BürgermeisterInnen in der Provinz: Wahlkampf ganz unten
Inken Kuhn will Ortschefin von Laboe werden. Sie kommt aus der Gemeinde und hat mit Thies Thiessen einen professionellen Berater.
„Eitelkeit“, sagt Thies Thiessen. Er sitzt auf einem mit grünem Samtstoff bezogenen Sessel in seinem Haus in Meldorf, einem Ort, der von Laboe aus gesehen auf der anderen Seite von Schleswig-Holstein liegt. Thiessen, 71 Jahre alt, war selbst zwölf Jahre lang Bürgermeister, wobei diese Zeit überwiegend im vergangenen Jahrtausend liegt.
Er berät Inken Kuhn, wie er in den vergangenen Jahren rund drei Dutzend Frauen und Männer beraten hat, die einen Bürgermeisterposten anstreben. 26 hat er in die Rathäuser gebracht. Das hat ihm den Ruf des „Bürgermeistermachers der SPD“ eingebracht. Darüber lacht er, aber es schmeichelt ihm auch, und er kokettiert damit, dass er um seine Schwäche für Schmeichelei weiß: „Eitelkeit ist eine Triebfeder.“ Seine. Und die seiner KandidatInnen.
Inken Kuhn liegt Eitelkeit fern, zumindest die Form von Eitelkeit, die mit Kleidungsstücken und Schminke daherkommt. Die 47-Jährige trägt ihr weißes Haar in einem wuscheligen Kurzhaarschnitt, dazu am liebsten Jeans und Pullover. Aber sie weiß, was sie will: „Macht, um zu machen.“ Auch wenn eine Frau für so eine Haltung „oft quer angeguckt“ wird. Aber es sei wichtig, sich zu engagieren, sagt die Agrarökonomin und alleinerziehende Mutter eines zehnjährigen Sohnes: „Für die Welt, für Deutschland und Laboe.“
Vom Gemeinderat zum Gemeindechef – schafft sie das?
Selbst in dem kleinen Ort werde der Umgang immer härter, und „diesen Leuten will ich nicht das Feld überlassen, sondern geradestehen für meine Meinung und für die Menschen, die nicht geradestehen können“. Sie hat im Ausland gelebt, „über den Tellerrand geschaut“, nun wolle sie in der Heimat etwas bewegen. Bisher engagierte sie sich ehrenamtlich für die SPD im Gemeinderat.
Für den Bürgermeisterwahlkampf nimmt sie Thiessens Hilfe in Anspruch: „Männer glauben von sich, sie könnten alles, Frauen sind da selbstkritischer.“ Aber Frauen würden im Amt mehr an das Allgemeinwohl denken, während unter den Männer oft „Alphatierchen“ seien, die sich profilieren wollten. Wenn sie diese Botschaft glaubhaft rüberbringt, könnte sie es schaffen – das glaubt sie bis zum Wahlabend.
Inken Kuhn im Laboer Wahlkampf
Das Bürgermeisteramt ist ein seltsamer Zwitter. Eigentlich geht es nur um einen Verwaltungsposten, um das Regiment über ein paar Angestellte, den Gemeindefuhrpark, die Schlaglöcher in den Straßen. Die Macht liegt beim Gemeinde- oder Stadtrat, dem kommunalen Parlament. Aber der Bürgermeister ist „der Hals, der den Kopf dreht“, sagt Thiessen. Er liebt solche Sprüche, die gut klingen und im Gedächtnis bleiben.
Thies Thiessen, der Bürgermeister-Macher
Seit 1998 werden in Schleswig-Holstein die Hauptamtlichen direkt gewählt, vorher bestimmten die Gemeinderäte die Verwaltungschefs. Zwischen 1998 und 2003 gewann die SPD dort keinen einzigen Direktwahlkampf. „Weil die Fraktionsvorsitzenden Bürgermeister werden sollten“, sagt Thiessen. „Aber die waren in der Parteilichkeit verbrannt. Keiner wollte einen Genossen-Bürgermeister.“
Damals kam Thiessen auf die Idee, es anders zu machen. „Die Bürgermeisterdirektwahl ist eine Persönlichkeitswahl. Sie folgt den Gesetzen einer Produktwerbung. Dabei steht die Persönlichkeit des Bewerbers im Mittelpunkt der Kampagne“, heißt es bei der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK) deren Geschäftsführer Thiessen ist. In dieser Funktion coacht er die BewerberInnen, und da er auch Anwalt ist, darf er sie rechtlich beraten. So eroberten seine KandidatInnen Orte, die zuvor für die SPD unerreichbar schienen.
