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Chemikalie Bisphenol ADie Gefahr aus der Tomatendose

Europas Bevölkerung ist zu stark mit Bisphenol A belastet. Das zeigt eine Studie der Europäischen Umweltagentur. Dabei ließe sich der Stoff verbieten.

Auch Lebensmitteldosen enthalten häufig BPA Foto: picture alliance/dpa | Hauke-Christian Dittrich

Berlin taz | Keine aufwendig verarbeiteten Lebensmittel essen, Tomaten lieber aus dem Glas als aus der Dose und kein mikrowellengeeignetes Kunststoffgeschirr verwenden. Wer diese Ratschläge beherrscht, kann sich in gewissen Grenzen vor der Chemikalie Bisphenol A schützen, die in beschichteten Tanks und Dosen, Verpackungen sowie harten Kunststoffen aus Polycarbonat steckt. Der Stoff kann Fruchtbarkeitsstörungen auslösen, Krebs oder Diabetes. Allerdings: auch in vielen Alltagsprodukten wie CDs, Trinkflaschen oder Wasserleitungen steckt Bisphenol A.

Entsprechend hoch ist die Belastung der Bevölkerung mit dem Krankmacher. Laut der jüngsten Veröffentlichung der Europäischen Umweltagentur (EEA) aus Daten des European Human Biomonitoring Project sind von 2.756 Stu­di­en­teil­neh­me­r:in­nen aus elf Ländern je nach Land 71 bis 100 Prozent mit BPA-Mengen oberhalb des Grenzwertes belastet. Die gemeldeten Werte seien Mindestwerte, teilte die Behörde mit.

Das bedeute, dass in allen elf Ländern 100 Prozent der Teilnehmer über den sicheren Grenzwerten lägen. „Wir müssen die Ergebnisse dieser Forschung ernst nehmen und auf EU-Ebene mehr Maßnahmen ergreifen, damit die Europäer und Europäerinnen besser vor Chemikalien geschützt sind, die ein Risiko für ihre Gesundheit darstellen“, kommentierte Leena Ylä-Mononen, Direktorin der Umweltagentur mit Sitz in Kopenhagen, die Ergebnisse.

Der Kampf gegen die Industriechemikalie sei eine „unendliche Geschichte“, sagt Manuel Fernandez, Chemikalienexperte der Umweltorganisation BUND. „Inzwischen hat die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit (Efsa) die zulässigen Grenzwerte schon zweimal extrem abgesenkt, 2015 und im vergangenen Frühjahr“, sagt er, „die EU-Kommission muss endlich einen Vorschlag vorlegen, mit dem sie das Zeug ganz aus dem Verkehr ziehen kann.“

Notwendig sei eine Regulierung der gesamten Chemikaliengruppe der Phenole, nicht nur für einzelne Stoffe. „Nach einem jahrelangen Kampf wurde Bisphenol A in Thermopapier verboten“, sagt Fernandez, „inzwischen ersetzt die Industrie es häufig durch Bisphenol S“. Das wirke auf die Gesundheit aber ganz ähnlich.

Umweltverbände fordern Maßnahmen

Zusammen mit anderen Umweltverbänden fordert der BUND schon lange, dass die Europäische Chemikalienagentur Echa nicht mehr einzelne Stoffe beschreibt und reguliert, sondern Stoffgruppen mit gleicher Wirkung gemeinsam behandelt. Das würde Substituierung verhindern und die schnellere Einschränkung gefährlicher Stoffe ermöglichen.

Gerne würde man erfahren, wie der Lebensmitteleinzelhandel die Belastung seiner oft aufwändig verpackten Lebensmittel mit Bisphenol A senken möchte, doch die Unternehmen erweisen sich auf Nachfrage wortkarg. Edeka und Rewe antworteten bis Redaktionsschluss nicht auf Anfragen, ebenso wie die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen.

