Colani der Desruptive: Ornament und Terror

Star-Designer Luigi Colani verband mehr als nur die Liebe zu Kurvigem mit dem Jugendstil. Das Bremer Paula-Modersohn-Becker-Haus zeigt die Nähe.

Zwei Liegen iin einem Bildersaal

Couch mal anders: typisches rundes Colani-Design Foto: Friedemann Kohler/dpa

BREMEN taz | Das derzeit im Bremer Paula-Modersohn-Becker Haus groß ausgestellte Bild mutet an wie ein Plattencover aus den 1970ern: Ein Mann in Jeans, mit langen Haaren und mächtigem Schnurrbart lehnt lässig auf einem Stuhl, den Blick freundlich, aber herausfordernd in die Kamera gerichtet. Oben rechts steht in Versalien geschrieben: DER COLANI.

In der Tat ist Luigi Colani selbst auf diesem Bild zu sehen – der Colani allerdings ist der Name des gelb-orangefarbenen Stuhls, den er mit diesem Bild bewarb und mit dem er tatsächlich zu Ruhm gelangte; unter anderem.

Knapp drei Jahre nach seinem Tod kann der in Berlin geborene Colani, der selbst immer etwas größer, etwas spektakulärer und insgesamt „etwas anders“ wirken wollte, getrost als einer der wichtigsten deutschen Designer der Nachkriegsjahre bezeichnet werden, als Visionär geradezu – selbst wenn längst nicht alle der von ihm entworfenen Produkte den gewünschten Erfolg erzielten; vielleicht sogar deshalb.

Denn trotzdem revolutionierte Colani nicht nur das deutsche Design mit seinen speziellen Formen in den 70er-Jahren. Er war dabei für viele internationale Unternehmen wie Fiat, Canon oder Villeroy & Boch tätig. Zugleich inszenierte er sich immer gerne als Outsider.

„Einer der letzten Terroristen“

„Ich bin einer unheimlichen Verfolgung ausgesetzt gewesen, weil ich einer der letzten Terroristen bin, der geistigen Terroristen“, sagte Colani einst in einem Interview aus dem Jahre 1985: „Ich bin ‚Baader-Meinhof‘ des Designs! Wir haben immer Bomben gelegt, unheimlich Unruhe gestiftet.“ An anderer Stelle führte er aus: „70 Prozent meiner Dinge sind nicht in Serie gegangen. Das waren Appetitanreger für die Industrie. Arschtritte. Backpfeifen. Schmähungen für die Industrievorstandsetagen.“

Wer solche Sätze sagt, will polarisieren. Mit seinen Objekten aber schuf er Besonderes. Genau deshalb sei es jetzt an der Zeit, eine Neubewertung vorzunehmen, findet Frank Schmidt, der Direktor der Museen Böttcherstraße. Und genau dies passiert in den Räumen des Paula-Modersohn-Becker-Museums in Bremen derzeit, unter dem Titel „Luigi Colani und der Jugendstil. Natur Mensch Design“. Im Berliner Bröhan-Museum war die Ausstellung bereits im vergangenen Frühjahr zu sehen.

Wer die Ausstellung betritt, darf im Eröffnungsraum schon mal probesitzen: Inmitten der Werke von Paula Modersohn-Becker stehen ein Sessel und eine Liege, die Colani einst für Kusch und Co. entworfen hat. So kann man sich direkt in den Ansatz hineinfühlen, die Objekte des Designers anderen Werken gegenüberzustellen: Werke des floralen Jugendstils, der nach Angaben Colanis einziges Vorbild seiner Entwürfe war.

Das liegt nahe: Die Hauptvertreter des Jugendstils wie Hector Guimard oder Henry van der Velde wollten wie Colani die Grenzen zwischen Kunst und Design auflösen und arbeiteten dafür mit der Natur entlehnten Formen. Dahinter stand die Überzeugung, dass die Antwort der Gestaltung auf technischen Fortschritt nur in der Natur liegen könne.

Im ersten „eigenen“ Ausstellungsraum zeugen sieben Stühle von Colani von der Ideenvielfalt des Designers. Daneben ist ein Teil von Hector Guimards legendärer Verschönerung der Pariser Gare de Lyon ausgestellt: „Die Stuhlreihe soll assoziativ zeigen, wo die Verbindungslinien liegen“, sagt Kuratorin Henrike Hans. Die Verbindung der Formensprache zieht sich durch die gesamte Ausstellung.

Luigi Colani, Designer

„Ich bin ‚Baader-Meinhof‘ des Designs!

Wir haben immer Bomben gelegt,unheimlich Unruhe gestiftet“

Besonders eindrucksvoll gelingt dies im Raum mit dem genannten Colani-Stuhl: Ein vom Worpswede-Architekten-Bildhauer Bernhard Hoetger im Jahre 1927 erstellter Stuhl zeigt die Nähe deutlich auf. Der 70er-Jahre-Designer hatte seine Paradestücke übrigens zunächst in kleiner Form unter dem Namen „Zocker“ für Kinder entworfen worden; nach dessen Erfolg entwarf er das Erwachsenen-Modell.

Schön zu sehen auch die Verbindung zwischen dem für „Villeroy & Boch“ entworfenen Doppelwaschbecken und einer um 1897 entstandenen Blumensäule von Johan Georg Asplund. Eine Gegenüberstellung der besonderen Art findet sich im Treppensaal des Ludwig-Roselius-Hauses:

Hier wurde die Wohnlandschaft „POOL“ aufgebaut und darf einen skurrilen Konrast zu den vorhandenen Gemälden bilden. Auch der Zeichner Colani und der Freund schneller Autos findet sich an anderer Stelle, ebenso wie der naturbewusst denkende Mann, der seiner Zeit weit voraus war – von seinem Laster in aerodynamischer Haiform wurden immerhin zehn Exemplare produziert.

Hatte das Haus mit dieser zunächst nicht ganz typisch anmutenden Ausstellung eigentlich einen „Blockbuster“ im Blick? Nein, sagt Frank Schmidt, der Direktor der Museen Böttcherstraße – auch angesichts dessen, dass das Interesse an Colani zuletzt sehr nachgelassen hatte: „Es war unser Anliegen, seine Ideen und Visionen, die heute wieder oder weiterhin aktuell sind, vorzustellen und wieder ins Bewusstsein zu rücken.“ Das gelingt – weil die Ausstellung sich aufs Werk Colanis konzentriert, nicht die Person.

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