Bürgermeister über Hochwasserhilfen: „Das Geld kommt bei zu wenigen an“
Der Wiederaufbau nach der Ahrflut 2021 stockt. Der Bürgermeister von Stolberg macht dafür vor allem die komplexe Bürokratie verantwortlich.
taz: Herr Haas, wie oft denken Sie an den 14. Juli 2021, also an die Nacht, in der Ihre Stadt Stolberg unterging?
Patrick Haas: An diese Nacht denke ich ständig – ganz einfach, weil wir hier noch immer jeden Tag mit den Folgen der Hochwasserkatastrophe kämpfen, weil wir jeden Tag daran arbeiten, die Schäden zu beseitigen.
Wie hart hat die Flut Stolberg getroffen?
Gott sei Dank hat hier niemand das Leben verloren, ist niemand ertrunken. Der finanzielle Schaden aber summiert sich allein in Stolberg auf rund eine Milliarde Euro. Unsere Stadt liegt direkt am Fuß der Eifel, wo es vor der Flut tagelang geregnet hat. Dadurch haben sich unser kleiner Vichtbach, die Inde und weitere Zuflüsse mitten in der Stadt in einen reißenden Strom verwandelt.
Mit welchen Folgen?
Bäume sind wie Spielzeug weggespült worden. In unseren Straßen klafften 3 bis 4 Meter tiefe Löcher. Zwar sind die Häuser in unserer Innenstadt sehr alt und stabil – doch in den Schaufenstern der Geschäfte steckten mitgerissene Autos. Ohne Kernsanierung geht deshalb nichts: Überall stand stinkender Schlamm, teilweise meterhoch.
Wie läuft der Wiederaufbau?
Einige Gebäude sind bereits komplett renoviert, sehen schöner aus als vor der Katastrophe. Es gibt aber auch Häuser, in denen bis heute nicht ein einziger Handschlag gemacht wurde.
Es war die wohl schlimmste Naturkatastrophe in der Geschichte von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen: Nachdem das Tief „Bernd“ ab dem 12. Juli 2021 für massive Regenfälle gesorgt hatte, wurden Flüsse wie die Ahr zur Todesfalle. 183 Menschen starben allein in Deutschland, im benachbarten Belgien waren es weitere 41. Mit Blick auf die Sachschäden sprechen Rückversicherer wie Swiss Re vom teuersten Hochwasser, das es jemals in Europa gegeben hat.
Woran liegt das?
Für viele ist es nicht einfach, an die Wiederaufbau-Hilfen zu kommen oder mit den Versicherungen um Zahlungen zu ringen. Nicht wenige leiden noch immer unter den psychischen Folgen der Katastrophe. Andere sind älter und haben nicht mehr die Kraft, wieder aufzubauen. Ein Verkauf aber hilft ihnen nicht weiter: Die staatlichen Hilfen kann nur beantragen, wer am Tag der Flut Eigentümer:in war.
Mit welchen Folgen?
Der Wiederaufbau stockt – und das ist ein Riesen-Fiasko für unsere Stadt. Wir haben das mit der zuständigen nordrhein-westfälischen Bauministerin Ina Scharrenbach oft besprochen. Ergebnis waren zumindest kleine Verbesserungen: Jetzt können auch Erben die Hilfen beantragen oder wir als Stadt, wenn wir kaufen. Damit ist Stolberg aber überfordert. Wir müssen doch schon Straßen, Schulen, Kitas wiederherstellen. Selbst das Rathaus ist zerstört, muss durch einen Neubau ersetzt werden. Wir sind einfach auf die Initiative von Privatleuten angewiesen.
Und die bremst die Bürokratie aus?
Natürlich muss der Staat darauf achten, dass seine Hilfe nur an wirklich Bedürftige geht. Trotzdem sind die Hürden zu hoch: Gerade in unserer tief gelegenen und deshalb besonders heftig von der Flut getroffenen Innenstadt leben viele Menschen mit wenig Geld. Viele haben einen Migrationshintergrund und tun sich schwer, die komplizierten Anträge der Wiederaufbau-Hilfen zu verstehen. Das betrifft längst nicht nur Hauseigentümer:innen. Viele halten sich einfach nur über Wasser. Auf den Listen der Tafel und von Hilfsorganisationen hier in Stolberg stehen noch immer mehr als 1.500 Menschen, die Lebensmittelhilfen bekommen.