„Das liegt nicht an mir, es sind immer die Leute selbst“, sagt Thiessen und lehnt sich in seinen grün bezogenen Sessel zurück. Das Zimmer verströmt den Charme alter Zeiten – Holzdielen, dunkle Möbel, ein Seestück in Öl über dem Sofa. Hier führt Thiessen die Gespräche mit den Frauen und Männern, die das Potenzial für ein Bürgermeisteramt haben. Immer ruft er sie an, niemand muss bei ihm um das Coaching bitten.
Einige sagen nach den ersten Gesprächen ab, aber viele machen weiter. Die Mehrzahl sind Frauen, obwohl gerade Bürgermeisterämter selten in weiblicher Hand liegen. Thiessen findet das unlogisch: „Frauen sind besser in Kommunikation, sie gehen mehr auf Menschen ein.“ Er sammelt „bürgermeisterliche“ Persönlichkeiten, die bereit sind, ihren Hut in den Ring zu werfen, wenn eines Tages in einem passenden Ort eine Wahl ansteht.
Für Inken Kuhn war klar: Wenn sie antritt, dann in Laboe. Sie hat in Neuseeland auf Bauernhöfen gearbeitet und in der Türkei einen Betrieb gemanagt, aktuell arbeitet sie beim Landesverband „Ökologischer Landbau“. Aber in Laboe ist die gebürtige Bremerin aufgewachsen, es zog sie zurück in die alte Heimat.
Ein Job ohne viel Prestige
Der Bürgermeister-Job in Laboe ist nicht sehr prestigeträchtig. Es gilt, Mangel zu verwalten, der Ort ist verschuldet. Bisher wurde die Gemeinde von einem ehrenamtlichen Bürgermeister geführt, nun soll der Posten hauptamtlich werden – ab 4.000 EinwohnerInnen ist das in Schleswig-Holstein möglich. In Laboe leben knapp 5.000 Menschen.
Thies Thiessen, Bürgermeister-Macher
Das Ostseebad liegt gegenüber von Kiel an der Förde, Bäderarchitektur prägt das Zentrum. Bekannt ist Laboe durch das Marine-Ehrenmal, ein Ungetüm aus Ziegelstein, dessen geschwungene Silhouette sich wie ein Segel aus Backstein am Ortsrand erhebt. Der Architekt hatte eine aufsteigende Flamme im Sinn, als er in den 1920er Jahren das Denkmal für gefallene Seemänner des Ersten Weltkriegs plante. Der bombastische Bau wurde 1936 eingeweiht und zieht jährlich 100.000 BesucherInnen an.
Aber so prägend das Ehrenmal ist, im Ort wird über „kommunalpolitisches Schwarzbrot“, wie Thiessen es nennt, gestritten. Vor allem über das Schwimmbad, das marode und unrentabel ist, das viele aber im Ort behalten wollen.
Was wird aus dem Schwimmbad?
Die Schwimmbad-Frage ist schwierig für Inken Kuhn. Als Ratsmitglied der Sozialdemokraten hat sie gegen das Bad gestimmt. Außerdem wollte die SPD keinen hauptamtlichen Bürgermeister, nun tritt Kuhn für dieses Amt an. Beides nehmen die LaboerInnen ihr übel.
„Lügnerin“, ruft ein Mann im Karohemd bei einer Diskussionsrunde, zu der der Schwimmbadeverein eingeladen hat. Gewinnen habe Kuhn da nicht können, meint Thiessen, aber „die Veranstaltung war wertvoll, weil sie die kalte Dusche erlebt hat“. Außerdem traf sie zum ersten Mal öffentlich mit ihren Gegenkandidaten zusammen.
Es sind zwei Männer. Günther Petrowski sitzt für die CDU im Gemeinderat, Heiko Voß tritt für die Grünen an, ist aber parteilos und hat – als der Bürgermeisterposten ausgeschrieben wurde – alle Parteien in Laboe angeschrieben, ob sie ihn nominieren würden. Voß sieht ein bisschen aus, als hätte ihm ein großer Daumen den Kopf in die Schultern gedrückt, er redet gern und ein bisschen langatmig. Da er in Kiel lebt, steckt er in den Laboer Intrigen nicht drin, das kann gut oder schlecht sein. Aber er hat im Laboer Rathaus gelernt und arbeitet in der Landtagsverwaltung. Das erwähnt er häufig.
