CDU-Politikerin Annette Widmann-Mauz: In Merkels Fußstapfen
Nach der Rücktrittsankündigung von der Leyens dreht sich das Personalkarussell: Auch für die Integrationsbeauftrage Widmann-Mauz? Ein Porträt.
Das Selfie wird später auf ihrem Twitter-Account auftauchen: Widmann-Mauz, die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, zusammen mit dem Geschäftsführer des Betriebs und seinen syrischen und marokkanischen Mitarbeitern und Azubis.
Die Idee hatte einer der Mitarbeiter, der Fotograf hat das Motiv begeistert aufgegriffen. Nicht zuletzt, weil es so sehr an das Selfie erinnert, das der syrische Geflüchtete Anas Modamani im Sommer 2015 mit Bundeskanzlerin Angela Merkel aufnahm. Es ist ein Bild, das viel aussagt darüber, wie die Integrationsbeauftragte ihr Amt ausfüllt.
Wenn es eine gibt, die in Sachen Flüchtlingspolitik den „Merkel-Kurs“ innerhalb der Union verkörpert, dann ist es Widmann-Mauz. Wo das Bundesinnenministerium Geflüchteten, die bereits in einem anderen EU-Staat anerkannt sind, staatliche Leistungen komplett streichen will, pocht sie darauf, Sprachkurse für mehr Menschen zu öffnen, und zwar unabhängig von ihrer Bleibeperspektive. Und wenn Bundesinnenminister Horst Seehofer von der Schwesterpartei CSU erklärt, Migration sei die „Mutter aller politischen Probleme“, betont Widmann-Mauz: „Ohne Migration wäre unser Land nicht so erfolgreich, wie es heute ist“.
Drei Tage quer durch Deutschland
„Im Handwerk interessiert nicht, woher du kommst, sondern wohin du willst“, steht auf Twitter über dem Foto aus Markkleeberg. Entstanden ist es Anfang Juli auf einer Pressereise der Staatsministerin unter dem Motto: „Deutschland kann Integration“. „Wir schaffen das“, hatte Merkel im Sommer 2015 gesagt – ein Satz, der ihr seither zigmal vorgehalten wurde.
Und „Wir schaffen das“ ist auch der rote Faden, der die Projekte verbindet, die Widmann-Mauz an drei Tagen quer durch Deutschland mit einem Tross Journalist*innen im Schlepptau besucht. Sei es die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, der Dialog zwischen jüdischen und muslimischen Communitys, Islamunterricht an Schulen oder die Sprachförderung im Kindergarten.
Seit März 2018 ist die CDU-Politikerin im Amt. Anfangs wurde sie besonders von Migrantenorganisationen kritisch beäugt. Bis heute ist die Skepsis nicht ganz verschwunden. Punkten konnte sie mit ihrer Haltung: Ihre Rhetorik in der Migrationspolitik ist viel liberaler als die vieler Parteikolleg*innen, vor allem die der Innenpolitiker*innen. Wenn es drauf ankommt, hält sie sich auch mal zurück: Schließlich will sie ihre Karriere in der Politik durch dieses Amt nicht versauen. Wie wichtig ihre Haltung sein könnte, zeigen die derzeitigen Politrochaden.
Strahlende Staatsministerin
Bevor Widmann-Mauz ihr direkt im Kanzleramt angesiedeltes Amt antrat, war sie Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium. Genau dorthin könnte sie demnächst zurückkehren – dieses Mal als Ministerin. Nachdem Ursula von der Leyen am Montag per Twitter bekannt gab, als Verteidigungsministerin zurückzutreten – unabhängig davon ob sie die neue EU-Kommissionspräsidentin wird oder nicht – könnte ihr Jens Spahn im Amt nachfolgen. Dann wäre der Posten des Gesundheitsministers frei – für Annette Widmann-Mauz.
Die Staatsministerin strahlt viel auf dieser Reise, schüttelt Hände oder gestikuliert lebhaft mit ihren eigenen, beugt sich vor, hört genau zu, wenn ihre Gesprächspartner*innen erzählen. Sie führt diese Gespräche nicht nur für den eigenen Erkenntnisgewinn, sondern auch zur Eigen-PR: Ihre Fragen muten mitunter wie ein Interview an, oder sie gleichen einem Kurzvortrag über das, was Widmann-Mauz zum Thema zu sagen hat. Während die Besuchten zur Politikerin sprechen und wenige Meter weiter kaum noch zu verstehen sind, sorgt Widmann-Mauz dafür, dass man sie immer hört. Vor allem die Presse.
Liest man heute Artikel über sie, so heißt es dort manchmal, Migranten- und Religionsverbände hätten ihre Berufung kritisiert, weil die CDU-Politikerin selbst keinen Migrationshintergrund hat – außer einem schwäbischen, wie sie selbst gern breit lächelnd betont. Fragt man heute bei den Kritiker*innen nach, dann heißt es: Dass Widmann-Mauz selbst keiner der vielen sehr unterschiedlichen migrantischen oder religiösen Communitys angehöre, könne sogar ein Vorteil sein.
Etwa weil sie unabhängiger agieren könne, in keine Ecke gestellt werde. Und weil sie, anders als ihre Vorgängerin Aydan Özoğuz (SPD), nicht ständig nach ihrer Haltung etwa gegenüber dem türkischen Präsidenten Erdoğan gefragt werde. „Ein Migrationshintergrund muss keineswegs zwingend mit der Qualifizierung für dieses Amt zu tun haben“, sagt Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime.
Kritisch beäugt, weil fachfremd
Kritisch beäugt wurde eher, dass sie fachfremd war. Widmann-Mauz kam ins Kanzleramt, nachdem sie schon damals zunächst als Gesundheitsministerin im Gespräch war. „Da hat man eher den Eindruck, dass noch jemand mit einem Amt versorgt werden musste“, sagt Aziz Bozkurt, Vorsitzender der AG Migration und Vielfalt in der SPD. „Und dafür ist Aydan Özoğuz rausgeflogen, das einzige Mitglied der Bundesregierung mit einem Nicht-EU-Migrationshintergrund.“
Ihr fehle eine langfristige inhaltliche Strategie, sagen manche. Sie führe vor allem fort, was ihre Vorgänger*innen begonnen hätten. Ansonsten dringe sie wenig durch, eigene Akzente oder gar eine eigene Handschrift sei nicht zu erkennen – weder in eine restriktive noch in eine progressive Richtung.
Die Gestaltungsspielräume in ihrem Amt sind – das muss man sagen – begrenzt. Widmann-Mauz lenkt den Blick auf die Positivbeispiele, fördert diese, soweit es ihr Haushalt von rund 38 Millionen Euro zulässt. Zum Vergleich: Die Ministerien haben einen Haushalt von etwa sechs bis 135 Milliarden Euro im Jahr. Am Kabinettstisch darf sie zwar mitreden, ein Stimmrecht hat Widmann-Mauz aber nicht.
Um Inhalte tatsächlich durchzusetzen, muss sie Allianzen suchen. Ihre Sphäre ist das Verhandeln im Hintergrund. Sie habe einen gesunden Pragmatismus und das Verhandlungsgeschick der Profipolitikerin, erzählen Kolleg*innen. Aber mit scharfen Äußerungen, wie sie Özoğuz oft öffentlichkeitswirksam verbreitete, hält sie sich meist zurück.
Empathisch und zugewandt
Und: Annette-Widmann-Mauz ist empathisch und zugewandt, heißt es. Sie nimmt die Migrantenorganisationen als Gesprächspartner auf Augenhöhe wahr, sucht den Dialog. Das bestätigen alle, die man in Organisationen und Verbänden fragt. Mehr noch: Sie habe einen zielsicheren Kompass, wenn es um Ungerechtigkeit und Diskriminierung gehe. Dieser dürfte durch ihre Verwurzelung im Gleichstellungsbereich fein justiert sein: Zwanzig Jahre lang war sie Vorsitzende der Frauen-Union in Baden-Württemberg, 2015 stieg sie zur Bundesvorsitzenden der Unionsfrauen auf.
Sie findet klare Worte. Oft warnt sie eindringlich vor dem wachsenden Rassismus und seinen Folgen. Rassismus, dieses Wort geht ihr leicht von den Lippen, während viele ihrer Parteikolleg*innen wenn überhaupt von „Fremdenfeindlichkeit“ sprechen. Als Friedrich Merz kürzlich verkündete, er habe – längst – für einen AfD-Kandidaten für das Amt des Bundestagsvizepräsidenten gestimmt, entgegnete Widmann-Mauz auf Twitter: „Sie verachten diesen Staat. Nein, ich helfe nicht dabei mit, dass sie ihn auch noch repräsentieren!“ Normalerweise bekommt Annette Widmann-Mauz für einen Tweet zwischen 0 und 20 Herzchen. Für diesen Tweet waren es rund 2.400.
