Cécile Lecomte über Anti-AKW-Kampf: „Es ist ein Auf und Ab“
Cécile Lecomte ist Vollzeitaktivistin. Ein Gespräch über den Kampf gegen Atomkraft und darüber, warum sie trotz chronischer Krankheit weitermacht.
taz: Frau Lecomte, wie wird man Berufsaktivistin?
Cécile Lecomte: Ich war schon immer engagiert und habe mich für das interessiert, was in der Welt passiert. Als Jugendliche war ich auf Demos der Antifa, damals war der Front National zum Beispiel auch schon ein Thema. Als ich anfing zu studieren, habe ich mir dann politische Gruppen gesucht, in denen ich mich engagiert habe. Später habe ich als Lehrerin für Französisch als Fremdsprache gearbeitet, aber das war ein wenig schwierig.
Wieso?
Ich hatte immer wieder Probleme mit Behörden, die der Meinung waren, ich dürfte in meiner Freizeit nicht tun, was ich will. Und ich wollte mich beruflich nicht immer für mein politisches Engagement rechtfertigen müssen.
Also haben Sie freiwillig den Schuldienst verlassen?
Naja, es ist ja nicht so, dass es einen Lehrerüberschuss gibt. Ich hätte schon eine Stelle gefunden. Ich wusste aber damals schon, dass ich eine chronische Erkrankung habe, rheumatoide Arthritis. Das ist eine chronische Gelenkentzündung. Die Krankheit verläuft in Schüben.
36, ist in Frankreich geboren. Mit sieben Jahren begann sie mit dem Klettern, wurde unter anderem französische Jugendmeisterin.
Nach dem Studium in Frankreich und Deutschland arbeitete sie zunächst als Französischlehrerin in Lüneburg, gab den Beruf aber zugunsten ihres politischen Engagements auf.
Ihre politischen Aktionen hatten häufig mit Klettern zu tun, das brachte ihr den Spitznamen „Eichhörnchen“ ein.
Wegen ihrer voranschreitenden Erkrankung hält sie heute vor allem Vorträge und arbeitet als Journalistin, unter anderem für die Zeitschrift Graswurzelrevolution. 2014 veröffentlichte Lecomte ihr Buch „Kommen Sie da runter! –Kurzgeschichten und Texte aus dem politischen Alltag einer Kletteraktivistin“.
Sie lebt im Lüneburger Wohnprojekt Unfug.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie einen Schub haben?
Wenn ich heute einen Schub habe, bin ich nicht mal in der Lage, mich allein anzuziehen. Damals war die Krankheit noch nicht so weit fortgeschritten, aber es war absehbar, dass ich auch mal länger krank sein würde. Für die Schüler wäre das nicht gut gewesen. Am Ende war es pragmatisch und politisch gesehen die beste Lösung, auch wenn ich sagen muss, dass die Polizei mir sehr geholfen hat, diese Entscheidung zu treffen.
Was hat die Polizei damit zu tun?
Ich war erst ein Jahr in Lüneburg, aber das hat wohl ausgereicht, um die Polizei auf mich aufmerksam zu machen. Vor dem Castortransport 2006 durch Lüneburg haben sie mich mit mehreren mobilen Einsatzkommandos heimlich überwacht und später auch festgenommen.
Wie haben Sie von der Überwachung erfahren?
Wenn solche Überwachungsmaßnahmen präventiv durchgeführt werden, wird man im Nachhinein darüber informiert. Ich weiß genau, wann ich damals bei der Arbeit war und ob ich mit dem Ein- oder Zweirad dahin gefahren bin. Es ist naheliegend, dass sich die Polizei damals auch bei der Schule gemeldet hat. Genau in der Zeit hatte ich mit der Schulleitung Gespräche über mein politisches Engagement. Zwar habe ich gegen die Vollzeitüberwachung geklagt, und sie ist im Nachhinein für rechtswidrig erklärt worden, das ändert aber natürlich nichts.
Sie haben viel Erfahrung mit Verfahren und Gerichtsverhandlungen und verteidigen sich selbst und auch andere vor Gericht. Sind die Erfolgschancen bei einer professionellen Verteidigung nicht größer?
Auch wenn es sich dabei um sogenannte Laienverteidigung handelt, erhebe ich einen Anspruch auf Professionalität. Ich übernehme nie einen Fall, den ich mir nicht zutraue. Bei Vergehen wie beispielsweise Hausfriedensbruch oder Nötigung kennen wir die Rechtsprechung aber einfach besser als die Richter. Deshalb hat es Sinn, dass wir uns selbst verteidigen. Ich habe auch den Anspruch, das ernsthaft zu machen. Ich denke, die Erfolgschancen sind eine Frage der Strategie.
Und welche Strategie wenden Sie an?
Es ist eher Konfliktverteidigung. Es wird sich streng an die Strafprozessordnung gehalten. In der Praxis halten sich Richter kaum daran. teilweise aus Unwissen, teilweise, weil sie es gewohnt sind, Leute schnell abzuurteilen. In diesen Fällen reichen wir dann Anträge ein, sorgen für Beschlüsse und Rügen. Das dauert länger und ist anstrengend.
Welche Fälle übernehmen Sie nicht?
Es gibt schon Verfahren, die ich lieber mit einem Anwalt führe, beispielsweise, wenn es um Polizeigewalt geht. Ich kann in einem Prozess niemanden befragen, der mir zuvor Gewalt angetan hat. Das belastet mich zu sehr. Wegen einer besonderen Erfahrung habe ich eine posttraumatische Belastungsstörung, die mich ständig begleitet.
Was ist passiert?
