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Bußgeld gegen De­mons­tran­t:in­nenEingekesselt und abkassiert

Am 1. Mai kesselte die Hamburger Polizei De­mons­tran­t:in­nen ein. Einige bekamen nun einen Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen die Abstandsregeln.

Dafür soll es nun Bußgeld geben: zwangsverordnetes Gruppen­kuscheln am 1. Mai in Hamburg Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Hamburg taz | Unter fragwürdigen Umständen kesselte die Hamburger Polizei am 1. Mai vermeintliche De­mons­tran­t:in­nen ein. In den vergangenen Tagen bekamen nun einige der von den Be­am­t:in­nen Festgehaltenen Bußgeldbescheide wegen Nichteinhaltung des Mindestabstands. 1,5 Meter Abstand zu halten, sei aber gar nicht möglich gewesen, berichten Anwesende. Denn die Be­am­t:in­nen hätten viel zu wenig Platz gelassen.

Die Polizei in Hamburg ging am 1. Mai dieses Jahres generell nicht gerade zimperlich gegen Demonstrierende vor. Viele Veranstaltungen waren schon im Vorfeld untersagt. Trotzdem gingen überall in der Stadt Menschen auf die Straße. Be­am­t:in­nen kesselten einige von ihnen ein und hielten Menschen teils über Stunden dort fest. Darunter auch Minderjährige und Demosanitäter:innen. Die Polizei behauptet, damit präventiv illegale Versammlungen und Verstöße gegen den Infektionsschutz verhindert haben zu wollen.

Die Menschen, die die Polizei umstellte, befanden sich allerdings teilweise gar nicht auf einer Versammlung, sondern liefen ungeordnet über die Straße. Im Fall des Kessels auf der St. Petersburger Straße argumentiert die Polizei, die Menschen hätten szenetypische schwarze Klamotten getragen und seien schon davor auf einer illegalen Versammlung gewesen.

Von etwa 250 ungeordnet laufenden Menschen umstellten die Be­am­t:in­nen aus diesem Grund 50. Darunter auch ein 14-jähriges Mädchen, das den Kessel über Stunden nicht verlassen durfte.

Ich fand den Einsatz unverhältnismäßig

Deniz Celik, Bürgerschaftsabgeordneter der Linken

Schon am 1. Mai und in den Tagen danach wurde kritisiert, dass es nicht möglich war, im Kessel Mindestabstände einzuhalten. Nun hat die Polizei aber genau deswegen Bußgeldverfahren eröffnet. Die Betroffenen hätten nicht genug Abstand gehalten und sollen nun 150 Euro Strafe zahlen, außerdem ist noch eine Bearbeitungsgebühr von 28 Euro aufgeschlagen.

In einem Bußgeldbescheid, der der taz vorliegt, heißt es, der Abstand hätte eingehalten werden können. Ein Mann, der anonym bleiben möchte, schildert die Situation allerdings anders. Die Polizei habe ohne Vorwarnung innerhalb von Sekunden willkürlich einen Teil der Menschen umstellt. Da der Kessel so eng war, sei es gar nicht möglich gewesen, 1,5 Meter voneinander entfernt zu stehen. „Wir haben außerdem alle Masken getragen“, sagt er.

Auch der Bürgerschaftsabgeordnete Deniz Celik (Linke) war vor Ort. „Ich fand den Einsatz unverhältnismäßig“, sagt er der taz am Telefon. Er habe die Be­am­t:in­nen auch darauf hingewiesen, dass die Personen sehr eng zusammenstanden. Genügend Abstand zu halten, sei definitiv nicht möglich gewesen.

Die Zustände im Kessel seien teils entwürdigend gewesen, berichten Anwesende der taz. Einer von ihnen, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, erzählt: „Die ersten zwei Stunden durfte niemand auf Toilette.“ Als Ersatz habe ein Gulli gedient. Auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Deniz Celik hin rechtfertigte die Polizei sich, Menschen einzeln in ein benachbartes Hotel zum Toilettengang gebracht zu haben. Allerdings habe das Hotel dies nach einiger Zeit wieder untersagt, schildern Anwesende.

Widerspruch einlegen

Gegen einen Bußgeldbescheid kann formlos und ohne Begründung Widerspruch eingelegt werden, allerdings innerhalb einer Frist von zwei Wochen. Sonst wird automatisch von einer Einwilligung ausgegangen.

Das Verfahren wird zum Teil direkt eingestellt. Allerdings kann es auch sein, dass der Fall vor Gericht landet. Wie die Verhandlung ausgeht, ist meist unvorhersehbar. Es können Verfahrenskosten entstehen, die bei einer Niederlage eventuell selbst getragen werden müssen. Es ist allerdings möglich, den Widerspruch vor einer Verhandlung zurückzuziehen.

Betroffene können sich an den Ermittlungsausschuss wenden.

Beim Hamburger Ermittlungsausschuss, der De­mons­tran­t:in­nen juristisch berät und unterstützt, haben sich bis Redaktionsschluss sieben Menschen gemeldet, die im Kessel auf der St. Petersburger Straße waren und nun einen Bescheid bekommen haben. Bei einem weiteren Kessel am 1. Mai in St. Georg sei zudem mindestens eine Person betroffen. Da sich wahrscheinlich nicht alle gemeldet hätten, sei aber von einer höheren Zahl auszugehen, sagte eine Sprecherin gegenüber der taz.

Dem Ermittlungsausschuss zufolge haben viele Betroffene nun erst einmal Widerspruch gegen das Bußgeldverfahren eingelegt. Der Bescheid wird daraufhin noch einmal genau von der Bußgeldbehörde überprüft. Denn laut dem Amt für Migration, dem die Bußgeldstelle untergeordnet ist, werden die meisten Verfahren im ersten Schritt nicht genauer untersucht.

Bei Zehntausenden Verfahren sei dies auch gar nicht möglich. „Wir gehen erst mal davon aus, dass die Polizei rechtmäßig handelt“, sagte ein Sprecher gegenüber der taz. Wenn allerdings Beschwerde eingelegt werde, überprüfe die Behörde alles noch einmal genauer und befrage auch die Po­li­zis­t:in­nen, die das Verfahren eingeleitet haben. Sollte dann immer noch unklar sein, ob ein Bußgeld gerechtfertigt ist, landet das Verfahren vor Gericht.

Ob die aktuellen Bußgeldbescheide dieser Überprüfung standhalten würden, ist fraglich. Die Bußgeldstelle möchte sich zu laufenden Verfahren generell nicht äußern. Auch die Polizei ging bis Redaktionsschluss auf taz-Anfrage nicht näher ­darauf ein.

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6 Kommentare

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  • Nennt sich das heute nicht GBM, Geldbeschaffungsmaßnahme. Selbst den Grund für das Bußgeld herbeiführen. Wann werden Polizei und Staatsanwaltschaft gegen die eigenen Leute vorgehen.

    *sorryjasonaivbinichnichtwirklichdasauchnuransatzweisezuerwarten*

  • Komisch ... warum erinnert mich das ganze an die Zustände in Belarus ?

    Mittlerweile muss man ja offenbar Angst haben bei helllichtem Tag mit den Kindern und dem Kinderwagen in irgendwelche politischen Auseinandersetzungen zu geraten ...

    Aber mal zu dem aktuellen Fall: Klagen! auf jeden Fall.

    Da werden dann ja sicher ein paar Polizisten aussagen. So von Angesicht zu Angesicht ....und unter Eid ...

    Und wenn die Aussage gemacht ist und die Zeugen entlassen sind tauchen hier und da Videos auf, die das Gegenteil beweisen ....

    Und Meineid bzw. Prozessbetrug ist kein Pappenstil ... weiß nicht, ob die Polizisten das trotz Korpsgeist riskieren wollen ...

