CDU/CSU in der Krise: Auf der Kippe
Die Union ist nach 16 Jahren Angela Merkel ausgelaugt. Verliert sie die Wahl, wird sie es in der Opposition um ein Vielfaches schwerer haben als 1998.
D ass „Probleme dornige Chancen sind“, befand einst ein 18-Jähriger, der sich bald danach anschicken sollte, in die Politik zu gehen. So gesehen bietet sich Armin Laschet in den nächsten drei Wochen die Chance, seinen eigene Legende zu schaffen – wenn es ihm doch noch gelänge, die Union zum Sieg zu führen und ins Kanzleramt einzuziehen.
Das Narrativ des ewig Unterschätzten, der sich nicht kirre machen lässt und derjenige ist, der zuletzt lacht, ist bereits etabliert und reicht zurück bis zu seinem überraschenden Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen 2017. Ein Triumph bei der Bundestagswahl wäre Laschets Meisterstück und würde ihm den Nimbus des allen Widrigkeiten trotzenden Erfolgsmenschen verschaffen, von dem er und auch seine Partei zehren könnten.
Es wäre aber nicht nur deshalb sein Meisterstück, weil es um das Spitzenamt in der deutschen Politik geht, sondern auch weil für die CDU vieles, wenn nicht gar alles auf dem Spiel steht und sie zudem im Moment – der aber gefühlt schon viele Monate andauert – einen derart desolaten Eindruck hinterlässt, dass man ihr nicht so recht zutraut, den derzeitigen Genossen Momentum noch einmal zu drehen. Dornig sind die Chancen also allemal.
Dieser rasante Niedergang der Christdemokratie ist nicht allein dem Spitzenkandidaten anzulasten. Die strukturelle Krise der CDU hat sich über viele Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte aufgebaut und verfestigt. Die klassisch-christdemokratischen Milieus aus denen sich einigermaßen verlässlich die Stammwählerschaft speiste, sind längst zusammengeschrumpft oder gar ganz verschwunden.
Darüber hinaus hat die Union die programmatische Arbeit mit der großen, aber auch innerparteilich umstrittenen Ausnahme des zutiefst neoliberalen Leipziger Programms von 2003 eigentlich schon vor dreißig Jahren weitgehend eingestellt.
Hinzu kommt natürlich die verunglückte Stabübergabe Merkels, deren allenfalls halbherziger Versuch, eine Nachfolgerin aufzubauen, durch Annegret Kramp-Karrenbauers frühen Rücktritt konterkariert wurde. Darauf folgten bekanntlich veritable Kämpfe um Vorsitz und Kanzlerkandidatur, die sich durch die Coronapandemie über quälend lange Monate hinzogen und bis heute nicht wirklich beendet sind – jedenfalls nicht in München.
Minister! Welche Minister?
Dieses lange währende Führungsvakuum in Verbindung mit inhaltlichem Leerstand konnte nicht ohne Folgen bleiben und hat auf allen Ebenen der Partei Spuren hinterlassen.
In der Regierung wurden seit 2017 (und auch schon davor) vor allem sozialdemokratische Initiativen umgesetzt, während Unionsminister und -ministerinnen wie etwa Anja Karliczek, Andreas Scheuer, Julia Klöckner oder Peter Altmaier nicht gerade als Leistungsträger glänzen und in manchen Fällen schlicht als Fehlbesetzung, wenn nicht gar als Schlimmeres gelten, und zwar auch bei manchem Parteifreund.
Jedenfalls verrät die Ministerriege keinerlei Ambitionen, eine einigermaßen erkennbare Unions-Agenda umzusetzen. Diese fehlt nicht nur im Konrad-Adenauer-Haus, sondern auch in der Regierung. Ein Übriges tun der präsidiale Politikmodus der Kanzlerin und ihre geradezu zur Schau gestellte Gleichgültigkeit angesichts der Konfrontation zwischen Laschet und Söder, die den Eindruck vermitteln, Merkel habe nicht nur den CDU-Vorsitz abgegeben, sondern auch ganz grundsätzlich schon längst mit dem Kapitel Union abgeschlossen.
