CDU ruft zum Boykott auf: Kunst darf alles, außer in Osnabrück

Mit einem Angriff aufs Grundrecht der Kunstfreiheit profiliert sich Osnabrücks CDU: Sie will eine Ausstellung in der Kunsthalle canceln.

Sophia Süßmilch trägt zur Performance einen langen Rattenschwanz

Das halbnackte Grauen: Sophia Süßmilch trägt zur Performance einen langen Rattenschwanz Foto: Friso Gentsch/dpa

Gegen einen Angriff der örtlichen CDU hat die gemeinsame Ratsfraktion von Grünen und Volt Osnabrücks Kunsthalle verteidigt. Zuvor hatten CDU-Kreisverband und Fraktion in einem Kommuniqué zum Boykott der Kunsthalle aufgerufen. Die am Samstag eröffnete Ausstellung „Kinder, hört mal alle her!“ sei umgehend wieder zu schließen. Ja, es sei „unverständlich, wie eine solche Ausstellung überhaupt genehmigt werden konnte“, entwickelt das Schreiben die Vorstellung, Kunstausstellungen vorab einer behördlichen Zustimmung zu unterwerfen. Eine solche Zensur wäre grundgesetzwidrig.

Tatsächlich ruft Gegenwartskunst oft eine Abwehr hervor. Ist sie avantgardistisch, tabubrechend, experimentell, vermag sie Menschen zu irritieren, denen sich der Sinn nicht unmittelbar erschließt. Das Team der Kunsthalle Osnabrück kennt solche Kritik. Sie weiß auch, dass Unmut und Skandalträchtigkeit Aufmerksamkeit generieren. Aber was am Samstag zur Eröffnung ihrer Ausstellung „Kinder, hört mal alle her!“ losbrach, hatte man auch dort noch nicht erlebt.

Die Schau zeige Werke, „die sowohl inhaltlich als auch visuell absolut inakzeptabel sind“, befand die CDU. Man nehme nicht hin, „dass unter dem Deckmantel der Kunst derartige groteske und verstörende Darstellungen öffentlich gezeigt werden“, schreibt Marius Keite, Vorsitzender der Stadtratsfraktion.

Zwar dürfe Kunst provozieren. Aber „sie muss auch Verantwortung übernehmen“, ergänzt Verena Kämmerling, Kreisvorsitzende der CDU Osnabrück. Man fordere „die Verantwortlichen auf, diese Ausstellung umgehend zu schließen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen“, heißt es in der Verlautbarung.

CDU kritisiert Performance

Im Zentrum der Angriffe: eine Performance der Künstlerin Sophia Süßmilch in der ehemaligen Dominikanerkirche. Diese greift auf kannibalische Szenografien einer Hexenversammlung zurück, wie sie beispielsweise Johann Wolfgang von Goethe dichterisch, Francisco de Goya malerisch geprägt hat. Mütter, die ihre Kinder verspeisen, seien „keine Kunst“, urteilt nun Osnabrücks CDU: „Solche Darstellungen sind nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene unzumutbar“, so der Fraktionsvorsitzende ­Marius Keite.

Sophia Süßmilch sieht in dem Anwurf ein „Zeugnis des Rechtsrucks unserer Gesellschaft“. „Ich lade die örtliche CDU zum Battle-Rap ein, in die Kunsthalle“, sagt sie der taz und lacht.

Dabei hat sie in Folge der Veröffentlichung der CDU-Erklärung Morddrohungen erhalten: „Da hieß es dann, ich könne froh sein, dass hier keine Selbstjustiz herrscht, sonst würde ich an der nächsten Straßenlaterne hängen.“

Direktorin der Kunsthalle weist Kritik zurück

Juliane Schickedanz, Direktorin der Kunsthalle, hat von den CDU-Vorwürfen erst aus der Presse erfahren, sagt sie. „Die Kunstfreiheit ist unumstößlich!“ Die Kritik bestätige die Relevanz der Einrichtung. „Wir legen Finger in Wunden“, sagt Anna Jehle der taz, die mit Schickedanz eine Direktions-Doppelspitze bildet. Es gehe hier nicht allein um Süßmilch. „Hier wird die Halle generell infrage gestellt“, so Jehle.

„Die ästhetische Bewertung überlassen wir gerne anderen, die Verteidigung der Kunstfreiheit nicht“, schreiben Volker Bajus, der Vorsitzende, und Sebastian Bracke, der kulturpolitische Sprecher der Volt-Grünen-Ratsfraktion, in einer Erklärung. Die Forderung nach Schließung der Ausstellung sei absurd. „Was kommt als nächstes? Die Forderung, alle Kriminalromane als Mordpropaganda aus der Stadtbibliothek zu verbannen?“

Ähnlich äußerte sich Montagnachmittag auch die SPD-Fraktion nach einem Kunsthallen-Besuch. Dass ihr Jahresprogramm, das sich mit Themen „rund um Erziehung, Bildung, Generationskonflikten und dem ewigen Kindsein“ befasst, gewöhnungsbedüftig sein könne, hatte die Kunsthallenleitung klar kommuniziert. Ein Besuch der Ausstellung und der Süßmilch-Performance „Then I’ll huff and I’ll puff and I’ll blow your house in“ könne „als nicht kindergerecht eingestuft werden“, hieß es bereits auf der Website.

Für die CDU ebenfalls irritierend, aber in den Kunsthallen von Tate Modern (London) bis Centre Pompidou (Paris) längst üblich, gibt es zudem „Content-Warnungen“, die auf Themen wie Gewalt, Nacktheit und Sexualität hinweisen plus Altersempfehlungen und das Angebot, beim Awareness-Team Beistand zu suchen.

„Kannibalistische Choräle“ gehören dazu

Zur Schau gehören „Kannibalistische Choräle“, in denen böse und komisch von „Säuglings-Sauerbraten“ und „Steak aus Stiefkind“ die Rede ist. Auch kann, wer ein Fernglas zur Hand nimmt, in 20 Metern Höhe Meerschweinchenrezepte lesen. Riesige Rattenschwänze hängen von der Decke, zudem das „Guinea Pig of Death“ zum Anbeten. Auf schwarzen Stoffbahnen liegen Kugelobjekte, wie aus Haut genäht. Ein paar Püppchen wirken creepy. Aber schockierend? Eher nicht.

Der Angriff hat eine Vorgeschichte: Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU) möchte die Kunsthalle seit Jahren in eine programmatisch unspezifische Begegnungsstätte verwandeln, einen sogenannten „Dritten Ort“. Die Ratsmehrheit ist dagegen. Der Verdacht liegt nahe, dass ihre Partei „Kinder, hört mal alle her!“ nutzen will, um ihren Kampf fortzuführen.

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