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Bürgerkrieg in SyrienTürkei schlägt wegen Aleppo Alarm

Berichten zufolge haben die Rebellen Aleppo aufgegeben. Sollten sie die Stadt tatsächlich verlieren, wäre dies für die Regierung in Ankara ein Desaster.

Aleppo: nach monatelangen Kämpfen eine zerstörte Stadt. Bild: reuters

ISTANBUL taz | Rund um Damaskus und im Süden des Landes haben die syrischen Rebellen in jüngster Zeit mehrere Siege errungen und etliche Städte unter ihre Kontrolle gebracht. In Aleppo, der zweitgrößten Stadt, drohen sie den Kampf jedoch zu verlieren. Das wäre nicht nur für die Aufständischen ein Debakel, für die Aleppo das Symbol im Kampf gegen Assad ist, sondern auch für die Türkei.

Die Freie Syrische Armee (FSA), der Zusammenschluss von sogenannten gemäßigten Rebellengruppen, habe den Widerstand in Aleppo aufgegeben, berichtete die türkische Tageszeitung Radikal am Dienstag. Rund 14.000 FSA-Kämpfer seien in den letzten beiden Wochen in die Türkei geflohen, so das Blatt unter Berufung auf türkische Sicherheitskreise. Ihr Kommandant, Jamal Maaruf, sei ebenfalls in die Türkei geflohen.

Dass sich in den vergangenen Wochen Hunderte von Rebellen in die Türkei abgesetzt haben, bestätigten auch syrische Kämpfer und Aktivisten. Allerdings kamen diese vor allem aus der Provinz Idlib, die nördlich von Aleppo liegt. Dort hatten Maarufs „Syrische Revolutionäre Front“ und die Hazm-Bewegung, die vom Westen unterstützt wird, Anfang November den Kampf gegen die Nusra-Front, den syrischen Ableger von al-Qaida, verloren.

Laut Radikal hat die FSA inzwischen auch die Kontrolle über den Grenzübergang Bab al-Hawa nahe der türkischen Grenzstadt Reyhanli verloren. Dieser soll sich inzwischen in den Händen eines von der salafistischen Ahrar al-Scham angeführten Bündnisses befinden. Ahrar al-Scham hat dies indirekt bestätigt. Der Konflikt mit der „Islamischen Armee“, die die Grenze bis dahin kontrolliert hatte, sei beigelegt, erklärten die Salafisten am Montag. Mehrere „revolutionäre Fraktionen“ würden ihn jetzt gemeinsam kontrollieren.

Verstrickt in einem Mehrfrontenkrieg

Damit setzt sich eine Entwicklung fort, die Rebellen und syrische Opposition seit Beginn der US-geführten Luftangriffe auf den Islamischen Staat (IS) kritisieren: Sie verstricken sich in einen Mehrfrontenkrieg und verlieren gegenüber den Extremisten an Boden. Sollte die syrische Armee Aleppo erobern, rechne Ankara mit weiteren zwei Millionen Flüchtlingen, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu.

Abgesehen von den humanitären Belastungen wäre eine Niederlage in Aleppo für Ankara vor allem ein politisches Desaster. Damit wäre nicht nur die von der Regierung geforderte Einrichtung einer Flugverbotszone oder einer Schutzzone in Nordsyrien vom Tisch. Auch die von Ankara gehegte Idee, in Aleppo eine Gegenregierung zu etablieren, hätte sich erledigt.

Für Ankara ist das Ziel weiter der Sturz von Assad. Es sei eine Illusion zu glauben, der IS werde geschwächt, ohne gleichzeitig gegen das Assad-Regime vorzugehen, schrieb Präsidentenberater Ibrahim Kalin in einem Debattenbeitrag. Aleppo sei ein Beispiel für die „unheilige Allianz“ zwischen beiden. Aufgegeben haben die Rebellen Aleppo aber entgegen der Medienberichte nicht. Mehrere Gruppierungen sind ein Bündnis eingegangen. Von einem Sieg über Assad sprechen aber auch sie nicht mehr.

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5 Kommentare

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  • (...) Wer einmal ein Abenteuer erleben möchte, so stelle er/sie sich dort, im nächsten Türkei-Urlaub, auf eine belebte Kreuzung/Basar und er/sie halte dort einfach einmal ein Schild in die Höhe, auf dem dann in türkischer Sprache an den Völkermord an den Armeniern erinnert, dieser angemahnt bzw. als solcher auch thematisiert wird. ;D

  • @Jens Frisch

    Und weil Du damit gar nicht so falsch liegst, erklärt es, warum der in einen gerichtlich als solchen festgestellten illegal gebauten Palast, also in den "Palast, der tausend illegalen Zimmer" gezogen ist, eben weil diesem angehenden "Islamfaschisten" einfach völlig egal ist, was "irdische" Richter und Gesetzte alles so erzählen. Da jedoch Imperatoren stets auch einen Hang zu reger Bautätigkeit zeigen, bekommt jetzt auch jede Uni/Hochschule eine neue Moschee, ob die sie nun dort wollen, oder eben auch nicht, ficht den großmäuligen, heuchlerischen, so wie verlogenen "Großmogul" doch nicht an. Und immer wenn man denkt, was soll jetzt schon noch kommen, wird es stets noch grotesker. Aktuelles Beispiel sind die türkischen Geschichtsbücher bzw. der Lehrplan, der aussagt, was zur türkisch-osmanischen Geschichte zu zählen ist, oder, so wie der VÖLKERMORD an den Armeniern, sich dort eben nicht wiederzufinden hat. "Wiederfinden" soll sich nun jedenfalls, nach dem Fundamentalistenwillen Erdogans, dass die Osmanen bzw. weit wichtiger, dass es Muslime gewesen wären, die einst Amerika entdeck hätten.

    Hahahaha ... mal davon, dass ja von Entdecken keine Rede sein kann, und er dabei ohne es zu merken die gleiche Überheblichkeit in der Sichtweise der westlichen Welt, auf die angeblich primitiven wilden Völkern, gegenüber den "ungläubigen unzivilisierten barbarischen Stämmen", einnimmt, denn auch zu der angenommenen Zeit gab es doch dort schon Menschen, die diesen Kontinent bewohnten, bei denen es sich folgerichtig doch wohl um die Nachfahren der eigentlich ursprünglichen "Entdecker" handeln dürfte. Trotzdem, diese "Idee" bleibt eine erbärmlich-verrückte, dem Größenwahn, einer Selbstverliebtheit und gefährlichen übersteigerten Nationalismen geschuldete Nummer.

  • Die Türkei als maßgeblicher Kriegstreiber - Stichwort "false flag" Aktion vor einigen Monaten und Unterstützung der IS Terroristen - sollte, kurz gesagt, einfach nur die Fresse halten und irgendwie versuchen, den Islamofaschisten Erdogan ("Es gibt nur einen Islam!") los zu werden, bevor der größenwahnsinnige Kriegshetzer das Land in den (Bürger-) Krieg stürzt, um seine Osmanischen Großmachtsphantasien wahr werden zu lassen.

  • Die Türkei sollte sich um Ihre eigenen nationalen Probleme sorgen, nicht was da alles glänzt ist Gold. Was das für ein Bündnis zwischen Baathisten(Assad) und ISIS ist, sollten wir doch schon aus dem IRAK kennen. arabischer Nationalismus gepaart mit Fundematalismus.

     

    Ich weiß nicht, was da die Türkei noch zu suchen hat. Die Handgranate würde ich schnell wegwerfen, bevor sie in deren Händen in die Luft geht.

  • D
    D.J.

    Ich kenne Aleppo ganz gut, war dreimal dort. Eine bunte, faszinierende, manchmal etwas nervige Stadt. Im christlichen Viertel leben oder genauer gesagt lebten auch sehr viele Armenier und Aramäer, deren Vorfahren den Genozid von 1915/17 überlebt hatten und dorthin geflohen waren.

    Sunniten, Schiiten, Christen aller möglichen Konfessionen, selbst eine kleine jüdische Gemeinde (die Überlebenden eines Pogroms von 1947) lebten dort.

    Geschichte. Auch (nicht nur) durch die Dummheit des Westens.