Zwar hat nun die Kanzlerin noch spät, aber doch auch sehr klar im Bundestag für die Union geworben. Aber dass sie sich genötigt sah, die eigene Linie zu revidieren, mag auch als Beleg dafür dienen, wie groß die Not bei den Christdemokraten ist.
Die brave Fraktion
Ein ähnliches Bild bietet die Unionsfraktion, von der es von jeher hieß, sie habe das Potenzial zum eigenständigen Macht- und Energiezentrum der Partei, und die ja auch immerhin mit der Wahl von Ralph Brinkhaus die Revolte gegen Merkel wagte und damit zu signalisieren schien, dass man sich nicht mehr an der kurzen Leine von Brinkhaus’ Vorgänger und Merkel-Vertrauten Volker Kauder halten lassen wollte.
Doch die neue Freiheit trug kaum Früchte. Denn wenn aus dem Fraktionsgeschehen der Brinkhaus-Ära überhaupt etwas in Erinnerung geblieben ist (abgesehen vom Showdown zwischen Laschet und Söder vor versammelter Unionsmannschaft), dann wie bemerkenswert zahm sie das Regierungshandeln bis hin zur Coronapolitik und auch den europäischen Wiederaufbaufonds abgenickt hat, von dem man vermutet hätte, dass er zumindest den mächtigen Finanzpolitikern der Fraktion ein Dorn im Auge sein sollte.
Kurz, auch der Fraktion ist ein wie auch immer geartetes Profil und womöglich sogar eine basale Strategiefähigkeit abhanden gekommen, die schließlich zumindest die Fähigkeit zur klaren Selbstpositionierung voraussetzt. Zur Stabilisierung der Partei konnte sie zuletzt jedenfalls kaum noch einen Beitrag leisten.
Pleiten, Pech, Pannen
Armin Laschet ist die eher undankbare Aufgabe zugefallen, dieser Partei neues Leben einzuhauchen, indem ihr flugs ein Wahlprogramm verpasst und Kampagnefähigkeit verordnet wurde.
Aber dann patzte auch er, dementierte umgehend die steuerpolitischen Positionen, die gerade ins Wahlprogramm geschrieben worden waren, wollte keine „One-Man-Show“ sein, brauchte aber doch bis Anfang September, um ein „Zukunftsteam“ zu präsentieren und stolperte beim schwierigen Balanceakt, im Nachgang zum Katastrophenhochwasser als wahlkämpfender Kanzlerkandidat sichtbar zu sein, aber in erster Linie als empathischer Landesvater wahrgenommen zu werden.
Am besten auf den Punkt gebracht wird die Misere der Laschet-CDU aber durch die denkwürdige Szene, in der der Vorsitzende offensichtlich Schwierigkeiten hat, auf Nachfrage neben Digitalisierung und Bürokratieabbau noch einen dritten Schwerpunkt einer zukünftigen CDU-geführten Regierung zu nennen: „Jooah, was machen wir noch …?“
Letzte Ausfahrt: Angriff auf die FDP
So überrascht es nicht, dass nun das Florett dem Säbel weichen muss und die CDU zur Rote-Socken-Kampagne 5.0 bläst. Doch was unter Peter Hintzes Regie 1994 plump, aber effektiv war, wirkt heute schlicht verzweifelt. Und so verzweifelt ist die Lage, dass selbst der Lieblingspartner im „bürgerlichen“ Lager, die FDP, nicht vor den Angriffen der auskeilenden Wahlkämpfer aus dem Adenauer-Haus gefeit ist. Wer FDP wähle, so verkündete Generalsekretär Ziemiak sinngemäß, der ermögliche die Herrschaft der Eskens und Kühnerts in einer Ampelkoalition, und versuchte so, dem zu befürchtenden Aderlass enttäuschter CDU-Wähler, die sich in Richtung Liberale abwenden, vorzubeugen.
Man muss feststellen: Nachdem sich die Union bei den letzten zwei Bundestagswahlen einfach dem Wahlkampf verweigert hat (Stichwort: asymmetrische Mobilisierung), scheint sie jetzt, wo es so dringend nötig wäre, auch ihre einstmals viel gerühmte Fähigkeiten als Wahlkampfmaschine verlernt zu haben.
In den Theorien der parlamentarischen Demokratie, wie man sie in den Lehrbüchern der Politikwissenschaft findet, ist dies ein klarer Fall. Eine solche Partei gehört in die Opposition, um sich dort inhaltlich und personell zu erneuern. Wie letzte Umfragen zeigen, sieht das auch eine Mehrheit der Bevölkerung so.
Der Gang in die Opposition ist immer hart. Für die CDU kann er statt der erhofften Frischzellenkur weitaus dramatischere Auswirkungen haben. Sicher, auch 1998, als die Union zuletzt die Regierungsmacht verlor, wurde sie umgehend auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in die Opposition abgeschrieben oder ihr gar das Verschwinden in der Bedeutungslosigkeit prognostiziert – um nur sieben Jahre später in die Regierung zurückzukehren und eine Ära christdemokratischer Dominanz einzuläuten.
Mit der AfD opponieren?
Aber die Konstellation stellt sich heute in vielerlei Hinsicht durchaus anders dar: Schon 1999 konnten Roland Koch in Hessen ebenso wie Peter Müller im Saarland furiose Überraschungscoups bei den Landtagswahlen feiern, und die CDU meldete sich damit trotz Spendenskandal umgehend als ernstzunehmende politische Konkurrenz zurück.
2022 stehen Wahlen im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen an. Hier können CDU-geführte Regierungen bestenfalls im Amt bestätigt werden, und ob dies überhaupt gelingt, ist natürlich alles andere als ausgemacht. Noch wichtiger aber ist ein weiterer Unterschied im Vergleich zu 1998: Damals übernahm eine 35-Prozent-CDU neben zwergenhafter FDP und PDS die Oppositionsführung.
Nach der diesjährigen Bundestagswahl wäre es eine wesentlich kleinere Fraktion, die sich im Falle einer Ampelkoalition neben der Linkspartei und vor allem der AfD wiederfände. Es ist eine Sache, sich als Union von den Rechtspopulisten abzugrenzen, wenn man in der Regierung ist. Und eine ganz andere Sache, wenn man ebenfalls in der Opposition ist; allein schon deshalb, weil man den parlamentarischen Gepflogenheiten gemäß regelmäßig mit der AfD gegen die Regierungspolitik abstimmen würde.
So kann sich die Union schnell in einem Überbietungswettbewerb mit der AfD wiederfinden, der die CDU schlimmstenfalls sogar vor eine Zerreißprobe stellen könnte – wenn sie nicht bis dahin schon „Liste Söder“ heißt.
Schon nach den Wahlen in Baden-Württemberg wurde von den Schwarz-Grün-Befürwortern um Kretschmann auch als Argument angeführt, dass man die CDU keinesfalls mit der AfD in der Opposition allein lassen wollte.
Der eingangs zitierte junge Mann war übrigens Christian Lindner. Und obwohl es um die FDP keineswegs so düster steht wie um die Union, muss auch er dringend hoffen, mit seiner mehr als gewagten Prognose recht zu behalten, das Rennen um das Kanzleramt sei längst zugunsten Laschets entschieden.
Denn käme es doch anders, könnte er vor dem Dilemma stehen, entweder seiner Partei eine Koalition mit SPD und Grünen schmackhaft machen zu müssen (Stichwort: Herrschaft der Eskens und Kühnerts) oder abermals die Regierungsarbeit zu verweigern und damit am Ende einer rot-grün-roten Koalition den Weg zu ebnen. Scheitert Laschet, dann bieten sich auch Lindner eine Menge Chancen der dornigen Sorte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste