CDU-Abgeordneter über NSU: „Ich traue es ihnen einfach nicht zu“
Armin Schuster glaubt nicht, dass das NSU-Trio alleine gehandelt hat. Vor allem für die Planung der Taten hält er mindestens einen weiteren Kopf für möglich.
Herr Schuster, diese Woche wurde im Bundestag ein zweiter NSU-Untersuchungsausschuss eingesetzt. Bei Ihrer Rede sagten Sie, das geschehe auch, weil etwa der Kopf der rechtsextremen Terrorgruppe noch unbekannt ist. Wie meinen Sie das?
Armin Schuster: Ich war vom ersten Tag an erstaunt, wie ausgeklügelt perfide diese Taten geplant und umgesetzt wurden. Die Verteilung über verschiedene Bundesländer, die professionelle Tatausführung, jahrelang ohne Spuren zu hinterlassen, das hochgerüstete Absichern der Versteckwohnung. Das passt alles nicht zu einer auf der Straße radikalisierten Terrorgruppe und auch nicht zur Typbeschreibung von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Ich traue es ihnen einfach nicht zu. Ich frage mich ständig: Wer hat ihnen das beigebracht? Wer hat tatsächlich über Jahre eine Tatserie geplant, die die Sicherheitsarchitektur Deutschlands so überfordert hat?
Was glauben Sie: Wer war es?
Ich weiß es nicht. Aber die Sicherheitsbehörden haben lange den Fehler gemacht, an ein und derselben Hypothese festzuhalten: Die Täter kamen aus dem kriminellen, migrantischen Milieu. Wir sollten denselben Fehler nicht auch machen. Also provoziere ich mich gerade selbst und nehme die Gegenposition ein: Kann nicht alles ganz anders gewesen sein? Gibt es vielleicht unbekannte, intellektuellere Rechtsextreme, geschult in Kampfgruppen oder bei der Bundeswehr, die die Taten planten? Ich kann es nicht belegen. Aber solange mir niemand das Gegenteil beweist und diese Fragen offen bleiben, rechtfertigt das diesen Untersuchungsausschuss.
In der rechtsextremen Szene kursierten in den Neunziger Jahren Terrorkonzepte eines „führerlosen Widerstands“. Mundlos selbst soll in einem Artikel zum „aktiven Kampf“ aufgerufen haben. Passt das nicht?
Das schon. Und trotzdem behalte ich meine Zweifel. Der NSU-Täter haben bei ihren Morden an vieles gedacht, sogar daran, wegfliegende Patronenhülsen mit einem Beutel aufzufangen. Auf so etwas kommen sie eigentlich erst, wenn sie schon eine professionelle Verbrecherkarriere hinter sich haben.
Sie stellen auch die These auf, dass V-Leute doch mehr über den NSU wussten. Wenn das stimmt, könnte es das Sicherheitssystem mächtig erschüttern.
Auch dafür gibt es noch keinen konkreten Beleg. Aber ich habe große Schwierigkeiten zu glauben, dass die gesamte deutsche V-Mann-Szene fast nichts von diesem Trio mitbekommen haben will. Sollte da noch etwas rauskommen, dann hätten wir allerdings tatsächlich eine weitere Stufe des Kontrollverlusts beim Thema V-Leute.
Ex-Polizist, ist Obmann der Union im neuen NSU-Ausschuss. Er war schon in der ersten Runde dabei, die von 2012 bis 2013 tagte.
Heikel ist auch Ihre letzte These. Sie mutmaßen, dass sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 2011 nicht selbst erschossen.
Die Situation, in der die Leichen aufgefunden wurden, passt nicht durchgängig zu einem Selbstmord. Und ich verstehe auch nicht, wie eine Bande, die mit aller Brutalität durchs Land mordet und bis unter die Zähne bewaffnet ist, plötzlich vor einer Landpolizeistreife kapitulieren soll. Das leuchtet mir noch nicht ein.
Also wurden die beiden erschossen? Von wem?
Wir sind noch ratlos. Aber der Komplex wird einer der ersten sein, den wir im Ausschuss untersuchen werden.
Im Münchner NSU-Prozess will demnächst Beate Zschäpe aussagen. Was bedeutet das für Ihren Ausschuss?
Ich bin da ganz vorsichtig. Wer sagt mir, dass das stimmt, was die Frau sagt? Wir werden die Aussage miteinbeziehen. Aber in aller Ruhe und dann, wenn es dran ist.
Mit dem Ausschuss wollen Sie auch untersuchen, ob heute wieder Rechtsterrorismus entstehen kann. Wie das?
Ich will lernen: Wie kann man Menschen, aus dem bürgerlichen Milieu kommend, so schnell radikalisieren, dass daraus eine Mörderbande wird. Und dann müssen wir uns gerade in einer Zeit, da es wieder Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gibt fragen: Geht das heute wieder, eventuell sogar leichter?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe