Chinas repressives System gegen Promis: Außenminister, 57 Jahre, vermisst
Chinas Spitzendiplomat Qin Gang ist seit drei Wochen verschwunden. Selbst bei Pflichtterminen war er nicht da. Ein pikantes Gerücht macht die Runde.
Die Gerüchteküche auf chinesischsprachigen sozialen Medien läuft seither heiß. Nach etlichen Hinweisen hat sich eine pikante Theorie als wahrscheinlichster Grund hinter dem Verschwinden von Qin Gang durchgesetzt: Dieser habe eine Affäre, möglicherweise ein außereheliches Kind, heißt es. Und nun werde er dafür diszipliniert.
Befeuert wird die Theorie durch Postings einer Hongkonger Fernsehreporterin, die den chinesischen Außenminister während seiner Zeit als Botschafter in Washington interviewt hat. Auf Twitter postete sie nach einem Jahr Onlineabstinenz eine kryptische Botschaft mit mehreren Fotos: eine Aufnahme mit Qin Gang, eine andere mit ihrem neugeborenen Sohn. „Brotkrümel überall“, kommentierte die chinesische Demokratie-Aktivistin Yaxue Cao, die in den USA lebt.
Ihre Aussage spielt auf das sogenannte „Breadcrumbing“ an – ein Konzept, bei dem jemand einem Ex-Liebespartner romantische, jedoch für Drittpersonen kaum eindeutig zu erkennende Anspielungen aussendet. Während die meisten Spekulationen in China zensiert werden, haben es die Gerüchte in Taiwan bis in die Abendnachrichten geschafft.
Berühmte Personen verschwinden
Das hat auch mit der erstaunlichen öffentlichen Reaktion zu tun. Erst am Montag hakte nämlich ein Reporter der Financial Times bei der täglichen Pressekonferenz des Außenministeriums in Peking nach. Er fragte explizit, ob Qin Gangs Abstinenz mit den Gerüchten um eine außereheliche Affäre zusammenhängen könnte. Sprecherin Mao Ning entgegnete trocken: „Ich habe keine Informationen anzubieten.“
Natürlich hat auch ein Politiker das Anrecht auf sein Privatleben. Doch bei der Causa Qin Gang geht es im Kern um etwas ganz anderes: Dass ein zunehmend intransparentes und repressives System immer wieder prominente Personen einfach verschwinden lässt – und die Öffentlichkeit mit nichts anderem als wilden Spekulationen zurückbleibt.
Das betrifft Geschäftsleute gleichermaßen wie Politiker oder Stars aus der Unterhaltungsbranche: Der chinesische Leiter von Interpol Meng Hongwei wurde etwa 2018 festgenommen, als er sich für einen Kurzbesuch in China aufhielt. Damals erfuhr die Öffentlichkeit zumindest Monate später die Hintergründe – dass es sich nämlich um einen mutmaßlichen Korruptionsfall handelte.
Bei der Tennisspielerin Peng Shuai, die in einem zensierten Onlineposting einen hochrangigen Parteikader des sexuellen Übergriffs bezichtigte, hat die Öffentlichkeit niemals die wahren Hintergründe ihrer Abwesenheit erfahren. Dass sie später bei offensichtlich inszenierten Auftritten beteuerte, dass alles in Ordnung sei, feuerte die Spekulationen nur mehr weiter an.
Empfohlener externer Inhalt
Auch Geld schützt nicht
Selbst Jack Ma, immerhin der einst reichste Chinese, verschwand Ende 2020 nach einer kritischen Rede monatelang von der öffentlichen Bildfläche. Von seiner Firma Alibaba hieß es vage, dass er eben gerne reise.
Auch bei Qin Gang wird sicher bald eine offizielle Erklärung nachgereicht. Doch inwiefern diese stimmt, lässt sich in einem politischen System ohne unabhängige Medien kaum abschätzen. In einem Posting hieß es, ein chinesischer User habe dazu ermahnt, dass man nicht weiter spekulieren solle, Hinter Qins Abwesenheit stünde doch lediglich eine leichte Grippe des Außenministers, schon bald sei dieser auskuriert. Doch auch dieses Posting wurde von den Zensoren gelöscht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht