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„Ich schließe generell keinerlei Ambitionen aus“

Enissa Amani ist eine der erfolgreichsten deutschen Comedians. Einige halten sie sogar für eine geeignete Kanzlerkandidatin. Eine Begegnung in ihrer Heimatstadt Frankfurt am Main mit ihrem Vater und dessen Hund Havanna

Enissa Amani im Café Ypsilon in Frankfurt am Main

Von Katrin Gottschalk (Text) und Esra Klein (Foto)

Wenn sie einen Satz noch zu Ende sprechen möchte, dann greift Enissa Amani gern nach der Schulter, dem Arm, der Hand ihres Gegenübers. Enissa Amani möchte oft einen Satz zu Ende sprechen. Dazu lächelt sie umwerfend. Und so spricht sie weiter. Enissa Amani ist eine Frau, die sich Raum nimmt – als Comedian, als Deutsche mit Migrationsgeschichte, als politische Akteurin, von der sich ihre Fans inzwischen sogar wünschen, sie würde Kanzlerin werden.

Die erste Bühne betritt Enissa Amani vor sieben Jahren. Im Sommer 2013 jobbt sie in Köln in einer Parfümerie, hat gerade ihr Jurastudium abgebrochen und fragt sich, was sie mit ihrem Leben anfangen möchte. Zuvor nahm sie an verschiedenen Schönheitswettbewerben teil, wurde etwa Vize-Miss Westdeutschland. Sie beschließt, ein Buch zu schreiben. Über ihre Familie. Über ihre iranische Oma, die 21 Kinder bekam, und über sich selbst, ein Einzelkind in Deutschland. Erste Anekdoten postet sie bei Facebook und geht schließlich damit auf eine Stand-up-Bühne in Köln. Von da an werden die Bühnen immer größer.

Im Dezember 2013 tritt sie bei Rebel Comedy in Hamburg auf, im Januar 2014 bei Stefan Raab. Im Repertoire hat sie Witze über ihre hohe Stimme, ihre operierte Nase – und ihren „linken Sozialistenhaushalt“. 2015 bekommt sie den Deutschen Comedy-Preis, 2016 ihre erste eigene Show auf Pro7, im selben Jahr folgt eine weitere. 2018 hat sie mit „Ehrenwort“ als erste Europäerin ein eigenes Netflix-Special, 2019 das nächste in der Netflix-Reihe „Comedians of the World“. Ihre Clips werden auf Youtube millionenfach geklickt. Enissa Amani ist ein Superstar.

Wir treffen uns im Ypsilon, einem Buchladen mit Café mitten in Frankfurt am Main. 1978 gegründet, wie die taz. Sie hat den Ort bewusst ausgewählt. Im Ypsilon sind die Bücher eng gestapelt, neue Literatur, aber auch die kapitalismuskritischen Klassiker stehen und liegen hier rum. An den Wänden des Cafés sind Sprüche wie „Amis raus aus Vietnam“ und „Hoch die internationale Solidarität“. An den Tischen davor, auf der Berger Straße, flanieren junge Leute entlang. Eine Ecke weiter legt eine DJ auf. Die Tische des Ypsilon umweht ein Alt-68er Lüftchen. Mittendrin: Enissa Amani.

Sie ist perfekt geschminkt, trägt ein sehr enges weißes Kleid, Sneaker und lange pinke Fingernägel, mit denen sie auf dem Tisch trommelt, sodass es sich nachher auf der Tonaufnahme wie Hagel anhört. Sie spricht schnell und viel. Nicht überdreht, sondern dringlich. Ihre Apfelsaftschorle wird sie vor lauter Gespräch vier Stunden lang nicht anrühren. Und weil Enissa Amani im direkten Austausch eigentlich so gut wie jede Person für sich gewinnen kann, bekommt sie am Ende von der Kellnerin einfach eine neue Schorle geschenkt. Es ist nett, mit ihr dort zu sitzen, lässig. Aber auch schräg. Warum dieser Ort?