Patrick Haas, 40, ist Sozialdemokrat und seit 2019 Bürgermeister von Stolberg bei Aachen. Als Eigentümer eines rund 500 Jahre alten Hauses hat ihn das Hochwasser auch selbst getroffen.
Wie helfen Sie den Leuten?
Wir gehen in jedes Haus und fragen, wer welche Hilfe braucht. Gerade kämpfen wir darum, dass die Hochwasser-Hilfen wieder hier direkt in Stolberg beantragt werden können – und nicht wie derzeit nur in der Kreishauptstadt Aachen. Für wirklich engmaschige Unterstützung von der Antragstellung über die Auszahlung bis zur Sanierung von Wohnungen und Häusern aber fehlt uns das Personal.
Warum?
Nötig wären dazu nicht nur Architekt:innen, sondern auch Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen und Übersetzer:innen – also Dutzende zusätzliche Mitarbeiter:innen, die den Menschen helfen, auch wirklich an das Geld zu kommen. Und dann fehlen die nötigen Handwerker:innen. Das ist das nächste Problem.
Inwiefern?
Um an die Wiederaufbau-Hilfen zu kommen, brauchen Hauseigentümer:innen ein Gutachten. Wenn das vorliegt, werden aber trotzdem erst einmal nur 20 Prozent der Schadenshöhe erstattet. Mehr gibt es nur gegen den Nachweis, dass das bereits gezahlte Geld auch verbaut wurde, also nur bei Vorlage entsprechender Rechnungen. Wer nicht in Vorleistung gehen kann, muss die Sanierung deshalb immer wieder unterbrechen – und das machen viele Handwerksbetriebe, deren Auftragsbücher auch so prall gefüllt sind, einfach nicht mit.
Schnell wiederaufbauen kann also nur, wer selbst genug Geld hat – oder eine gute Bank?
Genau.
CDU-Bauministerin Scharrenbach sagt dagegen, bisher seien von landesweit 18.800 Anträgen 94 Prozent geprüft oder schon bewilligt. Für Private seien das fast 500, für die Städte und Gemeinden mehr als 740 Millionen Euro.
Allein in unserer mittelgroßen Stadt Stolberg liegt der Gesamt-Schaden aber bei etwa einer Milliarde, also 1.000 Millionen Euro. Das Problem ist: Es wird nur über die Hilfen geredet, die auch beantragt wurden. Vom Schreibtisch aus wird das Ausmaß der Zerstörung oft nicht klar.
Wie meinen Sie das?
Als Mitarbeiter:innen der zuständigen Bezirksregierung Köln ein Dreivierteljahr nach der Katastrophe zum ersten Mal bei uns in der Innenstadt vor Ort waren, haben die sich gewundert: ‚Hier ist ja jedes Haus beschädigt‘, haben die gesagt. Aufgrund der bisher gestellten Anträge waren sie davon ausgegangen, dass es viel weniger sind.
Wie viele Stolberger:innen haben denn bisher Hilfen erhalten?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Diese Zahl hätte ich auch gern, bekomme sie aber nicht.
Und wie groß sind die Hilfen, die Stolberg bisher erhalten hat?
Allein für die städtische Infrastruktur haben wir einen Wiederaufbau-Plan in Höhe von 225 Millionen Euro vorgelegt. Diesen haben wir mit der Bezirksregierung vorabgestimmt und warten aktuell auf die Genehmigung. Noch bezahlen wir einen Großteil über Kassenkredite.
Ist das nicht Staatsversagen, für das auch Ihre Partei, die SPD, mitverantwortlich ist? Als Bundesfinanzminister hat Kanzler Olaf Scholz nach der Flut versprochen, niemand solle materiell schlechter dastehen als vor der Katastrophe.
Da muss ich Olaf Scholz verteidigen – nicht nur, weil er wie ich Sozialdemokrat ist: Als Hochwasser-Hilfe hat der Bund ein Sondervermögen von 30 Milliarden Euro aufgelegt. Davon gehen 12,3 Milliarden hier zu uns nach Nordrhein-Westfalen. Das Geld ist also da – doch es kommt noch bei zu wenigen Menschen an.
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