Bundesligaaufstieg des VfL Bochum: Die graue Maus ist plötzlich sexy
Der VfL Bochum steigt nach elf Jahren wieder in die erste Liga auf. Der Verein inszeniert sich als Gegenmodell zur überdrehten Welt der Großklubs.
Als dann Herbert Grönemeyers „Bochum“ eingespielt wurde, war das Glück vollkommen. Diese liebevolle Hymne auf eine Stadt gehört zu den großartigsten Stadionsongs, die im deutschen Fußball existieren, weil viele der besungenen Eigenschaften Bochums zugleich den VfL charakterisieren: „Du bist keine Schönheit / von Arbeit ganz grau […] Hier, wo das Herz noch zählt / Nicht das große Geld“.
„Gänsehaut“ habe seinen Körper bedeckt, berichtete Robert Žulj, der mit einem wunderbaren Freistoßtor zum 3:1 die letzten Zweifel an der Rückkehr in die Bundesliga ausgeräumt hatte. Draußen tanzten viele Tausend Anhänger im Aufstiegsglück. Schon während des Spiels hatten sich mehr als 2.000 Leute versammelt, später waren es bis zu 7.000, zwischenzeitlich kam es zu Ausschreitungen. Spät am Abend zog die Polizei in ihrem Bericht ein „erschütterndes Resümee“, nachdem es Verletzte gab und zehn Personen in Gewahrsam genommen worden waren.
Aber die allermeisten feierten friedlich und die Freude der künftigen Bundesligaprofis trübten die Vorfälle ohnehin nicht. „Man hat über die gesamte Saison gesehen, dass wir einfach nie aufgegeben haben. Wir haben unser Ding durchgezogen, haben immer als Mannschaft agiert“, sagte Flügelspieler Gerrit Holtmann.
Auf jede der insgesamt neun Niederlagen dieser Saison antwortete der VfL im darauffolgenden Spiel mit einem Sieg. An diesem simplen statistischen Fakt zeigt sich der starke Charakter dieser Mannschaft. Trainer Thomas Reis erklärte, „Gier und Lust“ seien die entscheidenden Kräfte für diesen Erfolg gewesen. Solche Merkmale waren wichtiger als ausgeklügelte Matchpläne.
Fußball pur
Mit diesem Fußballpurismus kokettieren sie auch. „Der VfL ist ein Gegenentwurf zu dieser schrillen, grellen Fußballwelt“, sagte Ilja Kaenzig, der Sprecher des VfL-Vorstands, neulich in Anspielung auf die überdrehte Welt der Großklubs. Mit dem VfL kehrt ein Verein in die Bundesliga zurück, der die große Sehnsucht nach einem ursprünglichen Fußballerlebnis stillen kann.
Mitten in der Stadt steht dieses wunderbare Stadion, wo sich ein Bundesligaspieltag an guten Tagen noch anfühlt wie in den ungezähmten Fußballjahrzehnten am Ende des vergangenen Jahrhunderts: Bier, Bratwurst, Schweiß und Drama. „Unser Fußball ist anders, er soll Volkssport bleiben“, sagte Kaenzig. Anders als in Paderborn, Kiel oder Fürth kommt hier noch hinzu, dass das Spiel im Ruhrgebiet traditionell eine wichtige Rolle im Alltag spielt. Viele Familiengeschichten sind hier über Generationen eng mit einem der Vereine verbunden. Das lässt bis heute einen besonderen Zauber entstehen.
Nun scheiterte Schalke an dem Versuch, eine Weltmarke zu werden, und der BVB ist fester Bestandteil des Glamourfußballs, der immer mehr Menschen auf die Nerven geht. Bochum hingegen galt lange als graue Maus, ist irgendwie in der Zeit hängen geblieben, und gerade deshalb plötzlich ziemlich sexy. Sogar der Erfolgstrainer Thomas Reis steht für ein eher traditionelles Fußballlehrerhandwerk.
Auf die Frage nach den Gründen für den Erfolg erzählte er jüngst, dass es im Gegensatz zu anderen Zweitligazeiten beim VfL jetzt „eine klare Führung gibt, dass die Spieler einen klaren Rahmen haben, in dem sie sich bewegen“. Eine autoritäre Führung ist für ihn der Schlüssel zum Erfolg einer Mannschaft, die unter seinem Vorgänger Robin Dutt 2019 vom Abstieg bedroht war. Und mit Žulj haben sie sogar einen dieser klassischen Spielmachertypen, die im modernen Spitzenfußball eigentlich ausgestorben sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten