Chronik zum Tod von Oury Jalloh: Neun Jahre Aufarbeitung
2005 starb Jalloh im Dessauer Polizeirevier. Zwei Polizisten werden Jahre später zunächst freigesprochen. Bis heute zieht sich die rechtliche Klärung hin.
BERLIN taz | Vor über neun Jahren starb Oury Jalloh im Poliziegewahrsam. Die rechtliche Aufarbeitung seines Todes dauert noch immer an. Eine Chronik von 2005 bis 2014.
7. Januar 2005
Der Sierra Leoner Oury Jalloh wird am frühen Morgen in der Innenstadt von Dessau in alkoholisiertem Zustand festgenommen. Zwei Frauen hatten sich auf der Straße von ihm belästigt gefühlt. Er wird in das Polizierevier gebracht und auf einer gefliesten Zelle an Händen und Füßen fixiert. Ein Brand bricht aus, doch der zuständige Schichtleiter stellt den Feueralarm zwei Mal ab, statt Jalloh zu retten. Beim dritte Alarm ist es zu spät. Jalloh verbrennt. Erst bei einer zweiten Begehung der Zelle nach drei Tagen werden Überreste eine verkohlten Feuerzeuges gefunden.
April 2005
Die Leiche Jallohs wird im Auftrag der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ ein zweites Mal obduziert. Festgestellt wird beispielsweise ein gebrochenes Nasenbein.
Mai 2005
Die Dessauer Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen den seinerzeit zuständigen Dienstgruppenleiter des Reviers, Andreas S., wegen Körperverletzung mit Todesfolge, und gegen seinen Kollegen Hans-Ulrich M. wegen fahrlässiger Tötung. M. soll bei der Untersuchung Jallohs ein Feuerzeug übersehen haben. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft wäre eine Rettung möglich gewesen, wenn die Beamten rechtzeitig und richtig reagiert hätten. Die Ermittler schließen eine Einflussnahme von Dritten aus. Jalloh soll das Feuer selbst ausgelöst haben, um auf sich aufmerksam zu machen.
Oktober 2005
Das Landgericht Dessau-Roßlau lehnt die Zulassung der Anklage ab und fordert Nachermittlungen und Gutachten. Erst im Januar 2007 wird die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren gegen den heute 52 Jahre alten Andreas S. eröffnet. Nach Beschwerde der Staatanwaltschaft lässt das Oberlandesgericht in Naumburg im Monat darauf auch die Anklage gegen den zweiten Polizisten zu.
27. März 2007
Vor dem Landgericht beginnt unter strengen Sicherheitsvorkehrungen der Prozess. Zwei Rechtsanwälte vertreten Verwandte Jallohs als Nebenkläger. Es kommt zu skurillen Höhepunkten.
8. Dezember 2008
Das Landgericht Dessau-Roßlau spricht beide Polizisten aus Mangel an Beweisen frei. Die Polizeizeugen hatten sich vor Gericht immer wieder widersprochen und offensichtlich gelogen. Der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff war darüber derart erbost, dass er bei seiner Urteilsbegründung von einer „Schande für den Rechtsstaat" sprach. Er schloss mit den Worten: „Ich habe keinen Bock mehr, zu diesen Scheiß noch irgendetwas zu sagen.“ Im Gerichtssaal kommt es nach dem Freispruch zu Tumulten von zumeist afrikanischen Zuhörern.
Dezember 2008
Nur wenige Tage nach dem Richterspruch legt die Nebenklage beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe gegen das vollständige Urteil Revision ein, die Staatsanwaltschaft beantragt ebenfalls Revision, jedoch nur in Bezug auf den Freispruch für S.
Januar 2010
Der Bundesgerichtshof (BGH) hebt das Dessauer Urteil auf und leitet das Verfahren an das Landgericht Magdeburg zur Neuverhandlung. Unter anderem sehen die Bundesrichter die näheren Umstände von Jallohs Tod als nicht eindeutig geklärt sowie die Würdigung von Beweisen im erstinstanzlichen Urteil als lückenhaft an. Der Freispruch für Hans-Ulrich M. wird rechtskräftig.
12. Januar 2011
In Magdeburg beginnt die Neuauflage des Prozesses gegen Andreas S.
13. Dezember 2012
Der Polizist wird wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro verurteilt. Kurz darauf legen Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklagevertretung Revision ein. Zuständig dafür ist wieder der BGH, einen Termin für eine Entscheidung gibt es noch nicht.
11. November 2013
Die Gedenk-Initiative erstattet beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe Anzeige wegen Totschlags oder Mordes gegen unbekannte Polizeibeamte. Sie begründet dies damit, dass durch die Tat die innere Sicherheit der Bundesrepublik tangiert sei und als Tatverdächtige nur Beamte des Landes Sachsen-Anhalt infrage kommen. Dazu stellt sie einen Tag darauf in Berlin das Gutachten eines irischen Brandsachverständigen vor. Danach muss Brandbeschleuniger eingesetzt worden sein, um den verheerenden Brand in der Polizeizelle zu entfachen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid