CSU-Klausur in Oberbayern: Der neue Geist von Seeon
Der künftige Parteichef Markus Söder will die CSU „durchlüften“ und setzt auf grüne Themen. Alle scheinen einig: Jetzt bloß zusammenhalten!
Zeit für ein paar famous last words? Der Mann, den man zu den größten Verlierern des Jahres 2018 zählen darf, wirkt gelöst. Er erinnert an insgesamt 49 Winterklausuren, die er schon mitgemacht habe, 39 der Landesgruppe, 10 der Fraktion. Seehofer spricht von einem „besonderen Moment“, zum letzten Mal sei er nun in Kloster Seeon als Parteichef bei einer CSU-Klausur. Da setzt im Hintergrund Glockengeläut ein. Es ist ein Uhr.
Dann spricht er noch von der Geschlossenheit und Entschlossenheit, die die CSU im Speziellen und die Union im Allgemeinen jetzt an den Tag legen müssten. Geschlossenheit, sagt Seehofer, sei das höchste Gut. Sosehr der Politiker in seiner Partei in Ungnade gefallen ist, so sehr spricht er ihr damit aus dem Herzen.
Ruhe ist seit der Niederlage bei der Landtagswahl im Oktober die erste CSUler-Pflicht. Beobachter sprechen wahlweise von einem besonders großen Harmoniebedürfnis oder von Heuchelei. „Wir wollen zurück zu alter Stärke“, wiederholt Generalsekretär Markus Blume mantraartig, und eines scheint den Christsozialen inzwischen klar zu sein: Präsentiert man sich dem Wähler weiterhin als zerstrittener Haufen, rückt dieses ohnehin sehr ehrgeizige Ziel vollends in unerreichbare Ferne.
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So gibt es auch fast kein Störfeuer. Dass ausgerechnet am Freitag CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer die Schwesterpartei CDU via Bild-Zeitung wissen lassen möchte, es gebe keinen Automatismus für eine Kanzlerkandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer – geschenkt!
„Streit lähmt, Streit langweilt, Streit nervt“, hat kurz vor Seehofers Ankunft der bayerische Ministerpräsident Markus Söder gesagt und vor Profilstreit nur um des Profils willen gewarnt. Man solle doch bitte den gemeinschaftlichen Geist in den Vordergrund rücken, er selbst sei „konstruktiv beseelt“.
In der Tat standen die Chancen für einen Neubeginn seit Beginn dessen, was man in der Union gern als Flüchtlingskrise bezeichnet, noch nie so gut.
Neues Jahr, neues Glück
Mit der Ablösung Horst Seehofers als Parteivorsitzenden auf dem CSU-Parteitag am 19. Januar fallen künftig gleich zwei Sollbruchstellen weg: die zwischen ihm und der ebenfalls abgetretenen CDU-Chefin Angela Merkel sowie die zwischen ihm und Söder, seinem engsten Feind.
Die drei Parteivorsitzenden der Großen Koalition, Kramp-Karrenbauer, Söder und Andrea Nahles, gehören nun allesamt nicht dem Kabinett an. Landesgruppenchef Dobrindt macht daher einen „Club der Parteivorsitzenden“ als neues Machtzentrum aus. So ist es natürlich auch ein klares Signal, dass Dobrindt die neue CDU-Chefin Kramp-Karrenbauger nach Kloster Seeon eingeladen hat. Auf ihren künftigen Kollegen Söder wird sie indes nicht treffen, nur auf die ihr aus Berlin schon leidlich vertrauten Gesichter. Söder reiste nach seinem Bericht am Donnerstag gleich wieder ab.
Markus Söder
Jetzt also alles noch mal auf Start: neues Jahr, neues Glück. Der konstruktiv beseelte Söder hat in den vergangenen Wochen schon mehrfach skizziert, wie er sich das vorstellt: „Jünger, weiblicher, offener“ solle die CSU werden. Es sei wichtig, dass sich die Partei breit aufstelle, „durchlüften“ will er sie.
Auch thematisch besinnt sich Söder neu. In seiner ersten Neujahrsansprache als Ministerpräsident kommt er zwei Tage vor Seeon schon ganz ohne CSU-Klassiker wie innere Sicherheit aus.
„Staat mit Stärke“
Stattdessen macht er Klimawandel, Artensterben, Nachhaltigkeit und Europa zu seinen Themen, kündigt an, den Klimaschutz in die Bayerische Verfassung aufnehmen zu wollen. Er habe gelernt, spricht er zum bayerischen Volk, „dass wir uns in der Politik besser zuhören sollten“. Dass er überhaupt dazugelernt habe – das kann man getrost als die eigentliche Kernbotschaft verstehen.
Söder, heißt es in der Partei, habe tatsächlich Konsequenzen aus seinen Fehlern im Landtagswahlkampf gezogen. Damals ließ er ohne Not das Migrationsthema noch einmal hochköcheln, sprach von „Asyltourismus“. Am Ende stand das Wahldesaster. Diese Fehler will Söder nicht noch einmal machen.
Natürlich äußert sich Söder in Kloster Seeon auch zu den Prügelattacken von Asylbewerbern in Amberg. Und er ist noch CSU-Mann genug, um zu fordern, dass Abschiebehindernisse beseitigt werden müssen, um zu betonen, dass „wer das Gastrecht missbraucht, natürlich keine Perspektive in unserem Land“ haben dürfe. Aber fast im selben Atemzug verurteilt er, dass rechtsextreme Gruppen versuchten, das Thema für ihre Zwecke zu missbrauchen. Und auf keinen Fall dürfe es eine neue Grundsatzdebatte über das Thema Asyl geben.
Die Landesgruppe lässt es sich zwar nicht nehmen, nach den Gesprächen mit Seehofer und Söder ein vierseitiges Papier mit dem Titel „Staat mit Stärke – für mehr Sicherheit und geordnete Migration“ zu beschließen, in dem sie etwa ein europäisches Überwachungssystem für Gefährder, das Ende sogenannter Kettenbewährungen und eine konsequentere Abschiebepraxis fordert. Das Thema, darauf legen die Abgeordneten Wert, stehe aber keineswegs im Zentrum der Klausurtagung.
Grüne sind „destruktive Kräfte“
Am zweiten Tag steht dann beispielsweise schon ein Papier auf der Agenda, das ganz Söders Wunsch entspricht, den Grünen auf ihrem Höhenflug den Wind aus den Segeln zu nehmen. Um Klima und Umweltschutz geht es darin. „Unser Anspruch als CSU ist es, im Bereich der Umwelt- und Klimapolitik eine Vorreiterrolle zu übernehmen“, heißt es im Entwurf.
Landesgruppenchef Dobrindt setzt mit einem Gastbeitrag in der Welt noch einen eigenen Akzent. Darin stemmt er sich nicht nur dem Abgesang auf die Volksparteien entgegen, den Grüne und AfD nur allzu gern anstimmten. Die Grünen wirft Dobrindt in seiner Argumentation in einen Topf mit AfD und Linken, diese Parteien seien „destruktive Kräfte“, die das Ziel verfolgten, das Land mit Drohkulissen und Ängsten zu destabilisieren.
Eines scheint die CSU am Erfolg der Grünen bei den vergangenen beiden Landtagswahlen und in den Umfragewerten besonders zu wurmen: dass die frühere Ökopartei zunehmend als bürgerliche Vollpartei wahrgenommen und wohl auch gewählt wird – ein Etikett, das die Union für sich beansprucht. Die Unionsparteien, so Dobrindt, seien der „parlamentarische Arm der bürgerlichen Mehrheit“. Ihr Anspruch müsse es sein, „allen Bürgern von der Mitte bis zur demokratischen Rechten eine politische Heimat zu bieten“.
Inwieweit die Wähler der CSU abnehmen, dass sie wirklich ein neues Kapitel aufschlagen will, wird sich schon im Mai zeigen – bei der Europawahl. Auch beim Thema Europa schlägt die Partei mittlerweile neue Töne an.
Neues Jahr, neue Gäste
Während Söder noch im Sommer das Ende des „geordneten Multilateralismus“ ausgerufen hatte, spricht er mittlerweile wieder von Europa als der Zukunft. Längst hat man in der Parteiführung auch eingesehen, dass es 2014 keine gute Idee war, im Europawahlkampf zweigleisig zu fahren – mit dem Pro-Europäer Manfred Weber auf der einen und dem EU-Skeptiker Peter Gauweiler auf der anderen Seite.
Eine aktuelle Sat1-Umfrage prognostiziert der CSU bei der Europawahl in Bayern trotzdem gerade einmal 36 Prozent der Stimmen. Und dass der Weg zum EU-Kommissionspräsidenten für Weber ein Selbstläufer werden könnte, glauben auch in der Partei die wenigsten. „Weber wird auf keinen Fall Kommissionspräsident werden“, sagt einer, der schon sehr lange dabei ist. Aber an mangelnder Unterstützung soll es nicht liegen.
Den neuen Geist der CSU spiegelt auch die Seeoner Gästeliste wieder. Während vor einem Jahr noch Viktor Orbán nach Seeon kam, wurden dieses Mal der griechische Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis und der irische Premier Leo Varadkar eingeladen – und Manfred Weber.
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