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CDU-Wahlkampf um den ParteivorsitzDie Ost-Union, das unbekannte Wesen

Bei der CDU-Basis im Osten kommen konservative Positionen gut an. Wen ihre Delegierten zum Parteichef wählen wollen, ist trotzdem unklar.

1, 2 oder 3? Kramp-Karrenbauer, Spahn und Merz auf dem CDU-Landesparteitag in Leipzig Foto: dpa

Halle/Leipzig taz | Halle und Leipzig liegen nur 35 Kilometer voneinander entfernt. Gefühlt sind es aber manchmal ein paar mehr. So wie bei den Auftritten des Bewerbertrios um die Merkel-Nachfolge in der CDU: Gemeinsam waren den Terminen in Halle (Regionalkonferenz vor zehn Tagen) und Leipzig (Landesparteitag der sächsischen Union am Wochenende) nur die Redebausteine der drei Kandidaten. Wie schwer berechenbar aber das Verhalten der CDU-Landesverbände gerade im mittleren Osten ist, zeigten sowohl die beiden Veranstaltung als auch die aufgebrochenen Diskussionen an der Basis.

Von großem Gewicht wird das Votum der Ost-Delegierten beim Parteitag am 7. Dezember in Hamburg erst einmal nicht sein. Unter den 1001 Delegierten finden sich entsprechend der Mitgliederanteile nur einige Dutzend aus dem Osten. Sie könnte aber immerhin bei einer knappen Entscheidung zum Zünglein an der Waage werden.

Dass man sich aus der Merkel-Gefolgschaft gelöst hat, spürt man hier allenthalben. Aber statt einer eindeutigen Aufbruchstendenz ist eher paradoxes Verhalten zu beobachten.

Die Union in Sachsen-Anhalt gilt, vorsichtig gesagt, als ausgesprochen konservativ. In der Landtagsfraktion stimmen verdeckt immer wieder U-Boote mit der AfD und fallen damit der Kenia-Koalition mit SPD und Grünen in den Rücken. Der Landesparteitag hat vor knapp zwei Wochen mit großer Mehrheit die Bundesregierung aufgefordert, den UN-Migrationspakt nicht zu unterzeichnen. So votierten auch Ministerpräsident Reiner Haseloff und Innenminister Holger Stahlknecht.

Gegen Denkverbote, für Einreiseverbote

Auf der Regionalkonferenz mit den drei Vorsitzkandidaten in Halle sorgte dann auch gleich der erste Fragesteller für entsprechende Stimmung. Wie sich die Kandidaten denn von der „nach links-grün driftenden Politik der Frau Merkel abwenden“, wollte der Mann aus der CDU-typischen Ü-60-Klientel wissen.

Zwei der zweieinhalb Stunden ging es nur um das Migrationsthema: Wie erfrischend es sei, dass sich Friedrich Merz aus den Denkverboten zum Asylrecht löse. Wie dieses Recht massenhaft missbraucht werde. Und dass man jungen Männern, die den Staat vorführen und ihn lächerlich machten, die Einreise verweigert sollte.

Dennoch heimste Annegret Kramp-Karrenbauer bei ihrer Vorstellung mit 20 Sekunden den längsten Beifall ein. Sie hatte das Reizthema Flüchtlinge vermieden, streichelte die Union vielmehr mit dem Stolz auf frühere Errungenschaften und ein bisschen mit Heimatgefühlen. Tags zuvor in Seebach bei Eisenach, wo sich die Hessen und die Thüringer versammelt hatten, lagen die Sympathien noch ziemlich gleich verteilt zwischen Kramp-Karrenbauer, Merz und Jens Spahn.

Sachsen für Merz?

In Leipzig hingegen hatte am vergangenen Samstag Friedrich Merz ein Heimspiel, was sich auf seine Tagesform spürbar positiv auswirkte, Kramp-Karrenbauer hingegen gelegentlich versteinern ließ. Dabei wusste sie genau, was die Sachsen hören wollen. Die CDU-Generalsekretärin sprach breit die innere Sicherheit an, lobte die Bildungserfolge bei PISA-Vergleichsstudien und widmete sich der Lausitzer Kohleregion.

