Bullshit-Jobs: Arbeiten für die Echokammer
Der Tod des US-Anthropologen David Graeber gibt zu denken: Schlägt das Pflegen Alter bei der Frage nach sinnvollen Tätigkeiten nicht das Schreiben?
D iese Woche musste ich mal wieder viel über Bullshit-Jobs nachdenken. Und das nicht erst, seit am Donnerstag bekannt wurde, dass der Autor des gleichnamigen Buchs, David Graeber, mit nur 59 Jahren verstorben ist. Der US-Ethnologe und Occupy-Aktivist hatte als Bullshit-Jobs all jene bezeichnet, bei denen derjenige, der ihn ausübt, sich insgeheim denkt: Es gibt keine Existenzberechtigung für meine Tätigkeit.
“Wenn Sie glauben, dass die Welt ohne Ihre Tätigkeit gleich oder sogar etwas besser wäre – das ist ein Bullshit-Job.“ Dafür müsse er weder unangenehm, schlecht bezahlt und ohne Status sein, oft ist sogar das Gegenteil der Fall. Das kann man nun natürlich auf alle Jobs anwenden, die auch ein Algorithmus stemmen könnte, die keinen Mehrwert schaffen, die nur repräsentativ sind. Die jedes noch so nutzlose System nur perpetuieren.
Man kann es aber auch gut auf meinen Job anwenden, auf meine ganze Branche. Das zumindest war mein Gefühl diese Woche. Welchen Zweck hat denn all das Recherchieren und bedachte Meinen, das Ausgraben, Abwägen und Kommentieren, wenn sich dann doch Zehntausende mitten in der Pandemie ohne Mundschutz zusammenrotten.
Wenn einige von diesen Zehntausend glauben, Putin sei die bessere Alternative zu Merkel, und andere, dass ein deutscher Kaiser für Menschlichkeit steht, und die Dritten übelsten antisemitischen Irrsinn verzapfen, fällt es mir schwer zu glauben, dass unser Job als Journalisten mehr schafft als den Bekehrten zu predigen. Arbeiten wir nicht nur für die Echokammer? Denn klar, Ihnen muss weder ich noch sonst jemand erklären, was für ein Quatsch das alles ist – und die anderen halten es alles eh für nichts als Lügen.
Die Leere starrt zurück
Die Welt, dachte ich also diese Woche, wäre wohl besser dran, wenn ich Menschen, die es selbst nicht können, den Hintern abwischte oder ein paar Alte besuchte, die einsam sind, statt zu glauben, dass eine linke Zeitung irgendjemanden erreicht außer Linken. (Verdienen würde ich dabei, by the way, auch kaum weniger.) Ich starrte also in die Leere meines Seins und also ins Internet, nur um festzustellen, dass die Leere zurückstarrt:
Selbst ein Favorit im Rennen um das Jugendwort des Jahres – erstmals nicht von alten Langenscheidt- und Pons-Weisen ausgegraben, sondern angeblich tatsächlich von Jugendlichen selbst gewählt – atmet den Geist der unerträglichen Sinnlosigkeit des Seins. Es ist, so las ich auf zett: „Mittwoch“ – in Anspielung auf das Mittwochsfrosch-Meme, das – uralte Geschichte also – 2014 jemand auf Tumblr hochgeladen hatte und das später vom Youtuber Jimmy Here aufgegriffen wurde.
Es zeigt nichts anderes als einen südamerikanischen Breitmaulfrosch und die Worte „It’s Wednesday my dudes“. Warum er zum Hype wurde? „Der Mittwochsfrosch ist der Beweis, dass Menschen in die bedeutungslose Leere der Ewigkeit starren können und ihr ihre eigene Bedeutung aufzwingen“, schrieb angeblich ein Fan des Froschs auf reddit. Damit ist natürlich alles zur existentiellen Krise gesagt: die Bedeutung seines Seins kann man sich nur selbst schaffen. Weise Jugend.
BLM und “Hurensohn“
Die übrigens trotz allem die Hoffnung auf eine bessere Welt nicht aufgegeben zu haben scheint. „Black lives matter“ gehörte laut Süddeutscher Zeitung ebenfalls zu den am meisten eingesandten Wörtern. „Hurensohn“, ein anderer Favorit, haben die Verantwortlichen beim Pons-Verlag schon ausgeschlossen. Nicht zu Unrecht, denn es beleidigt Sexarbeiter:innen.
Frauen also, die einen ziemlich gefährlichen, oft extrem unangenehmen Job ausüben, der quasi keinerlei gesellschaftliche Wertschätzung erhält – ganz sicher aber ist es kein Bullshit-Job. Nüchtern betrachtet leisten sie – sofern es sich tatsächlich um Sexarbeit, also eine Dienstleistung und nicht um Ausbeutung handelt, einen größeren Dienst an der Menschheit als viele andere. Sie geben den Leuten etwas, was sie wirklich brauchen: ein bisschen Zuwendung.
Wie gesagt: sofern sie sich frei dafür entscheiden dürfen, diesen Job zu machen und die Bedingungen, zu denen sie arbeiten, fair sind. All diejenigen, ohne deren Job die Welt tatsächlich ein besserer, oder zumindest kein schlechterer Ort wäre, werden diese Kolumne natürlich sowieso wieder nicht lesen. Hab ich also einen Bullshit-Job gemacht? Oder anders: Will ich wirklich Leute überzeugen, von was auch immer ich glaube? Mir ist ja selbst nach 20 Jahren als Vegetarier völlig wumpe, ob andere Fleisch essen.
Ja, ich bereite es sogar ganz gern für andere zu, obwohl es mich graust bei dem Gedanken, es in den Mund zu nehmen. Meinetwegen muss nicht mal jeder mit seinem Job Mehrwert schaffen, mir würde ja reichen, wenn sich alle an die Regeln halten (auch die Coronaregeln), keinen ausgrenzen und keinem wehtun. Aber auch das schreibe ich hier ja wohl an die Falsche adressiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles