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Bundestrainer über die bevorstehende EM„In den Flow kommen“

Die EM 2025 ist Christian Wücks erstes Turnier als Trainer der DFB-Frauen. Ein Gespräch über Social Media, Hansi Flick und fehlende Diversität.

Bundestrainer Christian Wück beim Training mit den DFB-Frauen am 1. April 2025 Foto: Foto: Eibner/imago
Interview von Frank Hellmann

taz: Herr Wück, Sie waren noch keine 18 Jahre alt, als Sie in der Bundesliga beim 1. FC Nürnberg für Furore gesorgt haben. Wie denken Sie an diese Zeit zurück?

Christian Wück: Eigentlich war das meine schönste Zeit. Einfach unbeschwert Fußball zu spielen. Vielleicht noch gar nicht zu begreifen, was damals alles passiert ist. Es war auch meine erfolgreichste Zeit, weil ich da noch keine Verletzungen hatte. Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich an meine ersten beiden Jahre beim 1. FC denke. Wir haben als letzte Mannschaft dort gegen den FC Bayern München in der Bundesliga gewonnen. Wenn sich das Ereignis jährt, bekomme ich oft von der Nürnberger Presse einen Anruf.

taz: Sie haben sich als erster deutscher Profifußballer einen Meniskus transplantieren lassen. Hält der?

Wück: Ja, der ist immer noch drin. Ich hatte mir damals einen Kreuzband-, Innenband- und Meniskusriss zugezogen, ein Teil vom Außenmeniskus war nicht mehr zu retten. Nach einer Kontrolloperation sagte der Arzt, ich müsse mit Fußball aufhören. Ich hatte erst das Heulen und sagte: Doc, ich bin 25, ich will weiter Fußball spielen, überleg dir was! Für die Transplantation bin ich nach Belgien gefahren. Mir ist noch in Erinnerung, dass viele Medizinstudenten durch ein Fenster über mir zuschauten.

Bild: IMAGO / Beautiful Sports
Im Interview: Christian Wück

52, arbeitete zuvor viele Jahre im männlichen Nachwuchsbereich, gewann mit den U17-Junioren 2023 sowohl die EM als auch die WM. Wegen einer Knieverletzung musste er seine aktive Karriere bereits im Alter von 29 Jahren beenden.

taz: Heute sind Fuß­bal­le­r*in­nen durch Social Media im Grunde ohnehin gläserne Figuren, oder?

Wück: Weil man es freiwillig so will. Es ist alles schnelllebig geworden. Es wird auf dem Handy häufig nur noch nach rechts gewischt. Eine kurze Information aufnehmen, dann die nächste. Man nutzt mittlerweile diese Möglichkeit, sich selbst zu präsentieren. Zu meiner Zeit als Spieler hat das keine Rolle gespielt.

taz: Bedauern Sie das?

Wück: Das war eine andere Zeit, heute gehört es zur Vermarktung dazu. Wobei ich das Gefühl habe, dass unsere Spielerinnen sehr verantwortungsvoll damit umgehen.

taz: Die frühere Nationaltorhüterin Almuth Schult hat angemerkt, dass einige Nationalspielerinnen mit Social Media mehr Geld verdienen als in ihren Klubs. Das Wett­eifern um Aufmerksamkeit kann doch auch Missgunst produzieren?

Wück: Ich kann nur für meine Mannschaft reden, und da habe ich überhaupt nicht das Gefühl, dass Missgunst entsteht. Ich habe keinen Einblick, was die Spielerinnen über solche Aktivitäten verdienen, aber diese Möglichkeit für die eigene Vermarktung und Sichtbarkeit zu nutzen, ist völlig legitim, sofern die Balance stimmt. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Ich hatte mal ein einschneidendes Erlebnis mit einer U17-Nationalmannschaft während einer Medienschulung: Auf die Frage, welche Medien sie denn kennen, wurden nicht Zeitungen, Fernsehen oder Radio genannt, sondern ­Instagram, Youtube oder Facebook.

taz: Sie haben mehr als zehn Jahre im männlichen Nachwuchsbereich für den DFB gearbeitet. Was war die größte Umstellung bei den Frauen?

Wück: Die Zeit, die ich in mediale Aktivitäten investieren muss. Im Jugendbereich habe ich vielleicht während der Turniere mal ein Telefoninterview gegeben, und dann stand eventuell ein Artikel im Kicker. Jetzt muss ich mir meine Zeit anders einteilen. Sportlich vermittle ich die gleichen Inhalte wie im Männerbereich.

taz: Sie orientieren sich am Spielstil, den Hansi Flick in seiner Zeit als DFB-Sportdirektor gelehrt hat. Warum?