    • @Bolzkopf:

      Ähm ich hoffe du bist nicht wirklich so naiv. In D können Amthor und Co. völlig straffrei korrupte dinge tun. wo kein Kläger da kein Richter.

      Polizei im Hambacher Forst war doch auch erst diese Woche abgeurteilt worden. Du glaubst doch nicht wirklich das Polizeiführung oder verantwortliche Politiker nun Strafverfahren angehängt bekommen?...

  • Ja - die Hamburger Polizei - die Urzelle des Hambuger Kessels!



    Hält - da schon Oil of Olaf I. zu HH & G 20 -



    Wie immer die Drei Affen 🦍 🦧 🐒 gibt!



    Macht auf Tradition & hat einfach zu viel Werner gesehen!



    Werner - Das muß kesseln -



    m.youtube.com/resu...rner+lass+kesseln+



    &



    “ Unter der Bezeichnung Hamburger Kessel ist ein umstrittener, rechtswidriger Polizeieinsatz am 8. Juni 1986 in Hamburg bundesweit bekannt geworden. Auf dem Heiligengeistfeld sammelte sich damals eine Menschenmenge, um eine politische Demonstration durchzuführen. Die Menschen wurden von der Polizei eingekesselt. Wikipedia



    Das umfaßt traditionell auch “das Balken biegen“.



    (Soviele Balken gab’s schon damals gar nicht am Gericht!



    Meine hamburger Kollegen!;((



    & die Vorwände -



    Nunja - die erinnern ja wieder stark an die Hambi-Räumung!



    Nich tonn uthollen. Rein tonn katolsch warrn.



    & wie sich die Bilder gleichen =>



    de.wikipedia.org/wiki/Hamburger_Kessel



    “… . Auf dem Heiligengeistfeld sammelte sich damals eine Menschenmenge, um eine politische Demonstration durchzuführen. Die Menschen wurden von der Polizei eingekesselt. 861[1] Personen wurden bis zu 13 Stunden lang innerhalb von Absperrketten von der Polizei festgehalten.…“



    & Däh!



    “ Innensenator Rolf Lange bezeichnete die Eingeschlossenen als „Gewalttäter“, „polizeibekannte Sympathisanten der RAF“, „Leute aus der Hafenstraße und sogenannte Autonome“. Nach anderen Darstellungen handelte es sich um einen völlig wahllos herausgegriffenen Querschnitt durch die politische Landschaft, überwiegend aus dem „gemäßigten Spektrum“. Der Polizeibericht nannte insgesamt 838 Ingewahrsamnahmen und 22 Festnahmen, allerdings nur 15 eingeleitete Ermittlungsverfahren, sieben davon wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.…“



    kl Rest gleich

    • @Lowandorder:

      Rest ff Aber Hallo

      “… In den Abendstunden, als noch immer hunderte Menschen im Kessel festsaßen, beschlossen Taxifahrer den Eingekesselten beiseite zu stehen und boten eine kostenlose Fahrt nach Hause an. Die Polizei griff daraufhin nach 20 Minuten die ca. 30 bis 40 hupenden und blinkenden Taxis und vereinzelten Privatautos mit Gummiknüppeln an und zerstörte vereinzelt deren Scheiben.…“



      & da wurde es wirklich bizarr =>



      Unisono Bullerei “Kein Gummiknüppel Einsatz!“ Auf den Vorhalt des Richters wg schwarzer Striemen auf den Fahrzeugen! Wieder unisono: “Da seien Blumentöpfe von den angrenzenden Balkonen gefallen! Daher stammten die schwarzen Streifen!“

      kurz - Eine Polizei - die in dieser Tradition steht - ua salviert durch einen späteren Gröfimaz jetzt Kanzlerkandidaten!



      Ist bürgerfeindlich & Hat keinerlei Vertrauen verdient •

  • "Pimmelchen".



    Wird an dieser Stelle, für diese Stadt/dieses Bundesland noch erstaunlich oft passen.