„Ich war hier mit meinen Eltern schon als ­Fünfjährige“, erzählt Amani. Der Ort steht für den zweiten Teil ihrer Geschichte. Sie ist Show­business, aber sie ist auch Sozialistenhaushalt. Ihre Mutter ist Feministin, ihr Vater ein linker Intellektueller. 1987 sind die beiden mit ihrer kleinen Tochter aus Iran geflohen. Zuvor war der Vater vier Jahre als politischer Gefangener inhaftiert. Er ist der Grund, weshalb Enissa Amani zusagt, auf einem taz-Podium zum Frauenkampftag im März 2020 zu sprechen. Der Vater habe gesagt „Geh da hin.“

7. März 2020, es ist eine der letzten Veranstaltungen überhaupt, bevor Zusammenkünfte wie diese wegen der Coronapandemie abgesagt werden müssen. Der Titel des Abends ist „Dit ham wa uns verdient“, es geht um Frauenkampf und Geld. Enissa Amani hat „übertrieben viel Geld“ verdient mit ihren Netflix-Shows, sagt sie lustvoll kokettierend. Mit ihr als Gast auf dem Podium sitzt SPD-Politikerin Klara Geywitz. Sowohl die taz-Genoss*innen als auch die Amani-Fans amüsieren sich, zwei Welten treffen aufeinander – Amani bespielt beide. Sie spricht über Schuhe und die politische Situation im Iran, gleichermaßen engagiert.

Sie erzählt von ihrer Mutter, die ihr zur Schul­einführung keine große bunte Schultüte geschenkt habe mit Süßigkeiten drin – sondern eine weiße, selbst gebastelte, auf der auf Persisch stand: „Freiheit für die politischen Gefangenen im Iran“. Drinnen waren Trockenfrüchte und Nüsse. Die Geschichte taucht schon in ihrem ersten Auftritt bei Stefan Raab auf, 2014. Bei Raab ergänzte Amani, dass wiederum ihr Vater ihr aus dem Kommunistischen Manifest vorgelesen habe, als sie erst vier Jahre alt war, dabei habe sie lieber Benjamin Blümchen hören wollen.

Jetzt, sechs Monate nach dem taz-Auftritt, ist Zeit, um bei Enissa Amanis Vater nachzufragen, den sie als ihren Mentor bezeichnet. „Mich haben Freunde danach auf der Straße angesprochen und gefragt: Sag, Ahmad, stimmt das?“, erzählt er in Frankfurt. „Ich habe gesagt: Natürlich nicht! Ich habe gewartet, bis sie sieben ist, und ihr dann alle drei Bände vom Kapital geschenkt!“ Der Vater kneift vor Lachen die Augen zusammen. Es ist das erste Mal, dass er mit einer Journalistin über seine Tochter spricht.

Ahmad Amani ist mit Havanna ins Ypsilon gekommen, einem weißen, sehr quirligen jungen Hund. Der Vater wirkt ein bisschen aufgeregt. Ein schmaler Mann mit buschigem Schnurrbart, freundlich und sanft. Seine Lesebrille hängt an einem Band um seinen Hals. Den Hund hat seine Tochter ihm zum Renteneintritt im letzten Jahr geschenkt. Bis dahin hatte er Pakete für die Deutsche Post verladen. Sein Literaturstudium im Iran wurde hier nicht anerkannt. Ahmad Amani fing an zu arbeiten, damit seine Frau mit 34 ein neues Medizinstudium beginnen konnte.

Während Ahmad Amani spricht, wuselt und bellt der Hund im Hintergrund, Enissa Amani ermahnt „Havi“ immer mal wieder. Dann geht ihre Stimme noch ein bisschen weiter nach oben. Sie ist ruhiger als in den zwei Stunden des Gesprächs, in denen der Vater noch nicht dabei war. Sie will ihm Raum lassen, damit er mit seinem leicht gebrochenen Deutsch durchdringt. Manchmal tauschen sie auf Persisch miteinander Worte aus. Und wenn Enissa Amani dann doch wieder selbst ins Erzählen kommt, muss ihr Vater Anlauf nehmen und sich die Geschichte zurückholen.