Richtig ist aber auch: Die Staatsministerin sucht keinen Streit. Schon gar nicht für einen Job, den sie aller Voraussicht nach nicht für die Ewigkeit innehat. Sie habe sich „an der einen oder anderen Stelle noch mehr Mut gewünscht“, sagte Widmann-Mauz Anfang Juni in einer Rede im Bundestag. Es ging um einen Teil jenes Migrationspakets, mit dem die Fachkräfteeinwanderung ein wenig erleichtert und das Abschieberecht massiv verschärft wurden – doch der Satz lässt sich wohl ohne Weiteres auf das gesamte Paket übertragen. „Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren“, setzte die Staatsministerin nach: „die Richtung stimmt“.
„Egal woran Sie glauben …“
Dass beim Thema Migration jede noch so banale Kleinigkeit zum Politikum werden kann, hat auch Widmann-Mauz erlebt – als sie 2018 Weihnachtskarten verschickte. Auf den Exemplaren für Journalist*innen war explizit nicht von Weihnachten die Rede: „Egal woran Sie glauben … wir wünschen Ihnen eine besinnliche Zeit und einen guten Start ins neue Jahr.“ Für die Bild-Zeitung war dieser Satz Anlass genug, zu verbreiten, die Integrationsbeauftragte schaffe Weihnachten ab. Auch aus den eigenen Reihen wurde Widmann-Mauz heftig angegangen. Wer eine solche Karte verschicke, müsse sich „fragen lassen, für welche Werte er steht“, sagte etwa die CDU-Abgeordnete Sylvia Pantel.
Dass manche in ihrer Partei so gar nicht einverstanden sind mit ihren Positionen, zeigte ihr auch der eigene Landesverband in Baden-Württemberg. „Im Ländle“ ist Widmann-Mauz gut verwurzelt – das hört man sofort, wenn sie etwa von zivilgesellschaftlichem „Ongaschemeng“ spricht. Seit Jahren gewinnt sie in ihrem Wahlkreis das Direktmandat. Bei der Wahl zur stellvertretenden Landesvorsitzenden fuhr sie 2017 das beste Ergebnis ein. Nicht so im Mai 2019. Da war sie schon von der Gesundheits- in die Migrationspolitik gewechselt, außerdem hatte sie Annegret Kramp-Karrenbauer den Rücken gestärkt in deren Kampf um den Parteivorsitz mit Friedrich Merz. Und ihr Landesverband, selbst gespalten in eher liberale Stimmen und deutliche Hardliner, strafte sie ab: 65,9 Prozent.
Auf Linie bringen lässt Widmann-Mauz sich nicht. Aber sie weiß, welche Themen Ärger bedeuten. Das Kopftuch bei Kindern zu verbieten löse „nicht das Problem, das dahintersteht“, hatte sie noch kurz nach ihrem Amtsantritt erklärt. Ein Jahr später, im Mai 2019, klingt sie schon anders: „Alle Maßnahmen, die Mädchen davor schützen – vom Elterngespräch bis zum Verbot –, sollten geprüft und angegangen werden.“
Und Widmann-Mauz weiß, wo sie mit ihren eigenen Themen auch der Fraktion den Bauch pinseln kann. Im November 2018 erklärte sie, sie werde künftig an keinem Treffen ohne Frauen mehr teilnehmen. Toll finden konnte man das, wenn man auf Gleichstellung pocht – aber auch wenn man der Meinung ist, dass mangelnde Gleichstellung eben vor allem ein Problem migrantischer Gruppen sei. Dabei heben sich auch CDU und CSU nicht gerade mit Parität hervor.
Gesundheitspolitik hat sie damals gern gemacht
Die geschickte Balance könnte Widmann-Mauz nun zugutekommen. Fragt man sie, was denn dran sei an dem geplanten Personalkarussell, dann wehrt sie ab: Über Posten, die gar nicht frei sind, brauche auch nicht spekuliert werden. Gesundheitspolitik habe sie damals gern gemacht, sagt sie. Dass sie den Posten annimmt, sollte er ihr tatsächlich angeboten werden, davon ist auszugehen: Widmann-Mauz ist Expertin auf dem Gebiet, von 2009 bis 2018 war sie Staatssekretärin im Gesundheitsministerium. Mit einem eigenen Ministerium würde ihr Einfluss enorm wachsen.
Bei solch einer Beförderung müsste sie schon gute Gründe haben, Nein zu sagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“