Circlusion statt Penetration beim Sex: Ärmel hoch und ab ins Pussy-Bergwerk!
Die Circlusion sollte einst den Hetero-Sex revolutionieren. Neun Jahre danach ficken wir immer noch wie zuvor. Es ist nicht zu spät: ein paar Vorschläge.

V on Beziehung bis Waschmaschine – praktisch nichts hält zehn Jahre in unserer Zeit, aber Bini Adamczaks Artikel über Circlusion, vor neun Jahren im Missy Magazine und in Analyse & Kritik erschienen, ist mir so gegenwärtig, als wäre er von letzter Woche. Bini Adamczak hat darin das Wort Circlusion kreiert, das ein anderes Wort, Penetration nämlich, ergänzen soll.
„Das Wort Circlusion […] ermöglicht uns, über manchen Sex anders zu sprechen“, schrieb sie, und ich jubelte, ja, ja, ja, genau, über den zwischen Cis-Heteros, das wird aber auch Zeit. „Es wird benötigt, weil das Elend der Penetration noch immer das heteronormative Imaginäre regiert“, führte sie weiter aus. „Fast unangefochten fungieren Dildo oder Penis als praktische Zeichen von Macht.“
ist Autorin. Zuletzt erschien von ihr: „Ab ins Bett! Sexuelle Späterziehung“, Voland & Quist, 264 Seiten, 20 Euro
Wenn wir also nicht mehr nur davon sprechen, dass der Penis eindringt, sondern sagen, die Vagina circludiert ihn, hebeln wir mit Eleganz hartleibige patriarchale Muster aus. Yeah!
Aber Moment mal, Bini Adamczaks Artikel und das Wort Circlusion haben Anfang nächsten Jahres zehnjähriges Jubiläum. Wie weit sind wir denn mit der Circludiererei gekommen? Mir bleibt das Yeah in der Kehle stecken. Mein Eindruck nämlich: Das Wort Circlusion hat sich nicht durchgesetzt, und der reale Hetero-Sex ist peniszentriert und funktioniert in seiner Struktur und Zielsetzung, als hätten wir 1955 und nicht 2025.
Verdammt, das mit der Revolution hat nicht geklappt. Warum hat das Wort nicht gezündet? Bini Adamczak ahnte es vielleicht selbst schon in ihrem Artikel: „Die Bedeutung eines Zeichens [entsteht] erst in der Verwendung“. Um sie auszuhebeln, reicht es also nicht, über Machtstrukturen im Bett zu reden. Damit das letztlich klappt, müssen wir (vor allem wir Hetero-Cis-Leute) konkret miteinander ficken. Und zwar anders, als wir das bisher getan haben.
Dass wir immer noch diese Nachkriegschoreografie von Vorspiel, Akt, Nachspiel absolvieren, der Sex peniszentriert ist und wir einen Orgasm Gap so tief wie der Marianengraben haben, ist nicht so sehr das Problem der Männer, weshalb sie kaum zur Tat schreiten und hieran etwas ändern werden. Dass derjenige, der die Macht hat, keinen Anlass sieht, sie abzugeben, ist eine Binsenweisheit. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Männer den Vorwurf von sich weisen würden, im Bett die Chefs zu sein, im Gegenteil: Viele von ihnen empfinden den Sex als gleichberechtigt. Frauen empfinden ihn aus Bequemlichkeit gleich mal genauso.
Ja, klar, rumliegen und penetriert werden, ist gemütlicher, als sich aufzurichten (buchstäblich und metaphorisch) und eine Stunde lang zu circludieren. Da käme frau aber ziemlich ins Schwitzen und würde merken, dass sie weder ihren Beckenboden noch ihre Vagina trainiert hat. Wie jetzt? Vagina trainieren auch noch? Geht es hier wieder um Selbstoptimierung? Nee, es geht um Selbstermächtigung.
Dass der G-Punkt nach wie vor umstritten ist, obwohl er nicht tief in der Tiefsee liegt, sondern in der Vagina, hat auch damit zu tun, dass Frauen immer noch schamvoll sind in Bezug auf ihre Genitalien. Beim Masturbieren, 5,5 Minuten lang im Schnitt, bespielen sie fast ausschließlich ihre Klitorisperle. Die Vagina wird nicht einbezogen, weshalb sie bei der Mehrheit der Frauen weitgehend gefühllos ist und auch der G-Punkt nicht gespürt werden kann. Daher die auf Umfragen basierende Forschungsmeinung, es gäbe ihn nicht.
Wie das Wort G-Punkt erst dann Wirkmacht haben wird, wenn Frauen die konkrete Stelle in ihrer Vagina erfahren, kann das Wort Circlusion erst dann patriarchale Strukturen aufbrechen, wenn Frauen beim Sex die passive Rolle ablegen und sich entscheiden, Penisse zu nehmen. Und das geht nun mal nicht mit einer Vagina, die ein gefühlloser Schlauch ist.
Also Ärmel hochkrempeln und ab ins Pussy-Bergwerk. Reinschauen, reinfassen, entpanzern, auf du und du sein, mit dem eigenen Schoßraum ist die Devise, die ich ausgebe, damit wir Anfang 2026 lustvoll cirkludierend das Zehnjährige von Bini Adamczaks wegweisendem Artikel begehen können. Das wird knapp, aber wenn wir uns jetzt committen, können wir es noch schaffen.
Wie kann das konkret aussehen? Zunächst mal müssen wir anders masturbieren, eine halbe Stunde lang statt 5,5 Minuten. Erst die Vulva und die Klitoris bespielen und dann den Innenraum in Kreisen und von hinten nach vorne drücken und massieren (Gleitgel oder Kokosöl nicht vergessen). Die ersten vielen Male werdet ihr dabei nicht viel fühlen oder sogar unangenehme Empfindungen haben. Aber Durchhalten lohnt sich. Irgendwann kennt ihr von G bis U das Lustpunkt-Alphabet eurer Vagina und könnt damit beim Sex ganz neue Wörter formulieren. Circlusion zum Beispiel, weil eine fühlende Vagina Bock darauf hat, sich einen Penis einzuverleiben, und zwar vielleicht genau so, dass er ihre Lustpunkte trifft und massiert.
Pulsierendes, lebendiges Organ
So eine Vagina ist keinesfalls mehr die Scheide für das Schwert des Mannes, sondern ein pulsierendes, lebendiges Organ. Patriarchale Strukturen im gemeinschaftlichen Machen auflösen – irre. Auch die Typen werden das nämlich genießen, wenn sie es erst einmal kennen – nicht mehr ackern und rackern und an der Klitoris schrauben zu müssen, sondern ein Gegenüber zu haben, das sich zuverlässig nimmt, was es braucht.
Apropos braucht: Die vaginale Lust hat anders als die klitorale mit Entspannung zu tun, statt mit Anspannung, das heißt, Tönen und tiefer Atem sind Key für Ganzkörperorgasmen. Damit die sexuelle Begegnung ein bisschen dauert, sollte frau vielleicht noch Hüfte und Beckenboden trainieren, aber das sollte mensch ja eh im Zuge der Ganzkörperertüchtigung.
Was ich also sagen will: Das Wort Circlusion ist nichts wert, wenn wir es nicht mit Leben füllen, indem wir radikal Verantwortung für unsere Lust übernehmen. Erstens über eine sinnvolle Masturbationspraxis und zweitens darüber, dass wir beim Zweiersex die passive Rolle ablegen und lustvoll circludieren – und damit auch den Mann aus der Verpflichtung entlassen, zu penetrieren und zu delivern.
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