Ahmad Amani spricht über Marx, über den Sozialismus der DDR, den er ablehnte, dabei setzt er seine Brille auf. Was haben er und seine Tochter gemeinsam? „Wenn Enissa über soziale Gerechtigkeit spricht, über Frieden in der Welt, die Gleichberechtigung von Frauen, über Toleranz und Rassismus, dann erkenne ich immer einen Teil meiner Seele in ihr wieder.“ Er sagt das stolz, seine Worte gehen Enissa Amani sichtlich nah. Später wird sie das Zitat auf Instagram teilen und sagen, dass sie diesen Moment nie vergessen wird. Überhaupt nimmt sie fast das ganze Gespräch selbst mit dem Handy auf. Vielleicht wolle sie etwas davon verwenden, sagt sie – vielleicht schwingt da aber auch Misstrauen mit.

Nach dem Treffen postet sie ein Bild von Havanna und schreibt, er sei im „I dont fck with the press“-Modus gewesen. Weil der Hund süß ist, wirkt der Post sehr freundlich, aber darin klingt auch Skepsis gegenüber der Presse an. Eine Auseinandersetzung, die zu dieser Skepsis sicherlich beigetragen hat, ist die vom April 2019: Die Journalistin Anja Rützel hatte für Spiegel Online eine TV-Kritik über die „About you Awards“ geschrieben, deren Preiskategorie „Comedy“ Enissa Amani moderierte.

Rützel war nicht begeistert von der Show. Sie macht sich in ihrem Text über Amani lustig, Amani macht sich daraufhin über Rützel lustig – und bringt dadurch ihre 500.000 Follower auf Instagram ins Spiel, die Rützel mitunter beleidigen. Ganz Spiegel Online hat zu dem Zeitpunkt 600.000 Follower auf Instagram. Mehr als sie, aber nicht viel mehr. Über den Spiegel postet Amani, er sei ein „Schrott Klatschblatt mit ein paar politischen Alibi Themen“.

Wer in Deutschland eine mächtige Stimme hat, bestimmen Zeitungen schon lange nicht mehr exklusiv. Das wurde auch deutlich, als im Mai 2019 der bis dahin vielen nicht bekannter Youtuber Rezo sein Video mit dem Titel „Die Zerstörung der CDU“ veröffentlichte.

Amani sagt heute zur medialen Empörung: „Die Presse darf mit ‚großer Reichweite‘ provokant sein oder sarkastisch beleidigend. Aber der oder die Betroffene darf nicht zurück austeilen.“ Sie gibt auch zu, dass ihr Ego bei der Auseinandersetzung eine Rolle gespielt hat.

Enissa Amani ist ihre eigene Plattform. Sie nutzt diese immer häufiger für ihr politisches Anliegen. So sehr, dass Fans ihr schreiben: #EnissaForPresident. Immer wieder. Mitte August dieses Jahres twittert Amani dann: „Ist dieses Land bereit für meinen Kanye Move? Ich stelle mich zur Kanzlerin auf.“ Der „Kanye Move“ ist ein Verweis auf den Rapper Kanye West, der Anfang Juli seine Kandidatur für die Wahl des US-Präsidenten bekannt gab. Eine Schnapsidee, aber er zieht es durch. Neben den vielen inhaltlichen Punkten, die Amani und West unterscheiden, verbindet sie ein aktueller politischer Kampf – der gegen Polizeigewalt und Rassismus.

Diesen Sommer hat Amani auf einer Demonstration der Black-Lives-Matter-Bewegung vor dem Frankfurter Römer gesprochen – unter Jubel und einzelnen „Ich liebe dich!“-Rufen. Ihre Message: „Wer auf Black Lives Matter mit All lives matter antwortet, hat das Problem nicht verstanden.“ Sie meint: Wer nicht sieht, dass in Deutschland Schwarze Menschen anders behandelt werden als weiße, verstehe Rassismus nicht. Gleichberechtigung ist eines der zentralen Anliegen von Enissa Amani. Frauen, Männer und Nicht-Binäre, People of Colour, Black People of Colour und Weiße, Christentum, Judentum und Islam. Auf Instagram bezeichnen ihre Fans sie deshalb als „Gerechtigkeits-Queen“.

Politik hat in Enissa Amanis öffentlichen Auftritten schon immer eine Rolle gespielt. 2014 ruft sie zu Spenden auf für die Opfer des Taifuns auf den Philippinen, 2015 postet sie ein Bild von Karl Marx’ Grab, 2016 versucht sie, auf eine AfD-Wahlparty in Köln zu gehen für ihre Show „Studio Amani“. Die Party fand dann nicht statt, sie zeigt trotzdem ihr Outfit: eine weiße Ku-Klux-Klan-Mütze. Seit 2017 häufen sich Amanis politische Statements. Es ist auch das Jahr, in dem sie Deutschland für einen Moment hinter sich lässt, um sich im Ausland auszuprobieren. Ihre zweite eigene Fernsehshow bei Pro7 war abgesetzt worden, der raketenhafte Aufstieg vom Sommer 2013 bis Ende 2016 flachte ab.

Auf dem kleinen Metalltisch des Café Ypsilon in der Berger Straße in Frankfurt liegt Amanis Telefon. Auf ihrer Smartphone-Hülle ist ein Bild des Rappers Tupac Shakur, zwischen halbtransparenter Hülle und Telefon stecken 40 Dollar. Ihre erste Gage für eine kleine Stand-up-Show im New Yorker Comedy Cellar. Dort trat auch schon Dave Chappelle auf. Amani ist stark geprägt von der US-amerikanischen Stand-up-Szene, für die Politik und Showbusiness keine Widersprüche sind.

Diese 40 Dollar unter der Telefonhülle bedeuten Amani etwas. Sie stehen dafür, dass sie es geschafft hat, wieder. Beim Erzählen kommt sie ins Schwärmen. Die Bühnen von New York, Los Angeles oder London sind Räume, die sie sich erobert hat, die sie auch in ihrer Identität bestärkt haben. Im Ausland wurde sie „the German Girl“ genannt, das deutsche Mädchen. Nicht das iranisch-deutsche Mädchen. Sie sagt: „Ich habe diese Phase gebraucht, um mich zu finden.“

Enissa Amanis Erfolgsgeschichte ist eine Emanzipationsgeschichte. Von einem Flüchtlingskind, das aus einem gut ausgebildeten Elternhaus kommt, aber in einem Land aufwächst, das nicht die Heimat der Eltern ist. Es ist die Geschichte von einem Kind, das mit alltäglichem Rassismus im Frankfurter Stadtteil Griesheim aufwächst, ihn erst nicht wahrnimmt und dann nicht mehr aufhören kann, ihn zu sehen. Es ist die Geschichte einer Frau, die sich gerne mädchenhaft gibt, als erwachsene Frau bevormundet wird und erst im Laufe ihrer kometenhaften Karriere gelernt hat, Nein zu sagen.

„Ich wollte Menschen früher immer gefallen. Wir Frauen wollen gemocht werden. Aber dann habe ich gemerkt: Die mögen mich auch so.“ Das Nicht-gefallen-Wollen befreit sie vom unpolitischen Everybody’s-Darling-Sein. Ihren Erfolgsschlüssel entwickelt sie immer weiter: wie eine Schönheitskönigin auszusehen und dann wie eine Straßenaktivistin zu sprechen.

