türkischem Migrationshintergrund glaubt. Die Kitaerzieherin, die libanesischen Eltern Mut macht. Solche Figuren sind entscheidend für Bildungskarrieren. Bülent Ucar, Professor für Islamwissenschaften in Osnabrück, hatte anfangs auch nur eine Hauptschulempfehlung.

Sind solche Erfolgsstories repräsentativ?

Es gibt immer mehr davon, Bildungserfolg von Migranten ist doch nichts Exotisches mehr.

Studien belegen, dass das deutsche Bildungssystem diskriminiert. Kinder mit Migrationshintergrund brechen häufiger die Schule ab, schaffen es seltener aufs Gymnasium oder auf die Uni, machen weniger Ausbildungen.

Migrantenkinder haben es nach wie vor schwerer. Allerdings schließt sich die Kluft. Nehmen Sie die Ergebnisse der PISA-Studie: Vergleicht man die Leistungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund von 2003 bis 2012, dann stellt man fest, dass sie zum Beispiel in Mathematik 24 Punkte aufgeholt haben. Die Schüler ohne Migrationshintergrund haben in dieser Zeit vier Punkte dazu gewonnen. Die Kinder mit Zuwanderungsbiografie holen also auf.

Im Interview: Johanna Wanka

Jahrgang 1951, ist seit Februar 2013 Bundesbildungsministerin. Zuvor war sie Landesministerin in Niedersachsen und Brandenburg. Wanka stammt aus Rosenfeld in Sachsen. Sie ist Mathematik-Professorin und war von 1994 bis 2000 Rektorin der Hochschule Merseburg.

Geht Ihnen dieser Prozess schnell genug?

Nein. Das deutsche Bildungssystem muss Kinder mit Migrationshintergrund noch engagierter fördern. Deutschland kann es sich nicht leisten, auf sie zu verzichten.

Was tun Sie als Bildungsministerin dafür?

Die Schulen sind ja Sache der Länder. Aber da, wo wir können, tun wir etwas. Zum Weltfrauentag haben wir zum Beispiel ein Projekt namens „Image“ gestartet. Darin geht es darum, Unternehmen gezielt auf Akademikerinnen mit Einwanderungsbiografie aufmerksam zu machen. Noch ein Beispiel: Wir haben die Zahl der Servicestellen verdoppelt, in denen wir Unternehmer und Familien mit Migrationshintergrund über berufliche Bildung und die duale Ausbildung informieren.

Ist das Versprechen, es könne beim Aufstieg gerecht zu gehen, nicht eine Märchen? Der Sohn eines Lagerarbeiters wird eben nicht Oberstudiendirektor.

Es gibt eine natürliche Korrelation zwischen dem Bemühen der Eltern und der Bildung des Kindes. Die kann und will ich auch nicht wegreden. Aber als 2000 die erste PISA-Untersuchung erhoben wurde, erschraken wir Bildungspolitiker. Alle glaubten, eigentlich müsste jeder in Deuschland Chancen haben - durch Kitas, die Schulpflicht, später Bafög, und so weiter. Heraus kam, dass der Bildungserfolg zu stark vom sozioökonomischen Background der Eltern abhängt.

Dieser Zusammenhang existiert bis heute. Ist das ein Skandal für ein reiches Land, das modern sein will?

Vergleichsstudien belegen, dass die Korrelation schwächer wird, auch wenn wir längst noch nicht zufrieden sind. Meine Idealvorstellung ist, dass jeder in Deutschland das für ihn optimale Ergebnis in der Bildung erreichen kann. Und zwar unabhängig von seinem Ausgangspunkt.

Jeder kann den Aufstieg schaffen: Ist dieser Satz nicht eine grandiose Selbsttäuschung der Deutschen?

Aufstieg für alle habe ich nicht gesagt. Es geht um optimale Möglichkeiten. Jeder muss gemäß seines Potentials optimal gefördert werden, um glücklich zu werden.

Es geht bei Karrieren nicht nur um Bildung. Wichtiger sind das Elternhaus, die Beziehungen, die Kenntnis gesellschaftliche Codes. Die Eliten rekrutieren sich weitgehend aus sich selbst.

