Cohn-Bendit über die Sozialdemokratie: „Sehnsüchte gemeinsam bündeln“
Wie kann sich die Sozialdemokratie retten? Daniel Cohn-Bendit fordert eine Fusion von SPD und Linkspartei – und glaubt an einen grünen Kanzler.
taz: Kann sich die SPD noch retten, Herr Cohn-Bendit?
Daniel Cohn-Bendit: Es geht um die Rettung der Sozialdemokratie, nicht der SPD. Die Linke ist sozialdemokratisch, die SPD soll wieder eine werden. Also rettest du die Sozialdemokratie, wenn die zersplitterten Linken zusammengehen. 13 und 7 bei der jüngsten Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen sind zusammen 20 Prozent, damit ist man wieder ein Machtfaktor.
Das klingt utopisch.
Wieso? Ein bisschen Nato-Dissens – okay, das muss man regeln. Aber es gibt keinen Grund mehr, dass die nebeneinander herlaufen. Positiv kann man sagen, dass Katja Kipping und Kevin Kühnert sehr gut in eine Partei passen. Sollen sie ihre Sehnsüchte gemeinsam bündeln.
Wer sollte die Fusion in der Linkspartei voranbringen?
Tja. Wenn Gregor Gysi noch dran wäre, würde er das aussprechen können. Gysi hat seine Partei auch in der EU-Frage auf den Boden zurückgeholt. Für uns ist Europa nicht verhandelbar, hat er immer gesagt.
Was hat die Gesellschaft von einer sozialdemokratischen Fusion?
Sie hat wieder eine echte Wahl und klare Alternativen.
Inwiefern?
Deutschland hat dann eine sozialdemokratische Partei, eine liberal-sozialökologische und eine christlich-demokratische, alle in vergleichbarer Größe. Dazu eine undefinierbare liberale Position, die um fünf Prozent kämpft und eine rechtsradikale Partei. Also regieren die Grünen entweder mit den Sozialdemokraten oder den Christdemokraten. Beziehungsweise, um zu dieser Konstellation zu kommen, regieren sie erst mit den Christdemokraten und dann den Sozialdemokraten.
Grüne und fusionierte Sozialdemokraten kriegen eine Mehrheit?
Wenn die SPD mit der Linken zusammengeht, gibt es bei der übernächsten Wahl eine grün-rote Mehrheit.
Warum geht die SPD immer weiter runter und die Sozialdemokraten in Frankreich erholen sich leicht?
Grundsätzlich ist es so: Wenn traditionelle Parteien auf ihren traditionellen Positionen bleiben, dann werden sie immer kleiner. In Frankreich sind die Sozialisten bei 6, Hamon ist mit seiner Abspaltung bei 3, die Grünen, die dort klar links sind, sind bei 13, weil sie stark von Macron-Gegnern gewählt werden.
Aber in Deutschland ist bei der EU-Wahl die SPD, in Frankreich sind die mitte-rechts-Republikaner richtig runtergegangen und haben nur noch acht Prozent.
Das liegt daran, dass die Grünen eine Mitte-sozialökologische Partei sind, die die SPD verdrängt. In Frankreich verdrängt Macron nach rechts die Republikaner. Die Union hält deshalb noch länger, weil die Grünen nicht so weit in die rechte Mitte gegangen sind wie Macron.
Die linksliberale Liberation nennt Macron jetzt die eigentliche rechte Partei.
Das liegt daran, dass die Mitte die rechte Seite ersetzt. Macrons Mitte geht weiter nach rechts, als die deutschen Grünen jemals können. Macron hat die ganzen Stadtteile in Paris gewonnen, die früher Republikaner gewählt haben. Und Macron hat viele Prozent an die Grünen verloren, trotz seiner ökologischen Positionierung.
Warum genau?
Die französischen Grünen sind so im linken rotgrün-Paradigma verhaftet, wie die Deutschen es 1998 waren. Nur dass sich das jetzt auf grün-rot umdreht. Sie haben die Illusion der Opposition. Und dann ist da die Atomfrage. Macron will den Anteil der Atomkraft zwar von 75 auf 50 Prozent verringern, ist für die grundsätzliche Beibehaltung mit dem Argument, sie sei klimaneutral. Die Grünen sind als einzige für den Ausstieg.
Atomkraftwerke weiter laufenlassen, um die Reduktionsziele der EU zu erreichen, das wird auch die deutschen Grünen richtig herausfordern, so sie denn in Verantwortung kommen.
Das stimmt, das geht nicht. Am Ende wird Deutschland dann Atomstrom aus Frankreich importieren müssen, um die Klimaziele zu erreichen, das heißt schneller aus der Kohle auszusteigen. Und man wird in der Verteidigungsfrage akzeptieren müssen, dass die Franzosen Atomwaffen haben. Das wird zur Sicherheitsarchitektur Europas dazugehören.
Das klingt nach einer Realität, die die Grünen heillos überfordern könnte.
Deshalb wird es Zeit für den Grünen Kanzler. Das wird dazu führen, dass alle Grünen realistisch werden müssen, in Deutschland und im EU-Parlament.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Krisentreffen nach Sicherheitskonferenz
Macron sortiert seine Truppen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau