Chefredakteurin über „Missy“-Geburtstag: „Die ‚Missy‘ ist politischer geworden“
Das feministische „Missy Magazine“ wird zehn Jahre alt. Die Chefredakteurin Anna Mayrhauser über das schwierige Anzeigengeschäft und die Zukunft des Heftes.
taz am wochenende: Zehn Jahre Missy Magazine, herzlichen Glückwunsch. Wie hat sich das Heft seit 2008 verändert, Frau Mayrhauser?
Anna Mayrhauser: Der Grundgedanke, dass man Feminismus, Popkultur und Politik zusammen denkt, ist der gleiche geblieben. Doch der thematische Schwerpunkt hat sich verändert: Die Missy ist politischer und intersektionaler geworden.
Themen wie Rassismus, Antisemitismus oder Ableismus dominieren. Ist das Missy Magazine ein Heft über Diskriminierung?
Ich finde nicht, dass diese Themen, etwa im Vergleich zu Sexismus, dominieren. Vielleicht wird das so wahrgenommen, weil sie in den meisten Medien gar nicht stattfinden. In erster Linie geht es uns um spannende Inhalte, doch wir versuchen dabei immer verschiedene Diskriminierungsformen mitzudenken.
Wir und die Leser*innen sollten uns dabei immer fragen: Wie ist meine Stellung in der Welt und wer wird hier nicht mitgedacht? Das ist nicht immer ein einfacher Prozess, doch es bringt wahnsinnig viel.
Es ist also schon das Ziel, auf Diskriminierung in unserer Welt aufmerksam zu machen?
Das auf jeden Fall. Wir wollen ein Angebot für Menschen schaffen, die sich in den Medien sonst nur wenig repräsentiert sehen. Meine feministische Politisierung kam aus dem popkulturellen Bereich. In den Coming-of-Age-Filmen meiner Jugend habe ich mich selten wiedergefunden, also eine weiße Frau, die aus der Provinz kommt.
Die gibt es mittlerweile zwar häufiger, doch andere, wie People of Color kommen immer noch wenig vor. Das muss sich ändern. Genau das wollen wir auch bei Missy machen: immer einen Schritt weiter denken und für Diversität einstehen.
Die Frau Anna Mayrhauser, geboren 1983 in Linz, studierte Literatur-, Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien sowie Kulturjournalismus in Berlin. Seit 2016 arbeitet sie bei Missy, seit März als Chefredakteurin.
Das Magazin Das Missy Magazine behandelt seit 2008 Pop, Politik und Feminismus. Es erscheint mit einer Auflage von 25.000 sechs Mal im Jahr. Am Samstag findet eine Jubiläums-Veranstaltung im Berliner Hebbel am Ufer mit Diskussion, Konzert und Party statt.
Ein dezidiert politischer Anspruch also. Warum dann Journalismus und kein politischer Protest als Ausdrucksform?
Ich finde es schön, wenn unser Magazin als politischer Protest gesehen wird, doch in erster Linie möchten wir unterhalten.
Wer soll damit erreicht werden?
Vor einigen Jahren kam bei unserer Leserbefragung heraus, dass die durchschnittliche Missy-Leserin Ende 20 ist, studiert hat, in einer Großstadt lebt und sich für Kultur und Politik interessiert. Doch unsere Zielgruppe ist noch deutlich offener als das.
Also auch Männer?
Auf jeden Fall.
Das Missy Magazine will einen intersektionalen Feminismus vermitteln, der die mitdenkt, die ansonsten ausgeschlossen werden, wie Migrant*innen oder Menschen ohne akademischen Hintergrund. Gleichzeitig arbeitet ihr in eurem Magazin mit Begriffen wie „Cis-Normativität“ oder „Critical Whiteness“. Begriffe, die Menschen, die sich nicht in feministischen Diskursen auskennen, nicht verstehen. Wie geht das zusammen?
Das ist in der Tat eine Gratwanderung. Wir haben Texte im Heft, die eher verständlich sind für Menschen, die eine entsprechende Bildung haben. Doch gerade im Kulturteil gibt es auch leicht verständliche Texte. Mein persönlicher Traum ist es, ein Heft zu machen, das alle verstehen. Dass das nicht immer gelingt, ist aber kein Missy-spezifisches Problem, viele Feuilletontexte etwa sind auch recht unzugänglich geschrieben.
Sollte man also einfach akzeptieren, dass nicht jede*r alles versteht?
Nein, wir haben immer wieder erklärende Texte, wie etwa die regelmäßige Rubrik „Hä?“, die Wörter aus dem queerfeministischen Kosmos erklärt. Dafür bekommen wir auch viele positive Rückmeldungen. Im Idealfall kann die Missy für die Leser*in ein Einstieg in den Diskurs sein. Denn dort werden wichtige Themen verhandelt, die in den deutschsprachigen Medien sonst wenig Platz finden.
Mit der Themensetzung zeigen Sie klare Haltung. Findet bei Ihnen trotzdem Meinungspluralität statt?