Schauen Sie: Ich bin eine einfache Bauerstochter. Ich war in der DDR auf der erweiterten Oberschule und habe Agrotechnikerin gelernt. Ich habe im Stall gearbeitet, habe Rüben verzogen, bin also wirklich auf dem Bauernhof groß geworden.

Ihre eigene Biografie ist selbstverständlich vorbildhaft.

Generell gesprochen: Ich halte Chancengerechtigkeit in Deutschland für möglich. Das ist ja etwas anderes als Chancengleichheit. Ein riesengroßer Nachteil des deutschen Bildungssystems ist die mangelnde Durchlässigkeit. An diesem Problem arbeiten wir.

Wie?

Zum Beispiel ist es heute möglich, mit Ausbildung und Berufserfahrung zu studieren - ohne Abitur. Damit haben wir das Studium für eine ganze soziale Schicht aufgeschlossen, die dazu tendiert zu sagen: Lern erst einmal einen ordentlichen Beruf. Oder die Initiative arbeiterkind.de. Dort können sich Jugendliche, die als Erste in der Familie studieren wollen, informieren. Solche Familien sind später unglaublich stolz auf ihr Kind - und motivieren wiederum andere, es ihnen nachzutun.

Wenn man Ihre Reden zu Integration liest, denkt man manchmal: Da spricht eine Grüne.

Das ist jetzt aber ein vergiftetes Kompliment.

Sie sagen, die Asylbewerber, die zu uns kommen, sind Teil unserer Gesellschaft. Das haben Sie in der CDU exklusiv, oder?

Nein, ich bin nicht die einzige mit dieser Haltung. Wenn Sie sich die Bemühungen von Thomas de Maizière anschauen oder manche Debatten in der Unionsfraktion, dann stellen Sie fest: Die Anteilnahme für die steigende Zahl von Menschen, die bei uns Hilfe suchen, ist groß.

Wie bitte? Die CSU wirbt mit dem Spruch: „Wir sind nicht das Sozialamt für die ganze Welt.“

Mein Eindruck ist: In den Unionsparteien gibt es wie in der Gesellschaft überwiegend die Bereitschaft zu helfen.

Heute wird von allen Parteien akzeptiert, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Warum hat die CDU ein Großthema so lange verschlafen?

Das ist eine schwierige Frage. Verschlafen würde ich jetzt nicht sagen.

Sondern?

Erstens: Alle Parteien haben sich bei diesem Thema stark bewegt in den vergangenen Jahren. Zweitens: Die CDU reagiert nicht übereilt auf gesellschaftliche Trends. Das ist oft eine Stärke des Konservatismus, manchmal könnte es aber etwas schneller gehen. Drittens: Die demografische Entwicklung hat die Diskussion befördert. Viertens: Die CDU war beim Thema Einwanderung auch Avantgarde.

Ach? Das müssen Sie erklären.

Jörg Schönbohm hat schon als Berliner Innensenator Ende der 90er Jahre vor Parallelgesellschaften gewarnt. Für diese Analyse ist er damals scharf attackiert worden. Mittlerweile ist im gesamten Parteienspektrum Konsens, dass es auch Gefahren bei der Einwanderung gibt und es für Integration wichtig ist, frühzeitig die deutsche Sprache zu lernen. Sogar manche Grüne sehen das so.

Welche Fehler haben Sie gemacht?

Ich habe zum Beispiel früher gedacht, wir könnten die demografische Entwicklung durch Zuwanderer zum Beispiel aus Osteuropa abfedern. Funktioniert nicht. Diese Länder haben dieselben demografischen Probleme wie wir. Das heißt, es geht auch zwingend darum, Menschen aus anderen Kulturkreisen aufzunehmen und zu integrieren.

In der CDU macht sich eine Gruppe jüngerer Abgeordneter für ein modernes Einwanderungsgesetz stark. Sind Sie dafür oder dagegen?

Ich bin gegen eine Verengung der Diskussion auf diese Frage. Ich halte auch für falsch, ein Punktesystem wie in Kanada einfach formal zu übernehmen. Wir brauchen Lösungen, die auf die deutsche Situation zugeschnitten sind.

Wie finden Sie die aktuell gültige Gesetzgebung?

Wir haben viele Regelungen, gerade im Bereich der hochqualifizierten Einwanderer, die gut funktionieren. Das Anerkennungsgesetz garantiert Ausländern zum Beispiel den Rechtsanspruch, dass ihre Qualifikation hier bewertet und eingeschätzt wird. So ein Gesetz ist vorbildlich in Europa.

Die Befürworter argumentieren, dass ein neues Gesetz einen enormen Werbeeffekt für Deutschland hätte. Stimmen Sie zu?

Marketing ist wichtig, gute Politik ist wichtiger. Mir geht es um die inhaltliche Diskussion. Wir müssen darüber reden, was gut ist an unseren Regeln, was schlecht ist und was fehlt. Natürlich ist wichtig, für Deutschland zu werben - das geht aber auch mit den bestehenden Angeboten.

Geht es den Parteien bei der Einwanderungsdebatte auch um eine doppelte Botschaft? Ja, wir wollen Ausländer herlocken. Aber nur die Besten.

Und was ist die doppelte Botschaft?

Die Ausländer, die uns nicht nutzen, bleiben draußen. Ein Signal an die Pegida-Bürger.

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Beim Einwanderungsgesetz reden wir über Qualifikationen, die von hiesigen Unternehmen dringend gebraucht werden. Bei Flüchtlingen reden wir über die humanitäre Pflicht zu helfen.

Eben. Aber diese Fakten werden in der politischen Debatte vermischt.

Das stimmt, zumindest in Teilen. Einwanderung ist zu wichtig für Polemik. Das Signal, wir wollen die Leistungsstarken, ist übrigens auch für die Herkunftsländer nicht unproblematisch. Denn die müssen ihre Besten ja ziehen lassen. Ich kann nur dafür plädieren, bei diesem Thema sehr differenziert zu argumentieren.

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6 Kommentare

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  • Na - hat Frau Wanka - in guter Blockflötentraditon



    eine Schutzschrift hinterlegt



    (wie früher gutgepübte Tradition bei der Firma;) - dass ihr eilfertig am Schreddern am dran seid!!



    is mir doch wumpe - 2.0







    "…Aufstieg für alle habe ich nicht gesagt. …"







    Danke - Frau Wanka - alles andere hätte mich auch schwer gewundert.







    Aber - schlimmer - geht immer -



    "…Die CDU war beim Thema Einwanderung auch Avantgarde.…"



    Ja - da wird Oliver Welke blass -



    das toppt die Heute Show mühelos.











    vulgo - die Gewinner der DDR sind auch die Gewinner der Wende -



    Danke - Frau Wanka - das ist allgemein bekannt



    angefettet unters Volk gestreut worden;



    klar - daß da nicht alle was vom Kuchen abbekommen können - das können WIR VON DER CDUCSU uns gar nicht leisten - die Krümel müssen schließlich auch verwertet werden - gell.







    http://www.taz.de/Bildungsministerin-ueber-Einwanderung/!156086/



     

  • 5G
    5393 (Profil gelöscht)

    ps

     

    vertikale Begriffe haben mit Progress wenig zu tun, die Begriffe "Aufstieg" usw. gehören vertikalen Weltbildern an, wenig hilfreich, sagt aber viel

  • 5G
    5393 (Profil gelöscht)

    Hanna Wanka war im Arbeiter und Bauernstaat Agrartechnikerin, das war da die Elite. Das wäre auch hier noch Elite, Bauern sind Elite, die Häusler und Arbeiter sind s nicht. Etc.

     

    Die Ministerin kennt ihre eigene Forschung nicht, man muss ja kennen, über was man redet.

     

    Auch nach der Körberstiftung ist es eben nicht so, dass bildungsferne Familien über die aus der Familie jubeln, die als erstes aus der gesamten Verwandtscahft studieren, das ist absolut nicht so, würde die Ministerin die Zuschriften lesen, die sie so bekommt, würde die das auch wissen, von arbeiterkind.de könnte sie das ebenso erfahren.

     

    Bei den Migranten ist das ganz anders, die freuen sich !!!! Die sind da ganz anders drauf, können aber selbst oft nicht helfen, dann kommen die Mentoren, die s ja mittlerweile in manchen Regionen hauptberuflich gibt und die durch die Schulen gehen und Kontakte anbieten (das ist auch viel besser als die Bundeswehroffiziere, die auch ihre Touren machen durch die Schulen, WEIL die Mentoren nicht einseitig sind...)

  • In der CDU gibt es so viele Märchenerzähler/Innen, so dass wir Migranten/Innen sogar darüber nur noch lachen können!

     

    Wir haben einen Test gemacht und zu einigen CDU-Veranstaltungen einige deutsche Mädchen mit ausländischem Aussehen (Jura-Studentinnen) mit Kopftüchern geschickt!

    Willkommenstest bei der CDU!!

    Über die Ergebnisse möchte ich hier nicht mehr berichten...

    Mit den Blicken und der Körpersprache wurden die deutschen Mädels (Jura-Studentinnen) abgefertigt und dem Erdboden gleich gemacht!

  • Menschen mit Qualifikation werden vor allem in den sog. Schwellen- und Entwicklungsländern für den ökonomischen Aufbau der Wirtschaft und sozialen Aufbau der Gesellschaft benötigt. Nach den Vorstellungen der GroKO-Bundesregierung und BDI-BDA-Wirtschaft, sollen Hochqualifizierte und Fachkräfte aus sozial-ökonomischen Entwicklungs- und Armutsregionen, -- dieser Welt, Entwicklungshilfe für die deutsche Wohlstandsgesellschaft leisten, -- oder? (!) Zum Beispiel benötigen die Armutsregionen ihre ÄrztInnen, Krankenpfleger/innen und Altenpfleger/innen vor allem für die eigene Bevölkerung.

     

    Zudem gibt es in Deutschland immer noch 3,7 Millionen Erwerbslose. Auch diese Menschen haben einen sozial-menschen-rechtlichen Anspruch auf Qualifikation, Weiterbildung, Ausbildung und eine auskömmlich bezahlte Erwerbsarbeit.

     

    Offensichtlich geht es den Wirtschafts- und Monopolverbänden, deren Bundesregierung und Parlamentsmehrheit, vor allem um billige Fachkräfte aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Zudem müssten diese Länder und Regionen, die von Deutschland benötigten Fachkräfte, und damit deren Ausbildungskosten, selbst finanzieren.

     

    Menschen, auch ohne Qualifikation, sollten ein Aufenthaltsrecht und ein Qualifikationsrecht in Deutschland erhalten, ebenso, wie auch die vorhandenen Arbeitslosen! [= unabhängig von deren Geschlecht, Herkunft oder Hautfarbe]

     

    Deutschland verfügt heute über die ökonomisch-finanziellen Mittel, um die vorhandenen 3,7 Millionen erwerbslosen Menschen zu qualifizieren und auskömmlich zu bezahlen. Zusätzlich wäre Deutschland in der finanziellen und sozialen Lage, mehrere Millionen Fluchtopfer (unabhängig von den Gründen) aufzunehmen, zu qualifizieren und auskömmlich zu bezahlen! [-- für einen Mindestlohn: nicht unter 15-Euro-Std. brutto!]

  • Nicht "das Versprechen, es könne beim Aufstieg gerecht zu gehen", ist "ein Märchen", sondern die Behauptung, der Aufstieg selbst sei mit Gerechtigkeit vereinbar. An dieses Märchen glauben selbst "Linke" nur zu gern. Vor allem die, die sich für minderwertig halten - oder gehalten haben, bis irgendwann der Prinz gekommen ist auf seinem weißen Pferd. Wieso also nicht auch Migrantenkinder wie Özdemir oder Akin? Die beiden als "Erfolgsgeschichte" zu verkaufen, ist übrigens ne Leistung, finde ich. Dermaßen zugereist und überhaupt gar keine weiterführende Idee, die beiden Knaben! Kein Wunder, dass sich die nicht schon ganz weggeschnarchten Teile der Union der armen kleinen Mohrenkinder so herzlich angenommen haben. Die wissen viel zu gut, wieso sie ihre konservativen Förderer so bald nicht ernsthaft in die Wüste scheuchen werden. Es missioniert sich leichter, wenn der Bauch noch hungrig knurrt bei den gerade erst Bekehrten...