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Bürgerrechtler Gössner über Aufrüstung„Wir erleben eine kaum vorstellbare Militarisierung“

Der Bremer Bürgerrechtler Rolf Gössner kritisiert die Aufrüstung der Bundeswehr. Davon würden zunehmend zivile Bereiche wie die Forschung erfasst.

Wendet sich gegen Zeitenwende und Kriegstüchtigkeit: Bürgerrechtsaktivist Rolf Gössner Foto: Christoph Schmidt/dpa
Interview von Wilfried Hippen

taz: Herr Gössner, welche Anzeichen gibt es für eine „Militarisierung der Republik“?

Rolf Gössner: Wollte ich alle Anzeichen aufzählen, würde es das Interview mit Sicherheit „sprengen“. Seit der „Zeitenwende“ erleben wir eine kaum vorstellbare Militarisierung von Politik, Staat und Gesellschaft – eine enorme Aufrüstung der Bundeswehr mit einem „Sonder­vermögen“ von 100 Milliarden Euro, milliardenschwere Rüstungs- und Waffen-Exporte an Kriegsparteien und in akute Kriegsgebiete – inklusive Beihilfe zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen; dann der Exekutivbeschluss zur Stationierung von US-Mittel­strec­ken­rake­ten – ohne parlamentarische Legitimation. Und Bundeswehr und Republik sollen bekanntlich „kriegstüchtig“ gemacht werden – was viel mehr bedeutet als grundgesetzkonforme Verteidigungsfähigkeit. All dies zugunsten der Rüstungslobby, aber zulasten sozialer Belange und des Friedensgebots gemäß Grundgesetz.

taz: In welchem Maße wird die Rüstungsindustrie davon profitieren?

Gössner: Allein der Aktienkurs der Rüstungsschmiede „Rheinmetall“ hat sich seit 2000 verzehnfacht und die Dividenden „schießen“ durch die Decke. Auch andere Rüstungskonzerne profitieren stark von diesem Trend – ohne absehbares Ende.

taz: Wie sehr beeinflusst die „Militarisierung der Köpfe“ Bildung und Wissenschaft in unserer Gesellschaft?

Vortrag „Die Militarisierung der Republik“, Di, 4. 2., 19.30 Uhr, Scala-Kino Lüneburg, Eintritt frei

Gössner: „Zeitenwende“ und „Kriegstüchtigkeit“ erfassen zunehmend zivile Bereiche, darunter eben auch Bildung, Wissenschaft und Forschung; und nicht zu vergessen: die ideologisch-politischen und medialen Begleitmanöver. Es wirkt mitunter wie ein Kampf um die Köpfe der Bevölkerung, die sich noch überwiegend skeptisch bis abweisend zeigt, wenn auch mit rückläufiger Tendenz.

taz: Können Sie Beispiele dafür nennen, wie der Bildungssektor in diesem Sinne verändert wird?

Gössner: 2024 ist in Bayern das „Bundeswehrfördergesetz“ in Kraft getreten, mit dem eine Militarisierung des Bildungs- und Wissenschaftsbereichs vorangetrieben wird. So werden Schulen, Hochschulen, Unis und Forschungseinrichtungen angehalten, teils verpflichtet, enger mit der Bundeswehr zu kooperieren. Eine Beschränkung der Forschung auf rein zivile Nutzung, wie sie sogenannte Zivilklauseln regeln, ist nun gesetzlich verboten. Forschungsergebnisse sollen nun auch für militärische Zwecke genutzt werden. Schulen sollen „im Rahmen politischer Bildung“ enger mit Jugendoffizieren zusammenarbeiten sowie zur „beruflichen Orientierung“ mit Karriereberatern der Bundeswehr. Womöglich werden andere Bundesländer diesem Pilotprojekt folgen, worauf manches hindeutet.

Im Interview: Rolf Gössner

Rolf Gössner

*1948, ist Jurist, Publizist und Bürgerrechtsaktivist.

taz: Sie wurden unter anderem vom DGB eingeladen. Glauben Sie, dass Widerstand gegen diese Entwicklungen von den Gewerkschaften organisiert werden könnte?

Gössner: Angesichts dieser Militarisierung mit ihren Gefahren für die Gesellschaft ist es, auch vor dem Hintergrund deutscher Geschichte, mehr als angezeigt, darüber aufzuklären und sich organisiert zur Wehr zu setzen – auch vonseiten der Gewerkschaften. So hat etwa die GEW eine Popularklage vor dem bayerischen Verfassungsgericht initiiert, mit der das Militärfördergesetz zu Fall gebracht werden soll – unter Beteiligung von DFG-VK und fast 200 Personen des öffentlichen Lebens. Weil ich die Klage für aussichtsreich halte, beteilige ich mich daran. Dieses Gesetz dürfte unverhältnismäßig in Wissenschafts-, Lehr- und Forschungsfreiheit sowie in die Hochschul-Autonomie eingreifen. Und es dürfte gegen Indoktrinierungsverbot und Gewissensfreiheit an Schulen verstoßen.

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14 Kommentare

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  • Alter weißer Mann der mit der Gegenwart nicht klar kommt, klammert sich an Ideen aus dem letzten Jahrhundert....

  • Was ist denn die Idee von Herrn Gössner, wie man mit aggresiven Gegnern wie Russland und unzuverlässigen Partnern wie den USA umgehen soll?