Wück: Hansi Flick hat das damals in Zusammenarbeit mit uns U-Nationaltrainer*innen angestoßen und entwickelt. Alle haben Input reingegeben, weshalb diese Leitlinien so wertvoll sind. Wir haben uns mit einem weißen Blatt hingesetzt, um herauszufinden, was einen Lionel Messi oder Toni Kroos auf einer bestimmten Position so wertvoll macht. Aus dem individuellen Verhalten lassen sich Trainingsinhalte ableiten.

taz: Wie leicht ist das auf den Frauenfußball zu übertragen?

Wück: Ich nehme es genau und bin konsequent: Wird ein Pass nicht ordentlich gespielt, unterbreche ich die Szene. Wir haben mit den besten Spielerinnen des Landes ein Top­niveau im Training und arbeiten intensiv, um sie individuell zu verbessern.

taz: Die DFB-Frauen kamen als EM-Heldinnen 2022 aus England zurück. Bei der WM in Australien ging dann nichts mehr zusammen. Bei den Olympischen Spielen 2024 gewann man zwar Bronze, aber wirklich sehenswert waren die Auftritte nicht. Wo steht Ihr Team gerade?

Wück: Die Trainer und Trainerinnen sind dafür da, eine Atmosphäre zu erzeugen, worin die Spielerinnen ihre Topleistung abrufen können. Wir brauchen die Überzeugung, dass wir selbst für das Ergebnis eines Spiels verantwortlich sind, nicht die anderen Mannschaften. Wenn wir an unser Limit gehen, hat es jeder Gegner der Welt gegen uns schwer. In unserer Mannschaft steckt – defensiv wie offensiv – enorm viel Wucht und Intensität, die bereits im ersten EM-Spiel gegen Polen sichtbar werden muss.

taz: Ist es kein Nachteil, dass das letzte Spiel vier Wochen zurückliegt?

Wück: Wir wollten kein Testspiel mehr in der Vorbereitungsphase haben. Die Rückmeldungen der Spielerinnen waren so, dass die Saison sehr lang war. Wir haben zweimal elf gegen elf gespielt, auch mit Formationen, die wir ausprobieren wollten. Wir haben diesen Wettkampfcharakter in den Übungen und in den Spielformen. Nicht nur die gute Stimmung, auch die Leistung auf dem Platz, wie die Spielerinnen die Inhalte annehmen, wie sie versuchen, das Ganze umzusetzen – das ist auf einem hohen Niveau.

taz: Im Viertelfinale würde mit Frankreich, England oder den Niederlanden ein Schwergewicht warten. Die Männer haben vergangenen Sommer erfahren, dass ein unglücklicher Viertelfinal-K.-o. unter Umständen verziehen wird.

Wück: Das Ziel ist, dass wir die Leute über begeisternden, ehrlichen Fußball hinter uns bekommen. Wir sagen den Spielerinnen immer wieder: Ihr spielt für eine ganze Nation, ihr repräsentiert Deutschland. Die Art und Weise des Auftretens ist dabei wichtig. Daher wollen wir gleich zum Auftakt in einen Flow kommen. Es liegt an uns, wie die EM verläuft.

taz: Diesmal winken 120.000 Euro Titelprämie. Doppelt so viel wie 2022. Spiegelt das den Stellenwert des Frauenfußballs wider?

Wück: Das haben sie gut mit Sportdirektorin Nia Künzer verhandelt. Ich finde das ein sehr positives Zeichen. Das kann den Spielerinnen noch mehr Motivation geben und bedeutet mehr Wertschätzung.

taz: ARD und ZDF treiben fast denselben Aufwand wie bei einem Männerturnier. Sind Sie darauf vorbereitet, das Aushängeschild der Fußballnation zu sein?

Wück: Ich merke schon, dass ich öfter erkannt werde. Wenn ich ins Kino gehe, kommt es schon vor, dass ich erst mal drei Selfies machen darf. Das gab es früher nicht so, aber ich komme damit relativ gut klar. Die mediale Aufmerksamkeit wird riesig sein. Das haben sich die Mädels und alle drum herum erarbeitet und verdient.

taz: Sie weißen oft darauf hin, dass die U17-Junioren nur deshalb Welt- und Europameister wurden, weil viele Spieler einen Migrationshintergrund besaßen. Das fehlt bei den deutschen Frauen.

Wück: Die Diversität bei den U17-Junioren mit den unterschiedlichen Charakteren hat uns definitiv geholfen. Im weiblichen Nachwuchsbereich stehen wir bei vielen Dingen erst am Anfang und haben leider noch nicht die Fülle an Toptalenten in der Breite. Wenn wir eine erfolgreiche EM spielen, begeistern sich hoffentlich noch mehr Mädchen für den Fußball. Auch das ist unser Auftrag in der Schweiz.

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