Im April 2018 sitzt sie bei „Hart aber fair“. Kurz vorher hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer gesagt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Seit Beginn der Sendung wippt Enissa Amani mit den Beinen. Die Kamera zeigt sie oft, sie sieht gut aus. Es fällt ihr sichtlich schwer, nicht zu sprechen. Nach etwa zehn Minuten richtet Frank Plasberg das Wort an sie: „Frau Amani …“ Noch bevor er weiterreden kann, atmet sie Worte mit einem Stoß aus, als hätte sie bisher die Luft anhalten müssen: „Gott sei Dank, sprechen Sie mich an.“

Sie spricht schnell, sie spricht viel, sie bildet viele Nebensätze, aber sie kommt immer zum Punkt. Sie nimmt Raum ein, sie will überzeugen – dass der Islam nicht per se gewalttätig sei. Als Plasberg sie unterbrechen möchte und an sie herantritt, nimmt sie erst seinen Arm, als das nicht hilft, steht sie auf und hält seine beiden Schultern. Es sind Dominanzgesten, die sie überaus freundlich ausführt.

Die Reaktionen auf ihren Auftritt etwa in Welt und FAZ sind eher negativ. Die Zeitungen bemängeln ihren Stil, sie sei nicht stringent genug gewesen, habe einen „Worte-Tsunami“ in die Sendung gegossen, die Gefahr des Islam nicht ernst genug genommen. Der Auftritt beschäftigt sie auch zweieinhalb Jahre später. „Ich würde noch immer jedes meiner Argumente aus der Sendung unterschreiben. Aber vielleicht hätte ich sanfter sein sollen.“

Dabei ist es genau die Dringlichkeit in Amanis Sprechen, für die viele sie feiern. Die jungen Stimmen auf Twitter, Facebook und Instagram. Jene, die das Gefühl haben, da spricht eine wie sie, tritt konsequent für ihre politische Meinung ein – und scheut dabei auch die direkte Auseinandersetzung nicht.

August 2019. Auf einer Kundgebung der rechten Bürgerbewegung Pax Europa in Solingen tritt unter anderem Michael Stürzenberger auf, ein rechtsextremistischer Autor, der bereits wegen Volksverhetzung verurteilt wurde. Auf der Gegendemonstration spricht Enissa Amani. Im olivgrünen Overall und großer Sonnenbrille ruft sie, dass sie stolz sei, Deutsche zu sein, und diese anderen Deutschen da drüben, für die würde sie sich schämen. Sie wird ungehalten, will rüber. Die Szenen sind auf Youtube und auf Enissa Amanis Instagram-Kanal dokumentiert.

„Ich habe immer das Gefühl, ich stehe unter Beobachtung. Leute denken: Die Iranerin spricht“

Enissa Amani

Zwischen ihr und den Rechten steht eine Absperrung, stehen Polizist*innen. Sie fängt an, mit einem Polizisten zu diskutieren – und überzeugt ihn. Er lässt sie durch die Absperrung, hält ihr sogar seine Hand hin, damit sie besser rüberkommt. Dann geht sie zu Stürzenberger, Einzelne aus der Gegendemo folgen ihr. Sie stellt sich mitten unter die Rechten, der verblüffte Stürzenberger überlässt ihr das Mikrofon. Einen halben Meter von ihrem politischen Feind entfernt argumentiert sie dann für die Gleichbehandlung aller Religio­nen. Sein Mikro bekommt Stürzenberger nur mühsam wieder.

Jetzt beschäftigt Enissa Amani gerade eine juristische Auseinandersetzung mit Andreas Winhart. Die Geschichte beginnt mit einem Video auf Instagram, in dem Amani den bayerischen AfD-Politiker indirekt als Bastard und Idioten bezeichnet. Zuvor hatte er auf einer Rede Afrikaner mit dem N-Wort diffamiert und alle Albaner als Diebe. Juristisch belangt wird er für diese Aussagen nicht, dafür aber beschimpft von Amani. Erst in einem nächtlichen Instagram-Video, dann mit dem Song „Fck AfD“. Winhart zeigt Amani an.

