Bundespräsident Steinmeier in Finnland: „Wir stehen an Eurer Seite“
Frank-Walter Steinmeier ist auf Staatsbesuch in Helsinki. Der Ukrainekrieg und die Kritik an seiner Russlandpolitik in der Vergangenheit reisen mit.
Der Bundespräsident habe sich an diesem Tag am Berliner Hauptbahnhof mit ukrainischen Geflüchteten getroffen, so begründet sein Amt Steinmeiers Abwesenheit. An diesem Freitag ist Steinmeier auf Staatsbesuch in Helsinki, den Vormittag hat er im Gespräch mit Staatspräsident Sauli Niiniströ verbracht. Jetzt befinden sich beide auf der Tribüne der Volksvertretung in Helsinki.
Seit einer Weile ist es mit Steinmeier und Selenski oder Melnyk wie mit dem Hasen und dem Igel: Wo der Bundespräsident auftaucht, ist der andere schon da. Das gilt besonders für den umtriebigen, mitunter auch aggressiven Botschafter, der, ganz undiplomatisch, Provokationen nicht scheut. Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf sein Land versucht Melnyk, die deutsche Regierung vor sich her zu treiben, um mehr Unterstützung für die Ukraine und härtere Sanktionen gegen Russland zu erreichen.
Insbesondere aber geht Melnyk Steinmeier hart an. Einer der Höhepunkte: „Für Steinmeier war und bleibt das Verhältnis zu Russland etwas Fundamentales, ja Heiliges, egal was geschieht. Auch der Angriffskrieg spielt da keine große Rolle“, sagte Melnyk dem Tagesspiegel. Auch habe Steinmeier seit Jahrzehnten „ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland“ geknüpft, in das viele Leute verwickelt seien, „die jetzt in der Ampel das Sagen haben“.
Steinmeier als Schlüsselfigur der Ostpolitik
Ohne Zweifel ist Steinmeier eng mit der deutschen Russlandpolitik der vergangenen zwei Jahrzehnte verknüpft. Unter Gerhard Schröder, dem Ex-Bundeskanzler der SPD, der sich auch heute noch aus Russland bezahlen lässt, leitete er das Kanzleramt, zweimal war er Außenminister im Kabinett von Angela Merkel (CDU), zuletzt von 2013 bis 2017. Also auch in der Zeit, als Russland die Krim besetzte und Krieg über den Donbass brachte – und die Bundesregierung dennoch das Go für die Gaspipeline Nord Stream 2 gab.
„Frank-Walter Steinmeier ist einer der Schlüsselprotagonisten der sozialdemokratischen Ostpolitik der letzten 20 Jahre“, betont Stefan Meister, Russland-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Der Politikwissenschaftler kritisiert seit Langem die deutsche Position gegenüber Russland. „Die Ostpolitik der SPD und der Gedanke an die Versöhnung mit Russland haben Steinmeier stark geprägt, da kommt er nicht raus“, sagt Meister der taz.
Meister wirft dem Bundespräsidenten vor: „Er hat den Balten und den Polen und auch den eigenen Leuten, die vor Russland gewarnt haben, nicht zugehört.“ Steinmeier habe nicht verstanden, wie das System Putin funktioniert. Dies habe er aber spätestens 2012 begreifen müssen – „als Dimitri Medwedew als Staatschef abtrat und Putin als Präsident im Innern den Westen als Feindbild und Deutschland als Gegner aufgebaut hat. Oder zumindest 2014 mit dem Angriff auf die Krim und den Donbass“.
Zustimmung für Selbstkritik und Fehlergeständnisse
Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit ist der Druck auf den Bundespräsidenten so groß, wie er es in der ersten nie war. Vielleicht wäre es, wenn der Krieg in der Ukraine früher begonnen hätte, zu dieser zweiten Amtszeit gar nicht gekommen. Zwar hatte Steinmeier unmittelbar nach seiner Wiederwahl, elf Tage vor Kriegsbeginn, an den Kreml-Chef appelliert: „Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine! Suchen Sie mit uns einen Weg, der Frieden in Europa bewahrt“ – und war für diese klaren Worte gelobt worden. Doch die verheerenden Fehleinschätzungen in der Vergangenheit greifen Steinmeiers Autorität an. Die aber ist zentral für einen Bundespräsidenten, der vor allem durch Worte und Gesten wirkt.
Unterstützer Steinmeiers verweisen darauf, dass es aus heutiger Sicht leicht sei, die damalige Politik zu kritisieren. Auch sei dieser wahrlich nicht der einzige, der sich in Putin geirrt habe. „Die Kritik am Bundespräsidenten weisen wir zurück“, heißt es auch aus der Bundesregierung. Doch Anfang der Woche war der Druck so groß, dass Steinmeier Fehler in der deutschen Ostpolitik der vergangenen zwei Jahrzehnte eingestand, er sprach von einer „bitteren Bilanz“. „Mein Festhalten an Nord Stream 2, das war eindeutig ein Fehler“, sagte Steinmeier. „Wir haben an Brücken festgehalten, an die Russland nicht mehr geglaubt hat und vor denen unsere Partner uns gewarnt haben.“ Und weiter: „Wir sind gescheitert mit der Errichtung eines gemeinsamen europäischen Hauses, in das Russland einbezogen wird.“
In einem Spiegel-Interview an diesem Wochenende legt er nach: „Wir müssen jetzt ganz genau aufarbeiten, wo wir Fehler gemacht haben“, sagt Steinmeier darin. Das gelte für ihn und „Generationen von Politikern“. Aus der Opposition bekam er für seine selbstkritischen Worte Zustimmung. Er wolle dem Bundespräsidenten dafür „großen Respekt zollen“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz. Es sei alles andere als selbstverständlich, dass ein amtierendes Staatsoberhaupt so etwas sage. Die Union allerdings hatte Steinmeiers Wiederwahl auch unterstützt – und aus ihren Reihen stammt mit Angela Merkel die langjährig verantwortliche Regierungschefin.
