Bürgermeister-Kandidat in Neukölln: „Missstände benennen ist gut“
Martin Hikel will Neuköllner Bürgermeister werden – ein großer Schritt für den jungen Lehrer und Fraktionschef der Bezirks-SPD.
taz: Herr Hikel, Sie wollen Franziska Giffey nachfolgen und Bürgermeister von Neukölln werden. Kein leichter Job. Was reizt Sie daran?
Martin Hikel: Dass man als Bürgermeister sehr direkt etwas für die Menschen tun kann. Ich bin in Neukölln aufgewachsen, bin in Britz auf die Schule gegangen und zum Studium nach Nordneukölln gezogen. Dort wohne ich heute noch, im Körnerkiez. Ich habe Neukölln buchstäblich von oben bis unten kennengelernt. Und ich habe schon den Anspruch, den Bezirk zu gestalten.
Sie sind Fraktionschef der SPD im Bezirksparlament, eine ehrenamtliche Tätigkeit. Ihr Geld verdienen Sie bisher als Lehrer. Ist der Sprung an die Bezirksspitze nicht etwas sehr groß?
Ich bin mit 18 Jahren in die SPD eingetreten und mache schon lange Politik im Bezirk. Klar, ich bin kein Verwaltungsexperte. Aber wenn das der Anspruch wäre, würde man eine Ausschreibung im Amtsblatt veröffentlichen. Der eigentliche Punkt ist doch, dass man eine politische Idee hat und etwas gestalten möchte. Jetzt gibt es diese Option, also werfe ich meinen Hut in den Ring.
Wie genau wollen Sie Neukölln gestalten?
Zunächst ist mir wichtig, die Politik der letzten Jahre fortzusetzen. Es war richtig, den Schwerpunkt auf die Bildungspolitik zu legen, da haben wir in Berlin eine Vorreiterrolle eingenommen. Die besten Schulen müssen in die härtesten Kieze, das stimmt auch heute noch.
Franziska Giffey hat Regeln auch mit Härte durchgesetzt. Security an Schulen, unterstützen Sie das?
Die Securitys sind nicht an die Schulen gekommen, um irgendwelchen Leuten auf die Füße zu treten, sondern um den Schulfrieden zu sichern, damit dort Bildung überhaupt stattfinden kann. Was dem Schulbetrieb guttut, muss der Bezirk unterstützen, auch wenn das ein Sicherheitsdienst ist.
Wo sehen Sie jenseits der Bildung die großen Baustellen?
Da gibt es ganz viele. Beispielsweise in der Verkehrspolitik. Neukölln wird wachsen, der Speckgürtel ebenso. Die Infrastruktur muss damit Schritt halten, sonst verstopfen die Straßen völlig. Deshalb bin ich sehr dafür, die U7 bis zum Flughafen BER zu verlängern.
31, unterrichtet Politik und Mathematik an der John-F.-Kennedy-Schule in Zehlendorf. 2005 trat er in die SPD ein, seit 2016 ist er Fraktionsvorsitzender in der Neuköllner BVV.
Wie stehen Sie zu den rechten Übergriffen, die es in Neukölln regelmäßig gibt?
In der letzten Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung haben wir das als Terror verurteilt. Das finde ich richtig. Wenn Nazis durch den Bezirk ziehen und Menschen bedrohen, die sich für eine vielfältige demokratische Gesellschaft einsetzen, wenn sie deren Autos anzünden, dann ist das ein Skandal. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Die Sonderermittlungsgruppe der Polizei hat da unsere vollste Unterstützung.
Das hätte Frau Giffey sicherlich auch gesagt. Gibt es etwas, was Sie anders machen würden, was Ihr Anliegen wäre?
Die Verlängerung der U7 ist ein Thema, das haben wir gemeinsam gesetzt. Ansonsten gilt für mich: Ich will einen Verkehrsraum herstellen, in dem sich alle sicher fühlen, Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer. Ich werde immer wieder von Bürgern in Nordneukölln angesprochen, die sagen, sie fänden keine Parkplätze mehr. Wir sollten diskutieren, ob wir in bestimmten Kiezen eine Parkraumbewirtschaftung einführen.
Wer wäre von der Tonart als Bürgermeister eher Ihr Vorbild, Giffey oder deren Vorgänger, der laute Heinz Buschkowsky?
Ich finde die klare Sprache, die klare Haltung und die Streitbarkeit von Buschkowsky unheimlich gut, auch wenn ich nicht immer seine Postionen teile. Er hat viel in Neukölln bewegt, er hat den Bezirk auf die bundespolitische Agenda gesetzt.
Man könnte sagen, er hat Neukölln mit seinen Talkshowauftritten in Verruf gebracht.
In Neukölln ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Buschkowsky hat Missstände klar benannt, aber auch Lösungen angeboten, das fand ich gut. Was ich an Franziska Giffey schätze, ist ihre Herzlichkeit, ihre Bürgernähe. Wenn ich es mir herauspicken könnte, wären das die Eigenschaften, die ich gerne mitnehmen wollte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml