VfL Bochum schafft Klassenerhalt: Die vonne Castroper
Bochum schlägt Dortmund und bleibt in der Liga. Für die Fans ist es pures Glück – und weckt Erinnerungen an früheren Zeiten der Unabsteigbarkeit.
„Das ist einfach die Krönung der Saison“, sagte Trainer Thomas Reis, nachdem sein Team durch einen dramatischen 4:3-Sieg im kleinen Revierderby beim BVB den Klassenerhalt in der Bundesliga sichergestellt hatte.
Es waren Momente, die niemand loslassen wollte. Noch eine Stunde nach dem Abpfiff war der Gästeblock gefüllt, Milos Pantovic, der fünf Minuten vor dem Ende das Siegtor zum 4:3 geschossen hatte, war sich nicht einmal sicher, ob die Party rechtzeitig vor der nächsten Trainingseinheit am kommenden Dienstag zu Ende gehen würde. „Keine Ahnung, ob wir das schaffen“, sagte der Mittelfeldspieler, während Reis voller Stolz verkündete: „Was hier in den letzten zwei Jahren entstanden ist, ist ein Traum.“
In der vergangenen Saison ist der Klub nach elf Jahren in der zweiten Liga aufgestiegen, um direkt ein sensationell gutes Bundesligajahr folgen zu lassen. Mit guter Facharbeit, aber auch mit einer Anpassungsfähigkeit, die anderen Abstiegskandidaten fehlte. „Wir haben überragend gelernt aus den Dingen, die uns widerfahren sind“, sagte der Bochumer Sportdirektor Sebastian Schindzielorz. „So richtig hinten reingerutscht sind wir nie. Das ist eine absolut beeindruckende Leistung.“
Als Schlüsselmoment auf dem Weg zu diesem Erfolgsjahr wird immer wieder die krachende 0:7-Niederlage beim FC Bayern München am 5. Spieltag genannt, in deren Folge die Trainer und ihre Spieler erkannten, dass sie gemeinschaftlich und maximal intensiv verteidigen müssen, um in der Bundesliga mithalten und dort bleiben zu können. Jetzt, nach 32 absolvierten Spielen, haben sie weniger Tore zugelassen als der BVB und im Rückspiel gegen die Bayern besiegten sie den Deutschen Meister mit 4:2.
„Keine Nadelstreifen“
Übertroffen wurde dieses Erlebnis jetzt nur noch von dieser wilden Partie in Dortmund an diesem Samstagnachmittag. „Das war Wahnsinn, was wir gerade erlebt haben“, sagte Kapitän Anthony Losilla, und womöglich war ein Energiespender zum Erfolg auch das Wesen dieses Fußballstandortes, mit dem die Klubführung geschickt spielte.
Von Beginn an profilierte der VfL sich als Verein, der sich den Auswüchsen des professionellen Fußballs entzieht: „Keine Nadelstreifen, kein weißes Ballett, kein Brimborium – Castroper Straßenfußball!“, lautet der Claim einer Imagekampagne. Das großartige Stadion an der Castroper Straße ist ein Geschenk für die Bundesliga, weil sich Fußball hier tatsächlich anfühlt wie in den verklärten Jahren rund um die Jahrtausendwende. Und weil hier auch unter Coronabedingungen mit stark reduzierter Kapazität eine dichte, intensive Atmosphäre entstand.
Die eigentliche Sensation ist, dass es den Bochumern tatsächlich gelungen ist, diesen „Fußball pur“-Vorsatz glaubwürdig zu leben. Gut, es gab die Wochen der Bierbecher-Würfe, in denen ein Spiel gegen Borussia Mönchengladbach abgebrochen werden musste. Der damals noch bei Union Berlin spielende Max Kruse sagte nach einer Partie beim VfL, er habe „selten so asoziale Fans erlebt wie hier“. Aber diese düsteren Momente werden in den Erinnerungen der Bochumer an dieses großartige Bundesligajahr allenfalls eine Nebenrolle spielen, während die Dortmunder die Saison wohl am liebsten komplett vergessen würden.
Die Mannschaft und der Trainer Marco Rose wurden wütend beschimpft und ausgepfiffen nach dieser Derbyniederlage. „Ich glaube nicht, dass die Spieler verdient hatten, sich beschimpfen zu lassen“, sagte Trainer Rose zwar, denn sein Team habe „investiert“ und „Chancen ohne Ende“ gehabt. Aber einfach nur zu kämpfen, reicht nicht mehr beim BVB, der ausgelaugt wirkt und mannschaftlich nicht geschlossen auftritt. „50 Gegentore, das ist too much, und das betrifft nicht nur unsere Defensive, das betrifft uns komplett als Mannschaft“, sagte der Trainer, der selbst auch immer stärker in die Kritik geraten könnte. Weil ihm nicht gelungen ist, was die Bochumer geschafft haben: ein Team zu formen, in dem wirklich alle ihre gesamten Kräfte füreinander und für ein gemeinsames Ziel investieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?