Im Juni dieses Jahres verweigert sie die Aussage zum Fall. Erst wenn der Politiker für seine rassistischen Beleidigungen belangt werde, würde auch sie eine Strafe dafür zahlen, dass sie ihn als Bastard bezeichnet hat. Der Satiriker Jan Böhmermann kommentiert auf Twitter vor seinen zwei Millionen Followern: „Enissa Amanis argumentativer Ansatz im Umgang mit diesem bayrischen AfD-Trottel („Ja, egal, der Bastard soll die Fresse halten!“) ist schlauer und produktiver als drei Bücher von Daniel-Pascal, Maximilian und Per und bringt uns als Gesellschaft wieder zusammen.“

Tatsächlich hat Enissa Amani die Macht, über ihre Reichweite Menschen zusammenzubringen. Sie kann in politischen Diskussionen mitreden, als Showstar aber auch Massen für ein Thema begeistern. Sie ist für manche ein Vorbild und ermutigt junge Menschen, selbst für ihre Rechte auf die Straße zu gehen.

Eine Black-Lives-Matter-Aktivistin zitiert Amani diesen Sommer auf einer Demo mit den Worten: „Sich gegen Unrecht einzusetzen, egal wann und egal wo, ob kleines oder großes Unrecht, ist nicht nervig, sondern nötig. Es ist Pflicht!“ Das Publikum jubelt.

Während des Treffens im Ypsilon halten immer wieder junge Frauen an und wollen ein Foto mit Amani. Eine von ihnen, Merve, vielleicht Anfang 20, sagt: „Ich feier dich so!“ Aus Sabine, noch jünger, bricht es später heraus: „Ohmeingott!“ Es sind Momente, in denen ihre Fans den Raum dieser eher kleinen, intimen Gesprächsatmosphäre auf der Berger Straße weiten.

Kurz vor dem Ende des Gesprächs übergibt ihr eine Frau wortlos, vertrauensvoll, eine Postkarte. Die Frau will das Gespräch nicht stören, will kein Foto. Auf der Karte ist eine handgezeichnete Skizze von einem Handschlag, auf der Rückseite steht: „Liebe Enissa, danke für deine Arbeit. Bleibe bitte laut, mutig und stark.“

Es sind diese jungen Menschen, die bei der Vorstellung ins Träumen kommen, eine wie Amani würde Kanzlerin. Eine Nutzerin schreibt auf Twitter: „seitdem du da bist, habe ich endlich wieder ein wenig Hoffnung, das WIR doch noch noch etwas verändern können. Selbst wenn es manchen Leuten nur zum Nachdenken anregen wird. #enissaamaniarmy #ehrenfrau #inspiration #enissaforpresident“. Sie selbst sagt später auf Nachfrage per E-Mail: „Ich schließe generell keinerlei Ambitionen aus, völlig egal wie klein oder groß.“

Was Enissa Amanis Vater zur angekündigten Kanzlerkandidatur sagt? „Für mich ist Enissas Kühnheit, große Ziele zu haben, überzeugend. Alle müssen sich an der Demokratie beteiligen, so verstehe ich Marx.“ Seine Augen werden dabei groß. Da ist er wieder, der Stolz.

Als Frau mit persischem Namen sich so explizit politisch zu äußern, ist in Deutschland aber auch gefährlich. Enissa Amani erhält Morddrohungen, rassistische Beleidigungen. Alltagsrassismus hat sie schon früh erlebt. Leute haben gesagt: Euer Essen stinkt! Oder: Freu dich nicht für die Nationalmannschaft. Du bist doch keine Deutsche. „Ich dachte früher, Rassismus ist, wenn mich jemand mit Springerstiefeln tritt oder jemand unser Haus anzündet. Dass das schon viel früher beginnt, ist mir erst später bewusst geworden.“ Seitdem sieht sie ihre Ungleichbehandlung sehr deutlich.

„Ich habe immer das Gefühl, ich stehe unter Beobachtung. Leute denken: Die Iranerin spricht.“ Dieses Gefühl treibt sie aber auch an, ist Motor. Wenn die Deutschen sie nicht als deutsches Mädchen bezeichnen, dann macht sie es eben selbst. Ihre nächste Tour, wenn das Touren wieder geht, heißt: „The German Girl.“ In der „Hart aber fair“-Sendung 2018 sagt sie, sie stehe für ein neues Deutschland. Und wer ihr widerspricht, dem legt sie mit einem Lächeln die Hand auf den Arm.

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