„Wir müssen eigentlich nur klarmachen, dass Laboe gar keine eigene Verwaltung hat“, meint Thiessen. Er ist hoffnungsvoll. Inken Kuhns Ausgangslage sei nicht die stärkste, „aber was die anderen machen, schreckt uns nicht“. Er behandelt seine Kandidaten ein bisschen wie Kinder und lässt sie durch eine harte Schule laufen – wobei laufen buchstäblich gemeint ist.
Klinken putzen in Laboe
Wochen vor der Wahl ist Inken Kuhn unterwegs in der Stadt, Klinken putzen. Sie trägt eine ziegelrote Jacke und hat das Haar zu einem sorgfältigen Scheitel gekämmt. In ihrer Jackentasche steckt ein Packen länglicher Visitenkarten, auf denen ihr Foto vor einem Panorama des Ostseebades zu sehen ist. „Ihre neue Bürgermeisterin für Laboe“ steht auf den Karten, ganz so, als wäre sie es schon. Einer von Thies Thiessens Psychotricks: „Eigentlich heißt es ,Ich möchte Ihre neue Bürgermeisterin werden’“, sagt Kuhn und lacht. „Aber das ist zu lang fürs Plakat.“ Der Trick wirkt – kurz nachdem die ersten Plakate hingen, riefen Leute an, um sich über Schlaglöcher und ungepflegte Grünflächen zu beschweren. Inken Kuhn hält das für ein gutes Zeichen.
Wenn sie unterwegs ist, bemüht sie sich um den „bürgermeisterlichen“ Auftritt, wie Thiessen es ihr vorgibt. „Ja, er sagt, was ich anziehen soll“, lacht sie: „Ich musste mir ein Kleid kaufen.“ Selbst den Haustürwahlkampf sollte sie am liebsten im Rock absolvieren, aber es liegt Regen in der Luft, klamme Kühle zieht von der Ostsee herauf. Kuhn trägt Hose: „Thies muss nicht alles wissen.“
Ihr Zielgebiet für diesen Tag ist ein Viertel mit Einfamilienhäusern. Fahrräder und Trampoline in den Vorgärten lassen auf junge Paare mit Kindern schließen. Vor einem Haus trifft Kuhn auf einen Mann, grüßt, lächelt. „Sie haben vielleicht gehört, dass bald die Wahl ist“ – ein Griff in die Tasche nach den Visitenkarten – „darf ich Ihnen das geben, damit Sie wissen, für was ich mich einsetze?“ Der Mann lächelt, nimmt die Karte, auf deren Rückseite in Schlagworten Kuhns Wahlprogramm steht: Schule und Kita, Neugestaltung der Promenade, Bürgerbeteiligung, Geh- und Radwege. Lokale Themen, kleinteilige Angebote. Was fehlt, ist der Hinweis auf die SPD.
„Bürgermeister sind allparteilich“, sagt Thiessen. „Wir wollen nicht nur die Stimmen der Genossen, sondern alle.“ Ursprünglich war Thiessen ein Konservativer, als Jugendlicher stand er der CDU nahe und kann aus dem Stehgreif ein Wahlkampflied aus den 1960er Jahren singen: „Der Ludwig und der Willy, die stellen sich zur Wahl, der eine rund, der andere schmal …“ Aber dann begann Thies Thiessen eine Lehre als Speditionskaufmann, wurde zum Arbeitnehmer und damit – „das Sein bestimmt das Bewusstsein“ – offen für Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit. Er liebäugelte kurz mit der KPD, bevor er durch Willy Brandt zur SPD kam. Seither ist er Genosse, ein Genosse mit einem schweren Mercedes und Jacketts im Lodenstil.