2008 gab es einen Castortransport, und es lag wieder einmal eine Gefahrenprognose für mich vor. Die Polizei hat befürchtet, dass ich mich wieder irgendwo abseile. Obwohl ich nicht vorbestraft war, wurde ich deshalb drei Tage vor dem Transport festgenommen. Alle haben Aktionen vorbereitet, aber niemand ist verhaftet worden, nur ich. Der zuständige Richter hat mich angehört und dann seinen schon ausgedruckten Beschluss verlesen. Ich hatte das Gefühl, da rollt eine Maschine auf mich zu und ich kann sie nicht aufhalten. Da ist bei mir ein Trauma entstanden. Wahrscheinlich, weil ich nicht darauf vorbereitet war. Für mich kam das aus heiterem Himmel.
Haben Sie wegen solcher Erfahrungen nie ans Aufhören gedacht?
Eigentlich nicht. Klar, es ist ein Auf und Ab. Aber ich bin der Meinung, dass das eine gesunde Reaktion auf ein krankes System ist. Es ist normal, dass du innerlich verletzt bist, die Seele verletzt ist, wenn dir so etwas passiert.
Was motiviert Sie, trotzdem immer weiterzumachen und neue Aktionen zu planen?
Ich glaube, Protest ist global gesehen wichtig für eine Demokratie. Ich habe nicht das Gefühl, dass es umsonst ist, selbst wenn wir nicht immer gewinnen. Natürlich habe ich keinen On-Off-Knopf für das AKW. Aber ich habe durch meine Kletteraktionen mehrere Atom-Transporte gestoppt, und das hat erheblich dazu beigetragen, dass der Export von Uranhexafluorid nach Russland nachhaltig gestoppt wurde. Es gibt immer noch viele Atomtransporte, aber das war ein wichtiger Etappensieg, und so etwas motiviert mich, weiterzumachen.
Sie haben mit der Anti-Atomkraftbewegung angefangen, sich mittlerweile auch gegen Gentechnik, Kohleabbau und für Informationsfreiheit eingesetzt. Gibt es ein Thema, mit dem Sie sich nicht beschäftigen?
Ich habe schon meine klaren Schwerpunktthemen. Als so genannte Vollzeitaktivistin ist es mir wichtig, genau zu wissen, wofür ich kämpfe. Deshalb informiere ich mich und recherchiere viel. Ich habe mir zum Beispiel viel Wissen zum Thema Atomkraft angeeignet und mache viel in diesem Bereich. Und auch mit den juristischen Inhalten beschäftige ich mich extrem viel. Wenn man jahrelang aktivistisch unterwegs ist, muss man sich einfach wehren können. Das kann ich nicht zu jedem Thema leisten. Ich halte es aber grundsätzlich für nachhaltiger, sich mit Inhalten auseinanderzusetzen, als viele Veranstaltungen zu besuchen.
Sie finanzieren Ihren Lebensunterhalt durch die Bewegungsstiftung und erhalten Förderung von Patinnen und Paten. Stehen Sie dadurch unter Druck, immer neue Aktionen zu planen?
Nein, das ganze funktioniert nicht à la rent a demonstrant. Früher hatte ich schon ein komisches Gefühl dabei, vom Geld anderer Menschen zu leben. Heute sehe ich das etwas professioneller. Für mich ist das ein Modell der Solidarität. Meine Patinnen und Paten haben sich freiwillig dafür entschieden, weil sie unterstützenswert finden, was ich tue. Viele von ihnen kenne ich auch persönlich.
Was für Menschen sind das, die sie unterstützen?
Das ist ganz unterschiedlich. Informatiker, Ärzte, Künstler, einige von ihnen sind selbst aktiv. Ich finde, das ist eine Bereicherung. Wenn man in so einer politischen Clique aktiv ist wie ich, dann verliert man ein bisschen den Bezug zur Realität. Deshalb bitte ich meine Patinnen und Paten auch um Feedback. Das erweitert meinen Horizont. Außerdem gibt mir das Modell natürlich auch eine gewisse Sicherheit im Bezug auf meine Krankheit. Niemand ist mir böse, wenn ich mal zwei Wochen im Bett liegen muss, weil sie wissen, dass ich mehr als 40 Stunden in der Woche arbeite, wenn ich kann.
Sie sind heute zum Teil auf den Rollstuhl angewiesen. Ist es nicht manchmal frustrierend, nicht mehr so aktiv sein zu können wie früher?
Natürlich. Es gibt Tage, da will ich von meiner Krankheit nichts hören. Ich bin zermürbt von den Therapieversuchen, die am Ende wieder nichts bringen. An anderen Tagen ist das alles kein Problem für mich. Ich glaube, dass man sich einer Behinderung anpassen kann und immer aktiv sein kann, selbst mit einer körperlichen Einschränkung wie meiner. Ich verstehe Widerstand als eine Kette mit verschiedenen Gliedern. Wenn ein Glied fehlt, funktioniert der Widerstand nicht. Ich arbeite heute hauptsächlich im nicht sichtbaren Teil des Widerstands, halte Vorträge, schreibe Dossiers und veröffentliche Artikel. Damit bin ich ein Glied in der Kette.
Woher nehmen Sie Kraft für diese positive Einstellung?
Es findet viel im Kopf statt, davon bin ich überzeugt. Ich schaue einfach, wie ich mich beteiligen kann. Zum Beispiel waren die Anti-Kohle-Aktionen von Ende Gelände nichts für mich, weil ich nicht laufen kann. Aber ich war als Rechtshilfe dabei und konnte bei Übersetzungen helfen. Und wenn ich an einer Demo nicht teilnehmen kann, dann überlege ich, wo ich klettern und ein Banner aufhängen kann. Dann habe ich auch einen Teil beigetragen. Und klettern werde ich immer, das ist meine Leidenschaft, ohne die geht es nicht.
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