Care-Arbeit in Coronazeiten: Auffällig unauffällig
Die Familienministerin hat hohe Erwartungen in Sachen familienpolitischer Modernisierung geweckt. Doch ein grünes Genderparadies ist nicht in Sicht.
M änner machen mehr Haus- und Sorgearbeit, freuten sich nach den ersten Lockdowns gleichstellungsorientierte Verbände und Aktivist:innen. Väter kochten plötzlich öfter, brachten den Müll raus, beschulten und bespaßten die Kinder. Doch das Blatt hat sich gewendet: Rund ein Fünftel der Mütter verkürzte einer Umfrage zufolge die Arbeitszeit wegen der Kinderbetreuung in Zeiten von Corona.
Männer, ließe sich schlussfolgern, scheinen nach wie vor doch eher an der eigenen Karriere orientiert zu sein als am Wohl der eigenen Familie. Frauen ziehen sich deswegen stärker aus dem Job zurück – irgendjemand muss sich ja um die Wohnung und die Kinder kümmern. Ein unauflösbarer Konflikt? Zumindest eine zutiefst fatale Betrachtungsweise, die progressive Menschen gern zurückweisen.
Konservative sehen die Chance eher im Privaten: Frauen müssen die gerechte Aufteilung der Care-Arbeit mit ihren Partnern selbst aushandeln. Beides ist weder eine Antwort und noch weniger eine Lösung. Der Schlüssel liegt vor allem in politischen Maßnahmen. Die Ampelregierung ist diesbezüglich vorgeprescht. Ein Ziel sei, so heißt es im Koalitionsvertrag, mehr Frauen in Erwerbsarbeit zu bekommen.
Auch sonst hat sich die grüne Familienministerin Anne Spiegel viel vorgenommen: Väter sollen nach der Geburt ihres Kindes eine zweiwöchige bezahlte Auszeit bekommen, die seit Jahren debattierte Kindergrundsicherung ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben, und die sogenannte soziale Verantwortungsgemeinschaft, eine FDP-Idee, findet bei der Ministerin Zuspruch.
Nur: Bislang ist die Grüne, an die sich Hoffnungen auf eine familienpolitische Modernisierung knüpfen, auffallend unauffällig. Bis auf den § 219a, der jetzt aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden soll, fiel sie weder mit einem wegweisenden Gesetzentwurf noch mit einer familienpolitischen Reformidee auf. Und nun verkürzen Frauen auch noch ihre Arbeitszeit. Das grüne gendergerechte Paradies hatte man sich anders vorgestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?
Argentiniens Präsident Javier Milei
Schnell zum Italiener gemacht
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?