CSU-Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik: Populisten überbieten sich
Diverse CSU-Politiker fordern eine restriktivere Flüchtlingspolitik. Die Zahl der Abschiebungen hat sich 2015 fast verdoppelt.
Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) werden am Mittwoch zur Klausurtagung der CSU-Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth erwartet. Herrmann sagte der Bild-Zeitung (Mittwochsausgabe) vorab, derzeit kämen täglich bis zu 3000 Flüchtlinge nach Deutschland. Daher müsse es „jetzt schnell einen Bremsklotz für den Flüchtlingsstrom“ geben. „Dafür hat die Kanzlerin nur noch wenige Wochen Zeit“, fügte der CSU-Politiker hinzu.
Die gegenwärtige Einwanderungspraxis steht laut Herrmann „nicht im Einklang mit dem Grundgesetz“. „Der völlig unkontrollierte Zustrom an Migranten hat nichts, aber auch gar nichts, mit einer humanitären Geste in einer Notlage zu tun“, kritisierte der bayerische Innenminister.
Auch Söder warnte, die Zeit für ein Umsteuern in der Flüchtlingspolitik dränge. „Das Zeitfenster wird immer kleiner“, auch weil der EU in der Flüchtlingskrise die Spaltung drohe, sagte der bayerische Finanzminister der Passauer Neuen Presse (Mittwochsausgabe).
Spätestens seit den massenhaften Übergriffen auf dem Kölner Dom-Platz, für die überwiegend Migranten aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum verantwortlich gemacht werden, sei „klar, dass wir nicht so weitermachen können wie bisher“. „Viele Menschenwünschen wünschen sich anstelle von Willkommenskultur endlich eine Vernunftskultur“, kritisierte Söder Merkels Vorgehen.
Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel monierte in einem Gastbeitrag für den Münchner Merkur (Mittwochsausgabe), Merkels Flüchtlingspolitik fehle es an einem politischen Überbau. Ihrem Satz „Wir schaffen das“ müsse die Kanzlerin hinzufügen: „Wie schaffen wir es?“.
Merkel schlägt derzeit aus den eigenen Reihen starker Gegenwind entgegen. Am Dienstag wurde bekannt, dass 44 Bundestagsabgeordnete der Union einen Protestbrief an Merkel unterzeichneten, in dem sie die Zurückweisung Tausender Flüchtlinge an der deutschen Grenze fordern, die über andere EU-Staaten dorthin gekommen sind.
Rückendeckung für humanitäre Flüchtlingspolitik
Rückendeckung bekam Merkel vom Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU).Das „Jahrhundertproblem“ Flüchtlingskrise erfordere Geduld, sagt er der Rheinischen Post (Mittwochsausgabe). „Frau Merkel müssen wir dafür noch mehr Zeit geben“.
Es könne nur eine europäische Lösung mit drastisch reduzierten Flüchtlingszahlen geben. „Wenn wir die Grenzen jetzt dicht machen, hätten wir einen Rückstau von Hunderttausenden im Balkan und in Griechenland mit allen erdenklichen humanitären und konfliktgeladenen Konsequenzen“, warnte Brok.
Der Vize-Präsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), sagte der Rheinischen Post, die Schließung der deutschen Grenzen „wäre ein Debakel für die Flüchtlinge, für die Wirtschaft, aber auch für Millionen Pendler und Urlauber“.
Verdoppelung der Abschiebungen
Derweil berichtete die Sächsische Zeitung am Mittwoch unter Berufung auf die aktuelle Abschiebestatistik des Bundesinnenministeriums, dass sich die Zahl der Abschiebungen in Deutschland im vergangenen Jahr laut einem Zeitungsbericht fast verdoppelt habe. 20.888 Ausländer hätten Deutschland 2015 zwangsweise verlassen müssen, im Vorjahr seien es noch 10.884 Menschen gewesen.
Weit mehr Menschen – nämlich 37.220 –, die zum Verlassen Deutschlands aufgefordert wurden, seien freiwillig – zum Teil gefördert – ausgereist, schrieb die Sächsische Zeitung. Fast 90 Prozent von ihnen stammten demnach aus Albanien, dem Kosovo, Serbien und anderen Ländern des westlichen Balkans. Außerdem sei eine unbekannte Zahl ausreisepflichtiger Ausländer fortgezogen, ohne sich förmlich „abzumelden“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen