Cannabis Social Clubs: Ungewisse Zukunft für Kiffer
Die Berliner Cannabis-Szene blickt besorgt auf einen möglichen Wahlsieg der CDU. Denn die will die Teillegalisierung wieder rückgängig machen.
Nachdem Merz nun die „Brandmauer“ zur AfD durchlöchert und seine Partei noch weiter nach rechts verschoben hat, ist die politische Gesamtlage ein Stück weit unberechenbarer geworden. Was also, wenn die nächste Bundesregierung die seit dem 1. April vergangenen Jahres geltende Teillegalisierung wieder zurücknimmt? Geht das überhaupt? Und was bedeutet das für die Cannabis-Social-Clubs, die in Berlin gerade erst ihre Genehmigungen bekommen?
„Es wäre ein großer Aufwand, das Gesetz zurückzudrehen, und es würde enormen Gegenwind geben“, sagt Mario Gäde, Vorstand des Berliner Cannabis.Social-Clubs White Lake Weed in Weißensee, der taz. Um das Gesetz komplett zurückzunehmen, sei schon zu viel passiert, glaubt er. „Die Büchse der Pandora ist offen, und die geht auch nicht mehr zu.“
Sein Kollege Sebastian Schmidt, Vorstandsvorsitzender des Cannamo Cannabis Clubs in Friedrichshain, teilt diese optimistische Einschätzung: „Der Markt für medizinisches Cannabis ist inzwischen zu groß. Es kann zu Verschärfungen kommen, aber eine komplette Rücknahme des Gesetzes ist unmöglich.“
Die Cannabis-Clubs freilich sind wohl nur bedingt eine Lebensversicherung gegen eine solche Rücknahme. Denn dafür fehlt es ihnen aktuell noch an Bedeutung. Nach der Vorstellung der Ampel sollen sie eigentlich dazu beitragen, den Schwarzmarkt auszutrocknen, und der Behauptung der CDU entgegenarbeiten, das derzeitige Cannabisgesetz würde diesen sogar ausweiten. Doch bis Ende vergangenen Jahres wurden bundesweit bei rund 400 Anträgen nur etwas mehr als 80 Anbauvereinigungen Genehmigungen erteilt. Bei der Grundversorgung von Kiffern haben sie bislang kaum eine Bedeutung.
Bislang drei Genehmigungen
Erst recht nicht in Berlin, wo es länger als irgendwo sonst in Deutschland gedauert hat, bis man sich überhaupt darauf einigen konnte, welche Behörde denn nun die Anträge von Anbauvereinigungen bearbeiten soll. Inzwischen macht den Job zentral das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso). Nachdem es zunächst so aussah, als würde auch dort nichts passieren, geht nun doch langsam etwas voran. Inzwischen wurden drei Genehmigungen erteilt, so eine Sprecherin des Lageso auf taz-Anfrage. 18 weitere seien in Bearbeitung. Bald schon könnten weitere Genehmigungen folgen, heißt es.
Sebastian Schmidt vom Cannamo Cannabis Clubs etwa sagt, er sei im Austausch mit dem Lageso und habe gespiegelt bekommen, relativ sicher mit einer Erlaubnis rechnen zu dürfen. Noch besser sieht es bei Mario Gäde in Weißensee aus. Dort ist die Urkunde mit der Genehmigung bereits in einem gelben Brief zugestellt worden.
Man befinde sich gerade in einem „Rennen gegen die Zeit“, so sieht das Sebastian Schmidt. Je mehr erteilte Genehmigungen, desto schwerer würde eine Rückabwicklung des Cannabisgesetzes nach der Bundestagswahl werden, so die Vorstellung.
Rechtsanwältin Julia Seestädt von der „Cannabis Kanzlei“ in Lübeck, bei der nicht schwer zu erraten ist, auf welches Thema sie sich spezialisiert hat, hat sich ebenfalls mit den möglichen Konsequenzen einer Rücknahme der Teillegalisierung beschäftigt. „Eine erteilte Lizenz ist ein begünstigender Verwaltungsakt. Damit wird dem Verein etwas erlaubt, was er vorher nicht durfte. Und mit dieser Erlaubnis muss man als Verein planen, sich auf diese verlassen dürfen“, sagt die Juristin der taz.
Würde das Projekt mit den Cannabisclubs wieder beendet, „dann müsste es nach meinem Verständnis Entschädigungen geben für die bisherig getätigten Investitionen“. Schon jetzt würden demnach bei einer Umsetzung der CDU-Pläne allein die Entschädigungen der Cannabisvereine den Staat zig Millionen Euro kosten.
