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Cannabis-AnbauvereineDas Gras wächst nicht in den Himmel

Ein knappes Dutzend Anbauvereinigungen für Cannabis gibt es in Berlin. Auf einer Veranstaltung präsentierten VertreterInnen die Probleme der Praxis.

Mit brennender Geduld: Die Anbauvereinigungen wollen endlich richtig loslegen Foto: IMAGO / Cavan Images

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Andreas Hartmann aus Berlin

taz | Vor gut einem Jahr wurde ein SPD-Politiker zum Helden der Berliner Cannabis-Legalisierungsbewegung: Gordon Lemm, Gesundheitsstadtrat von Marzahn-Hellersdorf, erteilte der ersten Anbauvereinigung in Berlin die Genehmigung, legal Cannabis zu produzieren und an ihre Mitglieder zu verteilen.  Damit ist es ihm zu verdanken, dass die Green Leaf Society bereits Anfang dieses Jahres die erste Ernte einfahren konnte.

Eigentlich hat Lemm nur seinen Job gemacht – das aber zu einer Zeit, in der überall große Konfusion herrschte, welche Berliner Behörde nun für die Bearbeitung der Anträge zuständig sei. Bis entschieden wurde, diesen Job dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) zu übertragen, vergingen Monate. Die Green Leaf Society hatte das als einzige Anbauvereinigung nicht mehr weiter zu kümmern, sie hatte die Genehmigung in der Tasche und startete damit lange vor den mittlerweile zehn weiteren Anbauvereinigungen, die sich inzwischen auch amtlich beglaubigt der Aufzucht von Hanfpflanzen widmen dürfen.

Auf einer Podiumsdiskussion in der linken Bildungseinrichtung Helle Panke beschrieb Jana Halbreiter, Vorstandsvorsitze der Green Leaf Society und Vorstandsmitglied der Anbauvereinigungen Deutschlands, am Dienstagabend den ganzen mühsamen Weg, den sie und ihr Verein gegangen sind. Anschließend wurde mit der Cannabis-Präventionsexpertin Dinah Rogge und Klaus Lederer, drogenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, noch einmal grundsätzlich die Teillegalisierung diskutiert, deren Umsetzung bundesweit nur schleppend vorangeht.

Vor allem stockt es bei den Anbauvereinigungen, die laut Gesetz eigentlich den Konsumentenbedarf decken sollen, um so den Schwarzmarkt auszutrocknen. Inzwischen gebe es bundesweit mehr als 300 Genehmigungen für Anbauvereinigungen, so Jana Halbreiter, ein paar davon sogar in Bayern. Aber viele hätten nun neben der ganzen Bürokratie auch noch Probleme mit Bauämtern. Unzählige Auflagen seien zu erfüllen, und nicht selten zeigten die Behörden keinen besonderen Eifer dabei, pragmatische Lösungen im Sinne der Anbauvereinigungen zu finden.

Bei der Veranstaltung wurde regelrecht ein „Best of“ der Absurditäten präsentiert, mit denen sich die Anbauvereinigungen herumzuschlagen haben. Allen voran die Abstandsregel: Sie soll verhindern, dass Cannabis in unmittelbarer Nähe zu Einrichtungen angebaut oder abgegeben wird, die von Jugendlichen frequentiert werden. Mit den gebotenen 200 Metern, so Halbreiter, sei es in der Innenstadt so gut wie unmöglich, passende Orte anzumieten.

Dem 160-Seiten-Gesetz gerecht werden

Die Vorständin hatte außerdem einen Film mit dabei, der erklärt, wie kompliziert der Aufbau einer Anbauvereinigung ist. Erzählt wird in der Eigenproduktion die ganze Geschichte der Green Leaf Society, sogar SPD-Mann Gordon Lemm hat darin seinen Auftritt. Was man bei diesem Blick hinter die Kulissen vorgeführt bekommt, sieht echt nach Arbeit aus. Alles muss dokumentiert, jede noch so merkwürdige Regelung beachtet werden. „Man ist dauernd damit beschäftigt, einem 160-Seiten-Gesetz gerecht zu werden“, sagte Halbreiter über ihre Arbeit – und das alles auch noch ehrenamtlich, weil es der Gesetzgeber so vorgibt.

Kein Wunder, dass sie über die Entwicklung beim medizinischen Cannabis nicht sehr begeistert ist. Aus dem Publikum wurde sie gefragt, wie sie dazu stehe, dass immer mehr Konsumenten und Konsumentinnen Cannabis einfach über Onlineplattformen und spezielle Apotheken beziehen. Das sei, so Halbreiter, vor allem „Rezeptmissbrauch“. Sie stellte die Frage in den Raum, wieso es kommerziellen Anbietern so leicht „und uns so schwer gemacht“ werde.

Klaus Lederer wies zudem noch auf das Werbeverbot hin, dem Anbauvereinigungen unterliegen – anders als die Telemedizin. Das Verbot sei falsch, so Lederer, weil der Gesetzgeber eigentlich ein Interesse daran haben sollte, dass Konsumenten und Konsumentinnen von Anbauvereinigungen erfahren, die verantwortungsbewusst und unter Einbeziehung von Suchtprävention gute Ware abzugeben hätten.

Am Lageso gehe es derweil bei der Bearbeitung weiterer Genehmigungen weiter nur schleppend voran, so eine Klage aus dem Publikum. Da stellt sich natürlich die Frage, ob das überhaupt nochmal was wird mit den Anbauvereinigungen im großen Stil, wenn immer mehr Leute zu den Apotheken abwandern, wo man keinem Verein beitreten muss, um abends mal einen Joint zu rauchen. Einfach angeben, dass man an Schlafstörung leidet – ein paar Stunden später kommt die Ware per Express zu Hause an.

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