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Circlusion statt Penetration beim SexÄrmel hoch und ab ins Pussy-Bergwerk!

Gastkommentar von Susann Rehlein

Die Circlusion sollte einst den Hetero-Sex revolutionieren. Neun Jahre danach ficken wir immer noch wie zuvor. Es ist nicht zu spät: ein paar Vorschläge.

Vielschichtige Angelegenheit: Vulva und Vagina sollten von innen wie außen bearbeitet werden Foto: David Weimann/plainpicture

V on Beziehung bis Waschmaschine – praktisch nichts hält zehn Jahre in unserer Zeit, aber Bini Adam­czaks Artikel über Circlusion, vor neun Jahren im Missy Magazine und in Analyse & Kritik erschienen, ist mir so gegenwärtig, als wäre er von letzter Woche. Bini Adamczak hat darin das Wort Circlusion kreiert, das ein anderes Wort, Penetration nämlich, ergänzen soll.

„Das Wort Circlusion […] ermöglicht uns, über manchen Sex anders zu sprechen“, schrieb sie, und ich jubelte, ja, ja, ja, genau, über den zwischen Cis-Heteros, das wird aber auch Zeit. „Es wird benötigt, weil das Elend der Penetration noch immer das heteronormative Imaginäre regiert“, führte sie weiter aus. „Fast unangefochten fungieren Dildo oder Penis als praktische Zeichen von Macht.“

Susann Rehlein

Wenn wir also nicht mehr nur davon sprechen, dass der Penis eindringt, sondern sagen, die Vagina circludiert ihn, hebeln wir mit Eleganz hartleibige patriarchale Muster aus. Yeah!

Aber Moment mal, Bini Adamczaks Artikel und das Wort Circlusion haben Anfang nächsten Jahres zehnjähriges Jubiläum. Wie weit sind wir denn mit der Circludiererei gekommen? Mir bleibt das Yeah in der Kehle stecken. Mein Eindruck nämlich: Das Wort Circlusion hat sich nicht durchgesetzt, und der reale Hetero-Sex ist peniszentriert und funktioniert in seiner Struktur und Zielsetzung, als hätten wir 1955 und nicht 2025.

Klar, rumliegen und penetriert werden, ist gemütlicher als eine Stunde lang zu circludieren

Verdammt, das mit der Revolution hat nicht geklappt. Warum hat das Wort nicht gezündet? Bini Adamczak ahnte es vielleicht selbst schon in ihrem Artikel: „Die Bedeutung eines Zeichens [entsteht] erst in der Verwendung“. Um sie auszuhebeln, reicht es also nicht, über Machtstrukturen im Bett zu reden. Damit das letztlich klappt, müssen wir (vor allem wir Hetero-Cis-Leute) konkret miteinander ficken. Und zwar anders, als wir das bisher getan haben.

Dass wir immer noch diese Nachkriegschoreografie von Vorspiel, Akt, Nachspiel absolvieren, der Sex peniszentriert ist und wir einen Orgasm Gap so tief wie der Marianengraben haben, ist nicht so sehr das Problem der Männer, weshalb sie kaum zur Tat schreiten und hieran etwas ändern werden. Dass derjenige, der die Macht hat, keinen Anlass sieht, sie abzugeben, ist eine Binsenweisheit. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Männer den Vorwurf von sich weisen würden, im Bett die Chefs zu sein, im Gegenteil: Viele von ihnen empfinden den Sex als gleichberechtigt. Frauen empfinden ihn aus Bequemlichkeit gleich mal genauso.

Ja, klar, rumliegen und penetriert werden, ist gemütlicher, als sich aufzurichten (buchstäblich und metaphorisch) und eine Stunde lang zu circludieren. Da käme frau aber ziemlich ins Schwitzen und würde merken, dass sie weder ihren Beckenboden noch ihre Vagina trainiert hat. Wie jetzt? Vagina trainieren auch noch? Geht es hier wieder um Selbstoptimierung? Nee, es geht um Selbstermächtigung.