Das Heimspiel vor der Bürgerversammlung
Zwei Tage vor der Einwohnerversammlung findet im Bürgertreff der Arbeiterwohlfahrt ein Treffen mit örtlichen GenossInnen statt, auch Kuhns Mutter und ihr Sohn sitzen im Raum. „Klatschen“ nennt Thiessen den Termin. Es ist eine Chance für Kuhn, ihre Rede vor freundlichem Publikum zu halten und Selbstbewusstsein zu tanken. Nicht etwa, um die GenossInnen zu Claqueuren zu machen, betont Thiessen: „Ihr klatscht nur, wenn sie etwas Gutes sagt.“
Er steht in der Raummitte, beherrscht die kleine Arena. Erzählt Anekdoten von früheren Wahlkämpfen und verwechselt dabei schon mal Laboe mit Schönberg oder Scharbeutz. Er hat schon so viele dieser Termine erlebt. Für Kuhn ist alles eine Premiere.
Trotz der Betonung, wie individuell die Wahlkämpfe zugeschnitten sind, ähneln sich die Tipps, die Parolen, sogar die Sätze. 2013 berichteten die Lübecker Nachrichten, dass der Kandidat für das Amt des Bürgermeisters von Scharbeutz, Jochen Heumos, eine in Teilen wortgleiche Bewerbungsrede gehalten hatte wie Hatice Kara, die in Timmendorfer Strand siegte, und Heike Döpke, die zur Bürgermeisterin von Barmstedt gewählt wurde. Thiessen hebt nur die Schultern: „Man muss nicht jedes Mal das Rad neu erfinden.“
Bei der Einwohnerversammlung in der Turnhalle trifft Kuhn wieder auf Heiko Voß, den Verwaltungsmann. Der CDU-Kandidat hat sich krankgemeldet, aber schon zwei Tage später steht er am Wahl-Stand. „Na“, sagen die LaboerInnen dazu, die norddeutsche Art eines Shitstorms.
Kuhn hält ihre Rede, sachlich und ruhig. Voß erzählt eine lange, pointenlose Anekdote über seine Mutter und erhält viel Beifall. Heißt gar nichts, findet Thiessen: „Seine Unterstützer waren besser platziert.“
Der Wahlabend: Wird sie's oder nicht?
Am Wahlabend glüht Inken Kuhn vor Aufregung. Sie sitzt in ihrer Küche und lässt das Smartphone nicht aus den Augen. Schließlich hält sie es nicht mehr aus und geht, begleitet von Thiessen und dessen Frau, zum Rathaus. Die Stimmung ist gut, immer noch: Sie rechnen damit, dass Kuhn in die Stichwahl kommt, zusammen mit Voß. Der punktet mit seiner Qualifikation, aber Kuhn hatte bessere Argumente. Das sollte reichen.
Im Rathaus drängt sich die politische Elite Laboes, ParteivertreterInnen, Verwaltungsleute, der Kreiswehrführer, um einen langen Tisch. Heiko Voß sitzt in einer Ecke. Niemand bietet Inken Kuhn einen Sitzplatz an – vielleicht schon ein schlechtes Zeichen.
Die Uhr rückt vor, aber immer noch gibt es keine Ergebnisse. Der Wehrführer erzählt Witze. Kuhn und Voß tun, als könnten sie mitlachen.
Da trifft auf Kuhns Smartphone eine Nachricht ein, aus einem der Wahllokale: Voß hat gewonnen, deutlich, uneinholbar. Kuhn liegt nur knapp vor dem CDU-Kandidaten. In der anderen Ecke des Saals schaut auch Voß auf sein Handy. Ein Lächeln zuckt über seine Gesicht und verschwindet wieder: Noch ist nichts offiziell.
Thiessen sieht aus, als habe er einen Schlag vor den Kopf bekommen, er wirkt zum ersten Mal wie ein alter Mann. Kuhn muss Haltung bewahren, bis die offiziellen Ergebnisse eintreffen. Sie bestätigen die erste Zählung: Heiko Voß gewinnt mit zwei Dritteln der Stimmen. Keine Stichwahl, nicht einmal annähernd.
Kuhn verlässt das Rathaus und verschwindet im kühlen Abend, sie will ein bisschen allein sein. Thiessen sucht nach Erklärungen: Vermutlich habe Voß’ Verwaltungserfahrung überzeugt. „Schade, aber nichts zu machen.“
Wenige Tage später steht auf Inken Kuhns Homepage ein Dank an alle UnterstützerInnen und für die interessante Erfahrung, es klingt sehr bürgermeisterlich.
Thiessen coacht weitere KandidatInnen. Die nächsten Wahlen stehen im Mai an. Dann geht es unter anderem um Oststeinbek, Barmstedt und die Gemeinde Fockbek.
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