Chefredakteur über muslimisches Magazin: „Wir wollen Mut machen“
Muhamed Beganović hat „Qamar“ gegründet, ein muslimisches Magazin für Kultur und Gesellschaft. Wie seine Redaktion die Medienwelt verändern will.
taz: Herr Beganović, Qamar bedeutet auf Arabisch Mond. Warum heißt Ihr Magazin so?
Muhamed Beganović: Der Mond hat für viele Muslim:innen eine wichtige Bedeutung: Der islamische Kalender ist ein Mondkalender, auch der Ramadan richtet sich danach. Mit dem Namen wollen wir ausdrücken, was wir sind: ein muslimisches Magazin für Kultur und Gesellschaft. Einen Klischeetitel wie „Minarett“ wollten wir nicht, das würde auch inhaltlich irritieren. Wir machen keine theologische Zeitschrift.
Aber Sie machen doch ein muslimisches Magazin. Wie kann man das verstehen?
32, ist Gründer und Chefredakteur von Qamar, dem „muslimischen Magazin für Kultur und Gesellschaft“. Er wurde in Nordmazedonien geboren und lebt seit 2004 in Wien. Hauptberuflich leitet er eine Fachzeitung für Logistik
Wenn es um Muslim:innen geht, dann geht es oft nur um die Religion. So sprechen viele Medien über uns, aber auch viele Imame. Andere Identitätsmerkmale spielen keine Rolle, man bekommt den Eindruck: Diese Menschen haben gar kein Leben außerhalb der Religion. Das ist natürlich Quatsch. Mit Qamar wollen wir das anders machen: Wir reden mit Menschen, weil sie etwas Spannendes machen, als Unternehmerin, Politiker, Psychologin oder Sportler. Wie oft sie beten, interessiert uns nicht. Die Religion steht bei uns im Hintergrund.
Wie beobachten Sie die Berichterstattung über Muslim:innen und den Islam?
Ich finde sie problematisch. Es geht oft um die selben Themen: Clankriminalität, Ehrenmorde, Terror oder das Kopftuch. Auf die Gesellschaft hat das einen gefährlichen Effekt: Wer immer nur solche Artikel liest, oft aus einer sehr einseitigen Perspektive, bekommt ein falsches Bild von Muslim:innen und kommt im schlimmsten Fall zu dem Schluss: Mit diesen Menschen will ich nicht zusammenleben.
Aber hat sich das in vielen Medien nicht schon verändert?
Ein bisschen vielleicht. Anti-muslimischer Rassismus, Themen wie Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche kommen öfter vor. Aber mir fehlt weiterhin eine differenzierte Darstellung von Musliminnen und Muslimen. Wir sind ganz normale Bürger:innen, wir haben Berufe, zahlen Steuern und interessieren uns für Themen fernab von Religion und Rassismus.
Mit Qamar wollen Sie das anders machen. Aber ist das nicht eine Kapitulation – anstatt zu versuchen, die großen Medien zu verändern?
Man kann es als Kapitulation sehen. Wir sehen es eher als Ergänzung. Und wir wollen auch auf die großen Medien wirken: Nachwuchsautor:innen können sich bei uns ausprobieren und ihre Texte dann als Arbeitsproben vorweisen. So schaffen sie eher den Sprung in größere Redaktionen. Und wir hoffen, dass andere Journalist:innen bei uns Themen entdecken und aufgreifen. In unserer ersten Ausgabe stellen wir einen Unternehmer vor, der von Hand genähte Turnbeutel verkauft. Wir sind die ersten, die über seinen Laden berichten. Vielleicht inspiriert das ja eine Wirtschaftsredaktion, auch darüber zu schreiben.
Abgesehen von anderen Journalist:innen: Wen wollen Sie erreichen?
Natürlich vor allem Muslim:innen im deutschsprachigen Raum. Bisher gab es kein Medium, das sie so vielfältig repräsentiert und zu so unterschiedlichen Themen zu Wort kommen lässt. Das ist vor allem für junge Muslim:innen wichtig, für junge Menschen auf der Suche nach ihrer eigenen Identität und ihrem Platz in der Welt. Wir haben das Magazin gemacht, das wir selbst immer lesen wollten. Wir hoffen aber auch, dass weltoffene Nichtmuslim:innen es kaufen. Unsere Faustformel – zwei Drittel aus der Community, ein Drittel andere – scheint bisher aufzugehen.
Es gibt bereits einige Medienprojekte, die muslimische Stimmen laut machen. Migazin etwa oder der Podcast „Primamuslima“ vom Bayerischen Rundfunk. Was ist besonders an Qamar?
Wir machen ein gedrucktes Magazin. Noch verkaufen wir es fast nur in unserem Webshop, aber bald soll es auch in Buchhandlungen, Geschäften und Kiosken liegen. So wird es – und damit diverse muslimische Stimmen – deutlich sichtbarer, als wenn es uns nur online gäbe.
Qamar erscheint vierteljährlich. Welche Themen wollen Sie künftig behandeln?
Unser Magazin hat immer ein Schwerpunktthema. In der zweiten Ausgabe geht es um „die Hand“. Da greifen wir die Debatte auf, ob so viele Muslime Frauen wirklich nicht die Hand geben – und ob das ein Grund sein sollte, ihnen die Staatsbürgerschaft zu verweigern. Im Sommer geht es dann um „Zahlen“, weil Muslim:innen oft nur in Statistiken vorkommen. Fast eine Million Geflüchtete zum Beispiel, mehrheitlich muslimisch, die 2015 nach Deutschland kamen. Wir wollen die Geschichten dahinter erzählen. Bei allem ist unser Ziel, uns nicht nur darüber zu beschweren, was schief läuft. Wir wollen Mut machen, inspirieren, neue Ideen zeigen.
Wie finanzieren Sie sich?
Die Wirtschaftsagentur Wien fördert uns für anderthalb Jahre, der Rest kommt aus meinen Ersparnissen. Reich sind wir nicht. Unser Team besteht aus mir, einem Grafiker und zwei Redakteur:innen. Wir haben alle andere Jobs, mit denen wir unser Geld verdienen. Qamar machen wir im Feierabend, oft nachts und am Wochenende. Ohne viele Engagierte und viel Unterstützung, auch von meiner Frau, würden wir das nicht hinbekommen.
Haben Sie schon Rückmeldungen von Leser:innen?
Ja, unheimlich viele. Frauen haben sich bedankt, dass wir ihre Entscheidung, das Kopftuch zu tragen, nicht problematisieren, sondern als etwas Normales darstellen. Eine Geschichte rührt mich besonders: Ein Leser hat geschrieben, dass seine Mutter mit Vornamen Qamar heißt und sich sehr freut, dass es neben Brigitte, Barbara und all den Frauenzeitschriften jetzt ein Magazin gibt, das ihren Namen trägt.
Ihre Vision für die Zukunft, für Qamar, aber auch für die Berichterstattung über Muslim:innen?
Ich hoffe natürlich, dass Qamar sich am Markt etabliert. Bis Anfang 2022 ist die Finanzierung gesichert, dann müssen wir weitersehen. Bald werden noch viel mehr Menschen mit unterschiedlichen Biografien und Religionen in großen Redaktionen arbeiten. Da hat sich in den letzten zwei Jahren einiges getan. Wichtig ist aber, dass diese Kolleg:innen auch in Führungspositionen kommen, damit sich wirklich etwas ändert. Ressortleiter:innen und Chefredakteur:innen sind die, die über Personal und Themen entscheiden.
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