Dass der G-Punkt nach wie vor umstritten ist, obwohl er nicht tief in der Tiefsee liegt, sondern in der Vagina, hat auch damit zu tun, dass Frauen immer noch schamvoll sind in Bezug auf ihre Genitalien. Beim Masturbieren, 5,5 Minuten lang im Schnitt, bespielen sie fast ausschließlich ihre Klitorisperle. Die Vagina wird nicht einbezogen, weshalb sie bei der Mehrheit der Frauen weitgehend gefühllos ist und auch der G-Punkt nicht gespürt werden kann. Daher die auf Umfragen basierende Forschungsmeinung, es gäbe ihn nicht.

Wie das Wort G-Punkt erst dann Wirkmacht haben wird, wenn Frauen die konkrete Stelle in ihrer Vagina erfahren, kann das Wort Circlusion erst dann patriarchale Strukturen aufbrechen, wenn Frauen beim Sex die passive Rolle ablegen und sich entscheiden, Penisse zu nehmen. Und das geht nun mal nicht mit einer Vagina, die ein gefühlloser Schlauch ist.

Also Ärmel hochkrempeln und ab ins Pussy-Bergwerk. Reinschauen, reinfassen, entpanzern, auf du und du sein, mit dem eigenen Schoßraum ist die Devise, die ich ausgebe, damit wir Anfang 2026 lustvoll cirkludierend das Zehnjährige von Bini Adamczaks wegweisendem Artikel begehen können. Das wird knapp, aber wenn wir uns jetzt committen, können wir es noch schaffen.

Wie kann das konkret aussehen? Zunächst mal müssen wir anders masturbieren, eine halbe Stunde lang statt 5,5 Minuten. Erst die Vulva und die Klitoris bespielen und dann den Innenraum in Kreisen und von hinten nach vorne drücken und massieren (Gleitgel oder Kokosöl nicht vergessen). Die ersten vielen Male werdet ihr dabei nicht viel fühlen oder sogar unangenehme Empfindungen haben. Aber Durchhalten lohnt sich. Irgendwann kennt ihr von G bis U das Lustpunkt-Alphabet eurer Vagina und könnt damit beim Sex ganz neue Wörter formulieren. Circlusion zum Beispiel, weil eine fühlende Vagina Bock darauf hat, sich einen Penis einzuverleiben, und zwar vielleicht genau so, dass er ihre Lustpunkte trifft und massiert.

Pulsierendes, lebendiges Organ

So eine Vagina ist keinesfalls mehr die Scheide für das Schwert des Mannes, sondern ein pulsierendes, lebendiges Organ. Patriarchale Strukturen im gemeinschaftlichen Machen auflösen – irre. Auch die Typen werden das nämlich genießen, wenn sie es erst einmal kennen – nicht mehr ackern und rackern und an der Klitoris schrauben zu müssen, sondern ein Gegenüber zu haben, das sich zuverlässig nimmt, was es braucht.

Apropos braucht: Die vaginale Lust hat anders als die klitorale mit Entspannung zu tun, statt mit Anspannung, das heißt, Tönen und tiefer Atem sind Key für Ganzkörperorgasmen. Damit die sexuelle Begegnung ein bisschen dauert, sollte frau vielleicht noch Hüfte und Beckenboden trainieren, aber das sollte mensch ja eh im Zuge der Ganzkörperertüchtigung.

Was ich also sagen will: Das Wort Circlusion ist nichts wert, wenn wir es nicht mit Leben füllen, indem wir radikal Verantwortung für unsere Lust übernehmen. Erstens über eine sinnvolle Masturbationspraxis und zweitens darüber, dass wir beim Zweiersex die passive Rolle ablegen und lustvoll circludieren – und damit auch den Mann aus der Verpflichtung entlassen, zu penetrieren und zu delivern.

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11 Kommentare

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  • Wouh! Danke!

    Zum üben eignet Tantra-Massage sich auch gut.

    Wenn dein/e Partner/Partnerin langsam die Vulvina von Außen nach Innen streichelt wird das Pussy-Bergwerk richtig vor-erkundet/schön feucht und heiß.

    Kokosöl eignet sich sehr gut als Gleitmittel (das Bio-Kokosöl für die Küche ist Super!).

    Später (nach diversen klitoralen Orgasmen) könnte Mann (Shiva) oder deine Partnerin (mit Hilfsmittel) ja nochmal in der Tiefe, am A-Punkt lustschürfen:

    Der A-Punkt liegt übrigens eher oben in der Tiefe der Vagina, am Muttermund:

    www.pille-danach.d...che-lust-steigern/

    Es kann sein, das Du ebenfalls ejakulierst, wie ein Mann, allerdings ist das reines Körperwasser bei Dir:

    de.wikipedia.org/w...bliche_Ejakulation

    Leg also am besten eine wasserfeste Moltonmatte unter beim lustvollen Erkunden deines Bergwerkes.

