CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn: Der Unbeirrbare

Der Mann mag den Kampf um den CDU-Vorsitz verloren haben. Das heißt aber nicht, dass Spahn jetzt kleinere Brötchen backt. Im Gegenteil.

Mann mit Brille im blauen Anzug

Sehen so Verlierer aus? Foto: imago/photothek

BERLIN taz | Es sei, sagt die Antragstellerin, aller Anerkennung wert, dass der Minister heute „leibhaftig“ erschienen sei. Jens Spahn guckt aus seinem blauen Anzug, als würde er sich seiner Anwesenheit hier im Petitionsausschuss gerade erst bewusst. Ist es nicht selbstverständlich, dass er hier, in diesem meterhohen, kreisrunden Saal Leuten Rede und Antwort steht, die 200.000 Unterschriften gegen das von ihm geplanten Psychotherapeuten-Gesetz gesammelt haben? Wie ein unverhofft gelobter Problemschüler schaut Jens Spahn nun nach links hinüber zu Ariadne Sartorius.

Die Psychotherapeutin ist von Frankfurt am Main in den Bundestag nach Berlin gereist, weil sie findet, dass PatientInnen sich ihre TherapeutInnen weiterhin selbst aussuchen können müssen, und zwar ohne dass zuvor ein „Gutachter“ über ihre Bedürftigkeit entscheidet. Deshalb hat sie eine Petition gestartet, eine erfolgreiche Petition.

Jens Spahn hört sich ihre Argumente an. Er macht sich Notizen, verständigt sich flüsternd immer mal wieder mit seinem aus dem Ministerium mitgebrachten Experten neben sich. Er bleibt aber fest in der Sache. „Wir können gern über eine andere Begrifflichkeit reden“, sagt er schließlich. „Aber ich möchte das Problem lösen.“ Das Problem sind viel zu lange Wartezeiten auf Therapieplätze. Spahn ist hörbar nicht hier, um Bedenkenträgerinnen wie Frau Sartorius beizupflichten. Er will Lösungen liefern. Er will gewinnen.

Seit Mitte März 2018 ist Jens Spahn Bundesgesundheitsminister für die CDU. Während dieser zehn Monate hat er ein paar aufregende Wochen lang wohl tatsächlich geglaubt, der Nachfolger von Angela Merkel im Amt der Parteivorsitzenden werden zu können. Schließlich ist er seit 2002 direkt gewählter Bundestagsabgeordneter, seit fünf Jahren CDU-Präsidiumsmitglied, jetzt Bundesminister – und trotzdem immer noch erst 38 Jahre alt.

Jens Spahn, der Verlierer

Spahn ist Vergangenheit und Zukunft dieser großen Partei in einer Person. Und auch noch bestens vernetzt. Selbst mit Antieuropäern wie Österreichs Kanzler Kurz und Trumps Botschafter Richard Grenell hat er Selfies gepostet – es hat ihm nicht geschadet. Spahn also hielt sich für den richtigen Mann, um, wie vorab in zahllosen Mauschelrunden beschlossen, „die Chefin“ vom Sockel zu hauen und anschließend nicht eben fein auch aus dem Kanzleramt.

Spahn musste dann aber bitter erfahren, dass die ganz alten CDU-Netzwerke am Ende doch lieber einen wie Friedrich Merz unterstützten. Einen vormodernen, heterosexuellen Mann ohne politische Praxis, den vor allem seine Erzfeindschaft gegenüber Merkel und seine ausgestellte Nähe zum Neoliberalismus auszeichnen. Auf dem CDU-Parteitag im Dezember war Spahn schon nach dem ersten Wahlgang aus dem Rennen. Das muss verdammt wehgetan haben.

Spahn, der Steh-auf-Mann

Anderen Typen als Jens Spahn hätte diese kalte Illoyalität seiner Parteifreunde gereicht. Andere hätten geschmollt und wären irgendwann bestens dotiert in die freie Wirtschaft desertiert. Aber Jens Spahn tickt so nicht. Den Münsterländer zeichnet eine gewisse Rauflust aus, ein Beharrungsvermögen, das die Niederlage nicht schätzt, aber wohl als etwas verbucht, was sein Freund und Mieter seiner Eigentumswohnung, der FDP-Chef Christian Lindner, „dornige Chancen“ nennen würde.