Finnlands Sorge um Unversehrtheit
Im Parlament begrüßt Selenski neben den Finnen auch den deutschen Bundespräsidenten, in seiner Rede spricht er Deutschland aber nicht an. Der ukrainische Präsident beschreibt den russischen Angriff auf den Bahnhof von Kramatorsk, der viele Zivilisten das Leben kostete, ruft die furchtbaren Bilder aus Butscha auf und fordert schwere Waffen und Sanktionen, die so wirken wie ein „Molotowcocktail“. Den Ukrainern würde immer wieder gesagt, dass sie warten müssen. „Wir sind Finnland dankbar, das sie nicht gewartet haben“, sagt Selenski dann. Finnland hat die Ukraine früh mit Waffen unterstützt. In dem Lob für die Finnen schwingt, wenn auch unausgesprochen, Kritik an den aus ukrainischer Sicht zögerlichen Deutschen mit.
Steinmeiers erste Auslandsreise in seiner zweiten Amtszeit sollte eigentlich nach Polen gehen, eine bewusste Entscheidung. Dann infizierte er sich mit Corona, die Polenreise musste verschoben werden, Finnland rückte auf Platz eins – und auch das passt recht gut.
Das EU-Land hat eine 1.300 Kilometer lange Grenze zu Russland, bis 1917 gehörte es zum Russischen Reich. Im Kalten Krieg galt das, was man „Finnlandisierung“ nennt; das Land berücksichtigte die Interessen der benachbarten, mächtigen Sowjetunion gewissermaßen freiwillig. Danach blieb es neutral, näherte sich aber der Nato an, ohne Mitglied zu werden. Seit dem Angriff auf die Ukraine aber steigt die Sorge um die eigene Unversehrtheit weiter an – und die Zustimmung in der Bevölkerung zu einem Nato-Beitritt, bislang ein Tabu. Inzwischen spricht sich in Umfragen eine Mehrheit der Finn:innen für einen Beitritt aus.
Cyberangriffe während des Programms
„Welche Entscheidung Finnland auch immer fällt: Ihr könnt jedenfalls sicher sein über deutschen Rückhalt“, sagt Steinmeier dazu auf einer Pressekonferenz mit dem finnischen Präsidenten im Spiegelsaal in dessen Palais. Umgeben von goldenem Stuck und unter riesigen Kronleuchtern betont Steinmeier, seine Botschaft sei ganz klar: „Wir stehen fest an Finnlands Seite.“
Den russischen Angriffskrieg verurteilt der Bundespräsident erneut scharf. „Russland allein ist verantwortlich für das barbarische Blutvergießen in der Ukraine. Und Russland muss es beenden.“ Und er appelliert an den Kreml-Chef: „Herr Präsident, stoppen Sie diesen Wahnsinn!“ Niinistö, der finnische Präsident, der neben ihm steht, äußert sich ähnlich. Auch er betont, der Angriff auf die Ukraine führe zu einer neuen Sichtweise über Sicherheit. „Das war ein Schock für uns alle.“
Zu Steinmeiers Programm in Helsinki gehört auch ein Besuch im Europäischen Exzellenzzentrum für die Bekämpfung hybrider Bedrohungen – eine von 31 Staaten getragene Einrichtung, die seit 2017 Analyse und Beratung zur Abwehr beispielsweise von Cyber-Attacken leistet. Wie real diese Gefahr ist, zeigt sich auch an diesem Tag: Während der Rede Selenskis gibt es Cyber-Angriffe auf die Webseiten des finnischen Außen- und Verteidigungsministeriums, mutmaßlich aus Russland. Am Morgen habe zudem ein russisches Flugzeug mehrere Minuten lang den finnischen Luftraum verletzt, heißt es später im Exzellenzzentrum.
War schon oft in Kiew
Während Steinmeier in Helsinki Gespräche führt, reiste EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen nach Kiew. Wie sie und Selenski sich beide Hände reichen, das ist ein starkes Bild. Auch Steinmeier denkt über eine Reise in die ukrainische Hauptstadt nach. Es gebe nur wenige Hauptstädte der Welt, in denen er so oft gewesen sei wie dort, sagt er.
Als auf dem Maidan in Kiew 2014 tödliche Schüsse fallen, hat er im Präsidentenpalast mit dem prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch über ein Ende des erbitterten Machtkampfes verhandelt. Auch wegen des Minsker Abkommens, das er maßgeblich mitverhandelt hat, war Steinmeier häufig in der ukrainischen Hauptstadt.
„Selbstverständlich denke ich auch darüber nach, wann der richtige Zeitpunkt ist für meinen nächsten Besuch in Kiew“, sagt Steinmeier im finnischen Präsidenten-Palais. Wenn er nicht zu lange wartet, wäre das endlich ein starkes Bild.
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