    Und vorher deine Blase gut leeren, das erleichet Dir das ejakulieren (engl. "squirten").

    Dem Himmel so nah! :-D

    OM Vulvina OM

  • Yeah! Auf geht's. Wir alle können uns viel mehr und auf Augenhöhe mit unserer Lust abseits von stumpfem Gef**ke beschäftigen und uns Zeit dafür nehmen. Ob Frau oder Mann oder divers. Solo und /oder mit anderen. Und ja, bitte lasst uns ein anderes Wort für Penetration finden, ob Circlusion griffig genug funktioniert bin ich jedoch nicht sicher. Allerdings kenne ich aber auch niemanden, wer den Begriff wirklich verwendet. Gleichzeitig wird Sex meist immer noch mit noch vorrangig mit eben dem gemeinten Penis in Vagina verstanden.

  • Sapperlot! Ein Artikel in der taz von einer Frau, der Frauen darauf aufmerksam macht, dass sie nicht nur Opfer der Umstände sind, sondern ihr Schicksal ein klein wenig selbst in der Hand haben.



    Am Ende kündigt sich eine neue, emanzipiertere Welle des Feminismus an.



    Dass ich das noch erleben darf.

  • Wer heute noch nicht weiß, wie die Pussy funktioniert, wird es mit dem Artikel leider auch nicht lernen. In der Schule, in Komedy, überall werden nun die Modelle der vollständige Klitoris behandelt. Dazu unendliche Möglichkeiten zur Aufklärung. Aber natürlich muss jede/r sich auf den Körper einlassen und es selber spüren. Viel Spass.

  • Schöner Artikel vielen Dank :)



    Wollte nur darauf hinweisen das Kokosfett Kondome reißen lässt…



    Hat also im Bett zu zweit nichts verloren.

  • Yeah. Wird finde ich viel zu selten thematisiert. Wenn man als Mann sagt, holt Euch was Ihr braucht, stellt man oft fest, das doch bei vielen noch enormes Entwicklungspotential besteht. Schön für Mann von Frau geschrieben zu lesen und macht wieder Lust auf mehr. Danke für den Artikel

  • Eine schöne Vision. Sex jenseits der Rollenklischees und Drehbücher im Kopf.

    Sex so zu "lernen", dass alle Partner dabei Lust und Spaß haben wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Die heutigen "Vorbilder" sind nicht solche Publikationen sondern Pornos.

    • @Benzo:

      Ja, früher hat man aus der Fachliteratur gelernt, wie Sex zu gehen hat. Deshalb war damals die weibliche Sexualität auch viel mehr Thema als heute, wo es nur noch Pornos gibt. Es war einfach alles besser.

      • @nihilist:

        Im Grunde ist es schade dass die zugänglichen Pornos v.a. alte Rollenklischees oder möglichst krasse Praktiken wiedergeben. Und die als gängig angenommen werden. Vielleicht bräuchten wir eine staatlich geförderte feministische Porno-Initiative. (wobei du auch empfinde das sich auch wieder viele so genannte feministische Pornos auch wieder denaelben Klischees und Machtgefällen in Violett hingeben statt eben aufeinander einzugehen - auch im Hinblick auf dieses ständige dominieren und devot sein, als wenn es nicht gemeinsam ginge)

  • Na, das ist doch mal was.



    Mutiger Artikel- mehr davon, bitte.

  • Oh my Goddess....was für eine Anmaßung.



    Wäre der Artikel von einem Mann geschrieben, würde man ihn wohl als mansplaining taggen.

    Menschen mit einem verkrampften Verhältnis zu ihrer Sexualität lassen sich eher nicht mit solchen Instruktionen im feministischen Kampfmodus anleiten. Da ist ein bisschen mehr Einfühlsamkeit angesagt. Es soll übrigens Menschen geben, denen es beim Sex genau darum geht, nicht um höher, schneller, weiter.

    Ansonsten: Menschen sind verschieden. Bitte lasst ihnen doch ihren individuellen Zugang zu ihrer Sexualität.