Ja, wir führen ja auch in der Redaktion Diskussionen und versuchen die im Heft abzubilden. Ich hoffe, das kommt bei den Leser*innen auch an. Ich finde es sehr wichtig, Widersprüche zuzulassen. Und man soll sich auch mal über die Missy ärgern.
Würden Sie also auch den Kolumnisten und ehemaligen Bundesrichter Thomas Fischer einen Text schreiben lassen?
Ich denke, Thomas Fischer hat genug Raum und Möglichkeit, seine Kolumne wesentlich besser bezahlt woanders unterzubringen.
Aber einen kritischen Artikel über die #MeToo-Bewegung?
Das auf jeden Fall.
Kein Name ist so belastet wie dieser. Wer heißt heute noch „Adolf“? Wir haben vier Männer unterschiedlichen Alters gefragt, wie dieser Vorname ihr Leben prägt – in der taz am wochenende vom 20./21. Oktober. Außerdem: Ein Regisseur will mit Theater heilen und probiert das jetzt in Sachsen. Eine Pomologin erklärt, wie sich alte und neue Apfelsorten unterscheiden. Und Neneh Cherry spricht über ihr neues Album. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die Emma nennt sich feministische Zeitschrift, das Karriere-Online-Magazin Edition F auch. Wie grenzen Sie sich von dieser Konkurrenz ab?
Durch unseren intersektionalen Ansatz unterscheiden wir uns von der politischen Ausrichtung der Emma. Bei Edition F gibt es deutlich mehr Überschneidungen, gerade was die geschlechterpolitische Berichterstattung angeht. Doch wir haben keinen Karriere-Fokus und arbeiten subkultureller.
Freuen Sie sich als Feministin, wenn frauenpolitische Magazine auf den Markt kommen, oder sehen Sie diese als Konkurrenz an?
Ich freue mich, es gibt ja nicht nur Platz für ein oder zwei Magazine, das ist in den Rubriken Sport oder Musik ja auch nicht anders. Als vor zwei Jahren das F-Mag von Gruner + Jahr erschienen ist, habe ich mich auch gefreut, doch man fragt sich als Journalistin schon kurz: Was bedeutet das für uns?
Das F-Mag wurde ja nach einer Ausgabe wieder eingestellt.
Ja, leider hat sich gezeigt, dass es nicht leicht ist, ein feministisches Magazin zu machen, wenn man von einem großen Verlag abhängig ist. Magazine, die nicht sofort gute Verkaufszahlen liefern, werden vom Markt genommen.
Magazine wie Neon oder Spex sind dieses Jahr vom Printmarkt verschwunden. Sie mussten zum Jubiläum ein Crowdfunding machen, damit es weitergeht. Woran liegt es, dass das Missy Magazine sich nicht selbst tragen kann?
Wir sind wie alle Printmagazine vom sinkenden Anzeigenmarkt betroffen, zudem kommen viele Anzeigen für uns nicht in Frage, weil sie nicht unseren Werten entsprechen. Weil unser Magazin nicht teurer werden soll, muss das Crowdfunding ein Teil unserer Finanzierung sein.
Kann das eine langfristige Lösung sein?
Könnte es theoretisch, aber aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Sich um solch eine Kampagne zu kümmern ist ein Fulltime-Job. Wir haben dafür auch dieses Jahr eine extra Person eingestellt. Ich hätte das neben meinen Alltagsaufgaben überhaupt nicht bewältigen können.
Feminismus ist mittlerweile im Mainstream angekommen. Können Sie davon profitieren?
Einerseits ja: Unsere Abozahlen steigen stetig, doch in unseren Anzeigen spiegelt sich das nicht wider. Unternehmen, die sich feministisch positionieren, schicken uns zwar ihre feministischen T-Shirts zu und wollen, dass wir darüber schreiben, doch Anzeigen schalten wollen sie nicht. Anders herum wäre es besser.
Wie geht es mit dem Missy Magazine weiter?
Unser Printprodukt wird weiterbestehen. Zusätzlich erscheint bald ein Videoformat von uns in den sozialen Medien. In der Redaktion gibt es zudem eine Art Generationswechsel: Unsere Mitgründerin Stefanie Lohaus verabschiedet sich aus dem operativen Geschäft und neue Stellen werden gerade besetzt. Ich hoffe, dass das Missy Magazine dadurch noch diverser wird. Ich bin zuversichtlich, dass es mit uns noch mindestens zehn Jahre weitergeht.
Wäre das Missy Magazine in einer Welt ohne Diskriminierung und Patriarchat obsolet?
Auch wenn so eine Welt leider schwer vorstellbar ist, glaube ich nicht, dass unser Heft obsolet wäre. Es würde auch da seine Leser*innen finden. In einer idealen Welt wäre die Missy dann eben Mainstream.
Leser*innenkommentare
Karl Bauer15
"In einer idealen Welt wäre dieMissydann eben Mainstream."
Mein Gott, begreift es doch: Missy IST Mainstream, jetzt schon!