Wie sieht es bei den anderen Parteien aus, würden die eine – möglicherweise sehr kostspielige – Rückabwicklung der Teillegalisierung mittragen? Die AfD ist zwar gegen die Legalisierung, eine Koalition mit der CDU erscheint trotz aller Annäherungen derzeit allerdings noch unwahrscheinlich. Anwältin Julia Seestädt findet grundsätzliche Worte zum schlimmsten vorstellbaren Szenario nach der Wahl: „Wenn die CDU mit der AfD koalieren sollte, dann haben wir echt andere Probleme als Cannabis.“
Das BSW hat keine Meinung zu Cannabis, auch nicht in seinem Wahlprogramm. Alle anderen demokratischen Parteien mit auch nur halbwegs realistischen Chancen auf den Einzug in den Bundestag sind weiterhin für die Teillegalisierung. Geht man davon aus, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass Linke und FDP etwas mit der nächsten Regierungsbildung zu tun haben werden, bleiben der CDU als voraussichtlicher Wahlsiegerin nur zwei mögliche Koalitionspartner aus dem demokratischen Spektrum.
„Sowohl Rot als auch Grün sagen aber, es muss noch weiter gehen mit dem Thema Cannabis, wir haben eben erst den Anfang gemacht. Und die würden komplett ihr Gesicht verlieren und sich unglaubwürdig machen, wenn sie der CDU helfen würden, ihr eigenes Gesetz rückabzuwickeln“, so Seestädt.
„Super mega unwahrscheinlich“
Zumal das Gesetz ja auch keine negativen Auswirkungen habe. „Die Welt dreht sich weiter wie bisher. Menschen, die vorher gekifft haben, kiffen jetzt immer noch, jedoch ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen“, sagt Seestädt. Dass die Prohibition zurückkehrt, hält sie daher für „super mega unwahrscheinlich“.
Eher rechnet die Juristin mit Kompromissen unter den künftigen Koalitionspartnern. Statt drei erlaubter Hanfpflanzen für den Eigenanbau könnte dann vielleicht nur noch eine erlaubt sein.
Die Obergrenze beim THC-Gehalt von Cannabis könnte nach unten korrigiert werden. Ebenso die Abgabemenge in den Cannabis-Clubs, deren Mitglieder nach aktueller Gesetzeslage 50 Gramm im Monat beziehen dürfen.
Aber zurück in die Gegenwart. So ganz auf der sicheren Seite ist in Berlin nicht einmal ein Verein wie White Lake Weed, trotz bereits erteilter Genehmigung. Denn die überforderte Berliner Verwaltung ist der Umsetzung des haarsträubend komplizierten Cannabisgesetzes einfach nicht gewachsen. Die Geschichte, die White Lake Weed Vorstand Mario Gäde zu erzählen hat, hätte sich jedenfalls auch Franz Kafka kaum besser ausdenken können. Und sie könnte völlig irre Folgen für seinen Verein haben.
Denn Gäde muss trotz der bereits erteilten Genehmigung noch etwas nachreichen: Ein Zertifikat als Sucht- und Präventionsbeauftragter, das obligatorisch für jeden Cannabis-Club ist. Eigentlich besitzt Gäde längst ein solches. Weil aber nun in Berlin lange Zeit passende Schulungen gar nicht angeboten wurden, ließ er sich im hessischen Hanau fortbilden. Nur um dann vom schwarz-roten Senat zu erfahren: Das Zertifikat akzeptieren wir nicht.
Unsichere Zertifikate
Inzwischen weiß er: Es gibt diese Zertifikate bei Landes- und bei Fachstellen. Die der Landesstellen würden auch in Berlin problemlos akzeptiert, die der Fachstellen aber nicht. Gerade durchläuft er also zum zweiten Mal seine Schulung. Dieses Mal in Berlin, bei dem einzigen Lehrgang, der hier überhaupt angeboten wird. Und zwar von der Fachstelle für Suchtprävention Berlin.
Und die warnt auf ihrer Webseite: „WICHTIG: Wenn Sie an einer Berliner Anbauvereinigung teilnehmen wollen, können Sie dies sehr gerne tun. Wir können Ihnen aktuell jedoch nicht verbindlich zusichern, dass die Schulung in Berlin anerkannt wird, da das Land Berlin noch keine rechtssichere Verfahrensordnung veröffentlicht hat.“
Gäde sagt: „Wenn ich ganz großes Pech habe, habe ich zweimal je 700 Euro für die Schulungen bezahlt und immer noch nichts erreicht.“ Und wenn er drei Monate nach Erteilung der Genehmigung seines Vereins kein Zertifikat vorzuweisen hat, das dem Berliner Senat genehm ist, dann kann sich Friedrich Merz freuen. Denn dann verfällt die Genehmigung so oder so.
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