Fast eine Minute lang applaudierten die 900 Delegierten und Gäste aber Friedrich Merz, einige von ihnen stehend. Kramp-Karrenbauer brachte es gerade mal auf zehn Sekunden Pflichtbeifall, Jens Spahn auf 18.

Die Sächsische Union bestätigt auch in dieser Phase der Neuformierung ihren Ruf, die CSU des Ostens zu sein. Am sympathischsten mag da noch ein Konservatismus erscheinen, der dem schwungvollen Stil des seit einem Jahr amtierenden Ministerpräsidenten Michael Kretschmer geschuldet ist: Das Bewerbertrio wurde mit den guten alten Rolling Stones und ihrem „Start me up“ auf das Podium gerockt. Dann aber kam lautstarke Unterstützung für Spahns Festung-Europa-Thesen und Merzens Kritik am „Kontrollverlust des Staates“ 2015.

Von der AfD abgegrenzt

Das aber waren gar nicht die Hauptthemen. Ausgerechnet die Fragenden aus Sachsen widmeten sich der EU, der Außenpolitik, der Wirtschaft und der Rückkehr zur Volkspartei CDU. Und es gab Beifall für die klare Abgrenzung aller drei Kandidaten gegenüber der AfD. Am schärfsten von Kramp-Karrenbauer, die beispielsweise den Internet-Lehrerpranger angriff, der „Kinder zu Denunzianten erzieht“.

Die AfD sehen an der Basis aber nicht alle so kritisch. Der neue Landtags-Fraktionsvorsitzende Christian Hartmann hatte eine Koalition mit der AfD nach den Landtagswahlen im September 2019 nicht ausgeschlossen. In seinem Dresdner Kreisverband denkt man ähnlich. „Das sind doch meist ehemalige CDU-Mitglieder“, heißt es empathisch über die Abtrünnigen. Auch in Kreisen um den früheren Minister und Landesgeneralsekretär Steffen Flath aus dem Erzgebirge wird beispielsweise Alexander Gauland als verlorenes Schaf der Union angesehen.

Hier und in konservativen Kreisverbänden wie in der Lausitz oder in Meißen sieht man „den Micha noch sehr in Merkel-Spuren“. Gemeint ist der 43-jährige Ministerpräsident Kretschmer, der in Leipzig zwar eine mitreißende Rede hielt, der um die Parteibasis aber gerade wegen seiner Abgrenzung nach rechts kämpfen muss. Die votiert teils ganz offen für Merz. „Es wird aber noch eine Weile dauern, bis die CDU wieder richtig konservativ ist“, gibt eine maßgebliche Stimme aus dem Dresdner Kreisverband die Richtung nach Merkel vor.

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1 Kommentar

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  • Innenminister Holger Stahlknecht scheint seinen Namen als Verpflichtung zu betrachten. Von ihm allerdings auf die CDU-Basis zu schließen, ist einigermaßen gewagt. Wobei ich zugeben muss, dass 30 Jahre Vorwende- und 30 Jahre Nachwende-Sozialisation in der Summe nicht unbedingt viel Vernunft erwarten lassen. Auch nicht an der CDU-Basis. Mittels einer gewaltsam-autoritären Erziehung formt man nun mal selten friedliebend-liberale Citoyens. Schon gar nicht, wenn die Alternative für den Osten durch Abwesenheit bzw. Vernachlässigung der zu integrierenden glänzt.

    Übrigens: Dem „Kreisen um den früheren Minister und Landesgeneralsekretär Steffen Flath aus dem Erzgebirge“ sollte dringend widersprochen werden. Alexander Gauland ist definitiv nicht das „verlorenes Schaf der Union“. Der Typ ist ein Wolf im Schafspelz. Ein Hirte aber, der ein solches „Schaf“ heim in seine Herde holt ohne ihm umgehend das Fell über die Ohren zu ziehen, ist kein guter Hirte sondern ein Idiot. Mit Empathie hat so viel Ignoranz gar nichts zu tun.