    Nichts tun und abwarten? Es gibt auch noch Menschen, die ein Leben in Freiheit und Demokratie haben wollen. Wenn der Friedensfreund aus dem Osten bis Portugal durchmarschiert ist kommen auch die Antimilitaristen ins Lager.

  • Kein Wort zu den realen Umständen, die verstärkte Verteidigungsfähigkeit erforderlich machen?

  • "eine enorme Aufrüstung der Bundeswehr mit einem „Sonder­vermögen“ von 100 Milliarden Euro"

    Ja, und genau das ist auch nötig. Können wir einfach bitte mal aufhören so zu tun, als brauchten Demokratien sich nicht zu verteidigen?

    "So werden Schulen, Hochschulen, Unis und Forschungseinrichtungen angehalten, teils verpflichtet, enger mit der Bundeswehr zu kooperieren."

    Das merkt man bei uns an der Uni in den Sprachkursen. Man lernt nur noch "Achtung! Stillgestanden!"

    Was für ein Quatsch! Wir haben hierzulande Forschungsfreiheit.

    • @fhirsch:

      Leider wird es bei den 100 Mrd (was für eine Zahl) nicht bleiben können....

  • Angesichts der derzeitigen Bedrohungslage ist die aktuelle Militarisierung aus meiner Sicht gerechtfertigt. Nach der Schule werde ich wahrscheinlich auch zur Reserve gehen. Pazifismus kann nicht ersetzen, dass man in der Lage ist, sich wirksam, auch militärisch, zu verteidigen, und kann auch nur dann für ein Land wie Deutschland funktionieren.

  • Kein einziges Mal wird Russland erwähnt. Irre!

    Russland sieht sich bereits im Krieg mit uns. Es ist derzeit ein hybrider Krieg, aber ein Krieg.

    Und "Kriegstüchtigkeit" heißt einfach nur, dass Deutschland in der Lage sein muss, sich in einem Krieg zu verteidigen und einen Krieg auch gewinnen zu können. Das versteht absolut jeder und wer behauptet, dass das Wort irgendwie bedeute, dass Deutschland in der Lage sein soll, einen Krieg zu beginnen, der missversteht absichtlich - oder lügt einfach.

    Tut mir leid, aber ich für meinen Teil halte es für absolut richtig, dass wir alles tun, um uns und unsere Freiheiten gegen den physischen Angriff eines faschistischen Staates - Russland - verteidigen zu können.

  • In Zeiten, in denen sogar Armenhäuser wie der Gaza-Streifen Waffen anhäufen und damit andere Staaten bedrohen, wird uns gar nichts anderes übrig bleiben.



    Mit der gebrandmarkten Lieferung von Waffen in Kriegsgebiete kann jedenfalls die Ukraine nicht gemeint sein. Hier handelt es sich um einen kollektiven Akt der Selbstverteidigung im Sinne von Art. 51 UN-Charta und die Ukraine hat, zumindest moralisch, hierauf auch einen Anspruch.

  • Ach wie schön ist das Leben, wenn man Augen und Ohren verschließt und die wirkliche Welt nicht wahrnehmen muss. Problem: die wirkliche Welt gibt es trotzdem, und auch der Überfall Russlands auf die Ukraine geht weiter.

    • @Offebacher:

      Kurz und prägnant, danke!

  • Ja. Er issen Guter •



    …anschließe mich

    unterm——-



    Fände es gerade mit Rücksicht auf die differenzierten Ausführungen von Rolf Gössner angezeigt - daß sich der ein oder andere tazler - mehrfach aufgespießt - mal etwas laid back an die Nase packt & reflektiert - was verzapf ich hie & da & negligable eigentlich da - dieser bedrohlichen Entwicklung Vorschub leistendes!

    Right-wing-drifting taz - mag sein - daß ihr in eurer Blase & wg drifting/Schneebretteffekt das nicht realisiert! Gell



    Das wäre aber mehr als dringend erforderlich •



    Dank im Voraus

    • @Lowandorder:

      Bedrohlich ist nicht die Herstellung von Verteidigungsfähigkeit, bedrohlich ist die Aggression Russlands, welches bereits jetzt einen unerklärten hybriden Krieg gegen die EU führt. Bedrohlich sind auch die Stimmen, die das kurzerhand ignorieren.

    • @Lowandorder:

      Siehe den ersten Post (um genau zu sein: zweiter Satz) hier von gestern um 21:59 - dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.



      Auf derartige Argumente gehen Sie aber in Ihren Beiträgen nie ein. Und der Interviewte im Artikel übrigens auch nicht, mit keinem Wort (allerdings wurde er danach auch nicht gefragt).

    • @Lowandorder:

      Die militärische Bedrohung geht derzeit allein von einem zutiefst rechten, faschistischen Staat aus, nämlich Russland.

      Und es sind gerade die deutschen Rechtsextremen, die bereit stehen, Deutschland im Falle eines Angriffes zu verraten und die auch heute schon alles tun, um in dem Krieg, den Russland BEREITS FÜHRT, dem Aggressor rhetorisch und auch sonst zu helfen. Früher konnte man sich ja immerhin drauf verlassen, dass Rechtsextreme Deutschland an keinen äußeren Feind, zumindest nicht Russland, verraten würden, aber heute ist es eben so. Sowohl von innen als auch von außen wird Deutschland wie jede andere liberale Demokratie von rechten Kräften bedroht.

      Aber klar, das Problem ist "right-wing-drifting" der Taz....