Aldi Nord und Süd teilen mit, „Lebensmittelsicherheit hat bei ALDI Nord und ALDI SÜD höchste Priorität. Beide Häuser setzen selbstverständlich alle gesetzlichen Vorgaben um und entwickeln eigene Produkte sowie Verpackungen kontinuierlich weiter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns an politischen Diskussionen nicht beteiligen.“

Plastics Europe, der Lobbyverein der Kunststoffindustrie in Brüssel, verweist auf Nachfrage darauf, dass etwa die Europäische Arzeneimittelagentur die Studien der Efsa in Zweifel zieht. Wie die Hersteller die Phenolbelastung von Kunststoff senken könnten, ließ der Verband offen.

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12 Kommentare

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  • Nicht nur aus der Tomatensoße. Auch aus der beschichteten Pfanne, im Mineralwasser aus der Plastikflaschen, usw. Darum besser keine Produkte mehr in beschichteter Verpackung einkaufen. Gefäße selbst mitbringen und offene Ware wählen. Der Wochenmarkt war schon immer nachhaltiger und gesünder.

  • Wie werden die entsprechenden Grenzwerte des „Krankmachers“ definiert?

  • In viele Lacken und Klebern ist Bisphenol enthalten, Alle Epoxid-verarbeitungen sind sogar zum Großteil aus BPA bestehend.



    Sichtbeton oder -estrich wird mit Epoxid versiegelt, auch Parkettböden, ebenso Vollholzböden, im Bootsbau sowieso, Zweikomponentenkleber 50% BPA.



    Wenn man Glück hat wird als Alternative PU oder PUR haltiges verwendet, was aber nur unwesentlich unbedenklicher ist.

  • "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns an politischen Diskussionen nicht beteiligen.“



    Das macht offentlich der "eigene Lobbyverein" - bei den "Lebensmittelpanschern" macht sich doch keiner die Hände schmutzig.



    (schlimmer als die Mafia.....)

  • Man kannn Bisphenol A nicht verbieten.

    Aus den selben Grünen nicht, aus denen man keine Lebensmittelampel hat oder keine Zuckersteuer.

    Um es kurz zu machen: Die Lobby der Lebensmittelkonzerne ist einfach zu stark und die Konzerne zu übermächtig.

  • Mich wundert etwas, daß zahnärztliche Kunststofffüllungen nicht als Quelle für BPA genannt werden. Die haben ja das ca. 2-3mal haltbarere Amalgam heute oft verdrängt:



    pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35566958/



    Polymers (Basel). 2022 Apr 27;14(9):1790.



    Monomer Release from Dental Resins: The Current Status on Study Setup, Detection and Quantification for In Vitro Testing

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @jghsr:

      Wo es möglich ist, Keramik verwenden.

  • Wenn wundert das wirklich? Mich nicht. Wir wollen ja auch den Klimawandel aufhalten und entwickeln dafür Fahrräder mit Akku.

    • @pablo:

      Fahrräder mit Akku sind in der Herstellung und im Betrieb bedeutend sparsamer als Autos oder Motorräder.



      Für den Stadtverkehr ideal.

      • @menschbin:

        Die Idealität von Akkurädern im S t a d t verkehr wird nur noch von Fahrrädern ohne Akku übertroffen.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @pablo:

      Nichts für ungut: Seit mit Akku geradelt wird, sind viel mehr Leute "sportlich" unterwegs.



      Die Illusion, durch anscheinend eigene Körperkraft so schnell sein zu können, wirkt euphorisierend. Diese elektrifizierte Erhabenheit sehe ich immer wieder in den Gesichtern von E-Radlern v.a. auf ansteigenden Waldwegen. Gagailes Gefühl im Sattel an schnöden Schusters Rappen vorbeizurauschen. Was da links und rechts blüht, fleucht und kreucht ... na ja, mensch ist jetzt speedgrün unterwegs. Wäre eigentlich auch etwas für Förster ;-)

  • Danke für diese ausführlichen Infos.



    Wie sieht es eigentlich aus mit Fruchtsäften oder gar mit Cola (beide stark sauer und ev chemikalienlösend aus dem Plastik) ?

    Und leider wird immer noch viel zu wenig die Gefahrenlage berücksichtigt, die durch die Kombination mehrerer Umweltgifte entsteht