Bundesgeschäftsführer über Grüne: „Katrin kann verdammt gut Tango“
Lernen vom Kretschmann-Style? Bundesgeschäftsführer Michael Kellner erklärt, wie die Grünen im Bund aus der Zehn-Prozent-Nische kommen.
taz: Herr Kellner, Sie werden den Bundestagswahlkampf der Grünen managen. Was lernen Sie von Kretschmann?
Michael Kellner: Meine Partei kann vor allem drei Dinge lernen. Wir Grüne müssen den Anspruch ausstrahlen, die gesellschaftliche Mehrheit zu repräsentieren. Geschlossenheit ist eine wichtige Voraussetzung für den Sieg. Und Personalisierung ist wichtig, auch für Grüne.
Viele Grüne sagen jetzt, man könne sich von Kretschmann „Haltung und Stil“ abschauen. Was heißt das eigentlich?
Kretsch ist einfach ein Charakter. Authentisch, besonnen und bodenständig. Die Leute glauben ihm, dass er nachdenkt und dann richtige Entscheidungen trifft. Das ist ein demokratischer Idealzustand.
Mag sein. Aber Katrin Göring-Eckardt oder Cem Özdemir, wichtige Figuren im Bund, haben doch ihren eigenen Stil - und können ihn nicht ändern.
Sicher, einen Typen wie Kretschmann können wir uns in Berlin nicht backen. Aber wir haben tolle Leute. Wir werden unseren Spitzenkandidaten im Bundestagswahlkampf 2017 keinen Bürstenhaarschnitt verpassen. Diesen Erfolg können wir nicht einfach kopieren: Anders als in Stuttgart stellen wir in Berlin nicht den Regierungschef.
Jahrgang 1977, ist seit 2013 der politische Bundesgeschäftsführer der Grünen. Er wird als Chefmanager den Bundestagswahlkampf 2017 organisieren. Kellner gehört zum linken Parteiflügel und hat vorher das Netzwerk Grün.Links.Denken koordiniert.
Entscheiden Stilfragen oder Inhalte über Erfolg?
Beides. Im Bund wäre es die falsche Strategie, alles auf Personalisierung zu setzen. Es geht um eine stimmige Kombination: Die Grünen müssen starke Inhalte mit Figuren verbinden. Viele Wähler, die nicht unbedingt ihr Kreuz bei uns machen, pflegen längst einen grünen Lebensstil. Diese Menschen wollen wir besser ansprechen.
Die Grünen haben doch schon nach der Wahlniederlage 2013 versprochen, sich mit der bürgerlichen Mitte versöhnen. Trotzdem stehen Sie in Umfragen bei 10 Prozent.
Das Umfeld ist schwierig für alle demokratischen Parteien. Unsere Konkurrenz verliert wegen der aufgeheizten Debatte über Flüchtlinge, wir halten uns gut. Merkel hat lange in einer Wohlfühl-Blase regiert, diese Blase ist jetzt geplatzt. Ich glaube, urgrüne Themen wie gute Ernährung, Klimaschutz, offene Gesellschaft sind in der Mitte mehrheitsfähig. Und unsere Haltung, auf konstruktive Oppositionspolitik zu setzen, kommt gut an.
Offensichtlich nicht. Die Grünen bleiben in der Nische, obwohl sie Merkel offensiv loben.
Warten Sie mal ab. Die Große Koalition hat die Arbeit faktisch eingestellt. Wir sind die einzige Kraft, die in dem angstbesetzten Diskurs über Geflüchtete glasklar positiv argumentiert: für europäischen Zusammenhalt, für Mitmenschlichkeit. Alle anderen Parteien haben Angst vor der AfD, wir werden die Rechtspopulisten stellen. Nicht zuletzt küren wir ab Sommer in einer Urwahl unsere Spitzenkandidaten. Das hilft für eine erfolgreiche Personalisierung. Wir Grüne sind locker für mehr als 10 Prozent gut.
Müssen die Grünen konservativer werden, um der CDU Wähler abzunehmen?
Das glaube ich nicht. Die Wahlen haben gezeigt, dass massive Absturzängste in der Mittelschicht und anderswo existieren. Das Vertrauen, in der Gesellschaft aufsteigen zu können, ist verloren gegangen. Es braucht soziale Gerechtigkeit, damit sich die Gesellschaft nicht weiter spaltet. Diesen Aspekt dürfen wir Grüne nicht vernachlässigen.
Die Grüne Jugend findet, die Grünen seien zu „Merkels Klatschverein“ mutiert. Ganz schön fies, oder?
Wenn die Grüne Jugend nicht mehr starke Thesen verträte, würde ich mir Sorgen machen. Richtig ist: Wir haben in den vergangenen Monaten sehr bewusst die Profilbildung der Bundespartei hinten angestellt - zugunsten des Erfolgs in Baden-Württemberg.
Also doch mehr klare Kante?
Sagen wir es so: Die Bundespartei muss sichtbarer werden. Ich glaube, sich weiter hinter Merkel zu ducken, wäre falsch, denn es steht anders als in Baden-Württemberg 2017 im Bund das Original zur Wahl. Und bei aller Achtung für Merkels Haltung in der Flüchlingspolitik werden wir die Fehler auch weiter deutlich benennen. Damit meine ich beispielsweise das Aussetzen des Familiennachzugs oder den sich abzeichnenden Deal zu Lasten der Menschenrechte mit der Türkei.
Und 2017 gibt es dann einen Werbespot, in dem Katrin Göring-Eckardt in ihrer Küche Apfelkuchen backt?
Erstmal warten wir die Ergebnisse der Urwahl ab. Aber lassen Sie sich überraschen. Wir können mehr als Apfelkuchen, und Katrin kann verdammt gut Tango.
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