Clubsterben in Berlin: Ein Grabstein für das Watergate
In Berlin schließen derzeit mehr Clubs, als neue aufmachen. Eine Initiative stellt nun Steine auf, um an ehemalige Partyorte zu erinnern.
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Ist Berlin auf dem Weg dahin, ein Club-Friedhof zu werden? Sind die Jahrzehnte vorbei, in denen die Stadt kaum etwas tun musste für ihren weltweiten Ruf als Feiermetropole? Anzeichen dafür mehren sich, und nun hat sich ganz praktisch vor dem Eingang zum ehemaligen Club Watergate ein Grabstein für eben jenen Club manifestiert. Aufgestellt hat ihn nach eigenen Angaben die Initiative „Steinzeit.Alter“, die damit auf das Clubsterben aufmerksam machen will. Das Watergate hatte zum Jahresende geschlossen, die Betreiber hatten den Vertrag nicht verlängert, weil es sich finanziell nicht mehr gelohnt habe, wie sie sagten.
Nun bricht dort ein glänzend polierter, rötlicher Grabstein aus den kleinen, quadratischen Pflastersteinen des Bürgersteigs hervor. Eingraviert ist das W im Watergate-Schriftzug, geformt aus zwei abgerundeten Bögen, die in der Mitte statt durch eine Spitze nach oben mit einer kleinen Schlaufe verbunden sind. Darunter die Jahreszahlen: 2002-2024.
Zwei Grablichter stehen rechts und links neben dem Stein, die Kerzen brennen noch. Rosen und Tulpen liegen davor, silbernes Glitzerkonfetti drumherum, außerdem eine Kreuz-Bube-Spielkarte und – vermutlich weniger absichtlich – braune Bierflaschenscherben und ein Kronkorken. Auch zahlreiche Watergate-Sticker an den umliegenden Laternenmasten erinnern noch an den Club.
Blickfang für Tourist*innen
Die Voraussetzungen sind gut, dass der Grabstein zur Sehenswürdigkeit wird: Hier, direkt an der Oberbaumbrücke, kommen viele Tourist*innen vorbei und der Stein fällt auf. Eine etwa dreißigjährige Frau in Leggins und weißer Daunenjacke hält am Montagmittag kurz inne. Sie geht dicht vor dem Stein in die Hocke, um eine bessere Perspektive für ihr Foto zu bekommen. Mit etwas mehr Abstand bleibt ein Pärchen vor dem Stein stehen. Die beiden Mittzwanziger sind aus den Niederlanden, sie verbringen ein Wochenende in Berlin. Gehört haben sie schon vom Watergate, na klar. „I never went“, sagt der Mann, es klingt bedauernd. „But I know it was a cool place.“
Zwei etwa fünfzigjährige Frauen laufen vorbei, sie unterhalten sich auf türkisch, ihr Blick streift den Stein. Ob hier wohl ein Kind begraben ist, fragt sich die eine. Nein, kein Kind, ein geschlossener Club. „Achso, dann hat sich jemand umgebracht, weil der Club schließen musste?“, vermutet sie weiter. Ihre Freundin beruhigt sie. Hier sei kein Mensch gestorben. Die erste lacht erleichtert. Und fügt dann an: „Aber dass es den Club nicht mehr gibt, ist ja auch schlimm und traurig.“
Das Kollektiv kündigt auf Instagram an, dass sie weitere Grabsteine vor ehemaligen Clubtüren aufstellen wollen. Die Steine stammten von aufgelösten Gräbern. „Die Auftragsbücher sind voll“, schreiben sie. Denn: „Hier werden nicht nur Türen geschlossen, hier verklingt das Echo einer Stadt.“
Apropos Echo: Etwas weniger auffällig, zwei Meter vom Grabstein entfernt, glitzert ein Stolperstein im Pflaster. „Hier wohnte Lieselotte Moses, geb. Gerson“, steht darauf. 1914 geboren, war sie 1943 deportiert und in Auschwitz ermordet worden. Die Falckensteinstraße 49, dort, wo später das Watergate eröffnete, war ihre letzte Wohnadresse.
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