Spahn respektiert sein Scheitern nicht nur, es spornt ihn geradezu an. Er will gestalten, er will Macht haben, und das gelingt ihm zunehmend besser. Er hat einen Plan, und anders als sehr viele in der alternden CDU hat Jens Spahn noch jede Menge Lebenszeit vor sich. Unter den aktiven PolitikerInnen dieses Landes ist er eine harte, dauerhafte Währung.

Jens Spahn, Bundesgesundheitsminister

Wir wollen den Krebs besiegen. Das wird nicht leicht. Aber gerade deshalb müssen wir es versuchen

Also zeigt er sich. Geht in jede Talkshow, diskutiert im Petitionsausschuss, spricht im Bundestag zum Transplantationsgesetz, streitet sich in durchaus gereiztem Ton mit ÄrztInnen über deren Terminvergabe herum und trinkt mit Pflegekräften Kaffee. Und seit er Mitte letzter Woche gemeinsam mit Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) die „Nationale Dekade gegen Krebs“ gestartet hat, stellt er gleich noch in Aussicht, den Krebs binnen zehn bis zwanzig Jahren besiegen zu können. Hauptsache, es knallt. Hauptsache, Jens Spahn steht als Macher da, als political animal, das mal eben eine oft tödliche Krankheit zu besiegen imstande ist.

Bei den Fachleuten kommt seine aktuelle Volte gar nicht gut an. Die Stiftung Patientenschutz nennt Spahns Versprechen verantwortungslos, der Medizinhistoriker Wolfgang Eckert spricht von Fake News. Spahn spornt so etwas eher an. „Wir wollen den Krebs besiegen, indem wir ihn beherrschen. Das wird nicht leicht. Aber gerade deshalb müssen wir es mutig und ambitioniert versuchen“, sagt der Minister. Motto: Wir müssen es doch nur wollen. Ich will es. Wo ist bitte noch mal das Problem?

Spahn, der Problemlöser

Zwei Tage später hat Jens Spahn einen Termin in der Kinderonkologie der Berliner Charité. Im Bibliotheksraum stehen Lancet-Jahrgänge und Fachbücher mit besorgniserregenden Titeln in den Regalen, auf dem Konferenztisch warten Filterkaffee und Aldi-Kekse. Das Thema der zehnköpfigen Runde ist der Fachkräftemangel. Wieder erstaunt Spahns bloße Anwesenheit. Der Vorstandsvorsitzende Karl Max Einhäupl, eine internationale Koryphäe, lobt den Minister, weil er „leibhaftig hierher gekommen“ ist.

Wieder reißt Spahn die Augen auf und winkt großzügig ab. Er spricht nun versiert über Ausbildungsfinanzierung und Fachkräftezuwanderung; die Pflegeleiterin über Recruiting-Programme bis nach Mexiko und Nachqualifizierungen für Schulabbrecher und Kurse für Geflüchtete. Spahn hört zu, fragt nach, nickt oder blickt fragend seinen mitgebrachten Abteilungsleiter an. Sein Oberkörper schwingt vor und zurück, als wolle er nur mal kurz nach nebenan gehen, um dort das Problem zu lösen.

Im Grunde sind sich hier in diesem Raum alle einig: Pflege ist ein wichtiger und erfüllender Beruf – nur leider gibt es nicht genug Menschen, die den nicht gut genug bezahlten Job machen wollen. „Ich kann sie Ihnen ja nicht backen“, sagt der Minister zur Pflegedienstleiterin. Tja nun.

Warum das so ist, ist beim anschließenden Gang ganz leicht zu verstehen. Der groß gewachsene Jens Spahn enternt die Kinderkrebsstation 31i. Doch hier ist etwas anders. Echte Menschen, traurige Schicksale, sehr viele Hoffnungen auf ganz engem Raum. Dass die Wände in freundlichen Farben gestrichen sind, hat das Krankenhaus einem privaten Verein zu verdanken. KINDerLEBEN ist eine Angehörigen-­Initiative junger KrebspatientInnen – auf diesem wirtschaftlichen Niveau wird hier gearbeitet. Jens Spahn muss jetzt mal einen Gang rausnehmen.

