China-Strategie der Bundesregierung: Balanceakt mit Superlativen
Die vorgestellte China-Strategie soll Berlins künftigen Umgang mit der Volksrepublik definieren. Dabei geht es vor allem darum, aus Fehlern zu lernen.
„Wir arbeiten mit China weiter zusammen, auch wirtschaftlich oder beim Klimaschutz“, ließ Bundeskanzler Olaf Scholz via Twitter mitteilen. Er sprach von einem neuen Rahmen der Beziehungen – und dass man auf ein China reagiere, das sich verändere und offensiver auftrete. „Kritische Themen wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und fairen Wettbewerb sprechen wir dabei immer an“, so Scholz. Ein Grund für die Neuausrichtung ist auch die Sorge der Bundesregierung über Chinas Entscheidung, sich stärker Russland anzunähern.
Die Strategie mit der Überschrift „China als Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ versuchte Außenministerin Annalena Baerbock am Donnerstag beim Forschungsinstitut Merics vor Wirtschaftsvertreter:innen, Bundestagsabgeordneten und Journalist:innen zu erklären. Die Grüne begann dabei mit einer Reihe von Superlativen, die China ausmachen: 800 Millionen Menschen aus China haben in den letzten Jahrzehnten den Weg aus der Armut gefunden, 298 Milliarden Euro gab es an Warenaustausch zwischen China und Deutschland, 87 Gigawatt an Solarenergie hat das Land allein 2022 installiert. Die wirtschaftliche Bilanz ist also enorm.
Aber die Außenministerin nannte auch andere Zahlen: Mit 69 Kriegsschiffen hat China seine Marine mit zur größten der Welt gemacht – und rund 1 Million Hongkong-Dollar hätte die Regierung auf Anti-China-Aktivist:innen im Ausland ausgesetzt. Die Zahlen zeigten den Spagat der Bundesregierung, Chinas wirtschaftliche Stärke zu nutzen und zugleich auf Menschenrechtsverletzungen oder kriegerische Offensiven zu reagieren. Der Ton soll bestimmt klingen, aber nicht zu rau, um den großen Handelspartner nicht zu vergrätzen.
Baerbock warnt vor militärischer Eskalation
Bereits in der Nationalen Sicherheitsstrategie, die im Juni vorgestellt wurde, taucht ein Kapitel zu China auf und lässt den Ansatz der Bundesregierung erahnen. Derisking ist das Stichwort, also Risiken und Abhängigkeiten zu reduzieren. Alles im Schulterschluss mit der EU und im Sinne der eigenen Sicherheitsinteressen. Um sich aus der russischen Energieabhängigkeit zu befreien, hätte die Bundesregierung mehr als 200 Milliarden Euro aufwenden müssen.
Eine solche Situation soll unbedingt vermieden werden, mit einem Instrumentenbaukasten, der Risiken für Unternehmen einschätzt und nach Alternativen sucht. Dazu gehört auch, dass Firmen, die sich in hohem Maße vom chinesischen Markt abhängig machen, finanzielle Risiken verstärkt selbst tragen müssen. „Wir müssen unsere wirtschaftliche Sicherheit stärken“, sagte Baerbock.
Die Reaktion der Industrie fiel am Donnerstag verhalten aus. Man trage das Papier zwar mit, sagte ein Vertreter des Bundesverbands der Deutschen Industrie bei der Vorstellung der Strategie. „Doch jetzt fängt die Arbeit erst an.“ Und die Wirtschaft will mit am Tisch sitzen, wenn es um zu enge Regeln geht, wenn ökonomische Interessen zugunsten von alternativen Lieferketten oder zu strengen Vorgaben zur Einhaltung von Menschenrechten leiden würden. Baerbock konterte darauf mit dem Vorstoß, auch kleine und mittelständischen Firmen konkret zu adressieren und nicht nur Verbände und Großkonzerne.
Auch zum abgeschlossenen Hafendeal mit Cosco und Huawei-Komponenten bei digitalen Geräten äußerte sich die Außenministerin. Sie verwies dabei auf einen noch ausstehenden Gesetzentwurf des Innenministeriums, das für Unternehmen einen Rahmen schaffen soll, kritische Infrastruktur besser zu schützen. Die Machtpolitik der chinesischen Regierung im Indopazifik erwähnte die Grünen-Politikerin ebenfalls. „Eine militärische Eskalation wäre auch eine Gefahr für die Welt“, sagte Baerbock. Dabei nannte sie die Straße von Taiwan, die von rund der Hälfte aller Containerschiffe weltweit passiert werde.
Deutschland setze bei den Handels- und Lieferketten auf Diversität. Bei Importen von Seltenen Erden soll etwa stärker mit Ländern Lateinamerikas zusammengearbeitet werden, Brasilien beispielsweise. Auch in der Entwicklungshilfe geht Deutschland neue Wege, indem es China künftig nicht mehr als Entwicklungsland behandelt.
Die Strategie soll nun nach der Sommerpause im Bundestag debattiert werden. Während SPD-Außenpolitiker Nils Schmid das Papier lobte, konnte sich die Opposition einen Seitenhieb nicht verkneifen. Auch wenn der Plan in die richtige Richtung gehe, so Nicolas Zippelius von der CDU, hätte er die erste Diskussion über die deutsche China-Strategie lieber im Bundestag gesehen – statt in der Denkfabrik Merics. Auf eine Vorstellung in größerem Rahmen oder gar der Bundespressekonferenz hatte die Bundesregierung verzichtet – anders als bei der Präsentation der Nationalen Sicherheitsstrategie. Differenzen zum Kanzler wiegelte die Außenministerin ab. Zuletzt hießt es immer wieder, dass sie gegenüber China einen härteren Ton anschlagen würde als Scholz.
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