Spahn, der Mitfühlende

„Ich bin der Jens“, sagt er leise zur Begrüßung und faltet seine Einsneunzig auf die Höhe des Klinikbetts zusammen. Draußen liegt das graue Berlin, hier in diesem engen Krankenzimmer bangen Mutter und Vater mit ihrer dreijährigen Tochter. Das sind die Leute, für die Spahn Gesundheitspolitik machen soll. Beitragszahler, die erwarten, dass ihrer Tochter geholfen wird, nach allen Regeln der Kunst. Dass PflegerInnen fehlen, Schwestern, Reinigungskräfte, muss ihnen egal sein dürfen. Spahn fragt Eltern, wie es ihnen hier ergeht.

Die Kleine hat einen Tumor im Kopf, die Chemo hat gerade erst begonnen – apathisch liegt sie im Arm ihrer Mutter, dünne Schläuche führen von ihrem winzigen Arm zu blinkenden Geräten. „Dieser Zustand ist seit gestern“, erzählt die Mutter, und dass sie die Nächte mit ihrer Tochter im Klinikbett schläft. Anders ist es auch nicht möglich – die im Vorraum wartende Klappliege, die das Krankenhaus für Angehörige stellt, würde gar nicht in den Raum passen.

Trotzdem sind die Eltern voller Lob. Er sehe hier viel Engagement, sagt der Vater; aber eben auch viel Überlastung. Eine Kinderkrankenschwester steht daneben, sie nickt wissend. Allein auf der Kinderonkologie sind zwölf Stellen unbesetzt. „Toi, toi, toi“, sagt der Minister. Und dann: „Die Botschaft ist angekommen.“

Am selben Abend zeigt sich Jens Spahn noch einmal. Der Hausärzteverband hält in Berlin seinen Neujahrsempfang ab, der Minister soll ein Grußwort halten. Hier in der Geschäftsstelle stehen die ÄrztInnen dicht an dicht. Das Ambiente ist gediegen, wenn auch bei Weitem nicht so exklusiv wie beim Hummeressen von Kassenärztlicher Vereinigung und Ärztekammer im KaDeWe am Abend darauf. Stuck und Parkett, Häppchen und Wein, Küsschen links, Küsschen rechts. Männer sind hier unter den VerbandsvertreterInnen weit in der Überzahl. Und sie sind nicht gut auf Spahn zu sprechen; das Reizwort lautet „TSVG“.

Spahn, der Polternde

Mit der Abkürzung ist das Terminservice- und Versorgungsgesetz gemeint, und mit dem will Spahn niedergelassene ÄrztInnen zwingen, mehr Sprechzeiten anzubieten, und zwar auch abends und samstags. Die Ärzte schreien Zeter und Mordio, ihr Lieblingsargument: Die Politik pfusche ihnen in die freie Berufsausübung rein. Spahn macht so was angriffslustig. „Sie genießen hohes Vertrauen der Patienten“, sagt er laut in die überhitzte Zimmerflucht, „aber wir haben Verbesserungsbedarf!“ „Buh!“ rufen die Ersten, es wird jetzt ungemütlich.

Der Minister drückt das Kreuz durch, reckt sein Kinn und lächelt sehr dünn. „Ja, da müssen Sie jetzt durch, es geht hier um Fakten, weniger um Wahrnehmungen.“ Protestgeschrei. Eines sei mal sicher, schreit Spahn nun fast: „Das TSVG wird in die zweite Anhörung gehen.“ Brüskiertes Abflauen. „Alles Gute, Gesundheit und Gottes Segen!“, sagt Spahn jetzt, macht auf dem Absatz kehrt und lässt die Hausärzte stehen.

Sechs Kilometer Luftlinie entfernt, in der Kinderkrebsstation der Charité, wiegt eine Mutter ihre kleine Tochter in den Schlaf. Leute wie sie sind es, für die Spahn Politik macht. Und: nicht zu vergessen, auch für sich selbst.

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