Bürger intervenieren gegen Bürgerprojekt: Streit um Park Fiction
Park Fiction ist ein künstlerisches Nachbarschaftsprojekt in St. Pauli. Nun droht es zu scheitern, weil Anwohner zur Ordnung rufen.
Direkt an der Hafenkante, mit Blick auf die Werft von Blohm+Voss, ist 2005 eine Art Wohnzimmer des Viertels eröffnet worden. Hier gibt es eine runde Insel mit Blechpalmen, einen fliegenden Teppich aus Rasen, einen Hundegarten, ein Holzdeck und ein Tartanfeld, auf dem Basketball gespielt wird. Das Ganze liegt auf dem Dach einer Schulsporthalle und strahlt auch auf den benachbarten Kirchgarten aus, wo es jetzt Mieterbeete gibt und ein Boulefeld.
All das entstand mit Hilfe eines monatelangen Beteiligungsprozesses, bei dem die Leute aus der Nachbarschaft – vom Kind bis zum Greis – mit Hilfe von Pappe, Stift und Knete ihre Phantasie spielen lassen konnten. Das Projekt Park Fiction, das dessen Schöpfer Christoph Schäfer und Margit Czenki 2002 auf der Kasseler Documenta ausstellten, machte Schule. Auch das Quartier anstelle der berühmten Esso-Tankstelle auf der Reeperbahn wurde so entwickelt.
Doch aus Sicht der Anwohnerinitiative „Lärm im Park“ hat sich die gute Idee zu einem Alptraum entwickelt. „Aus dem Ort zum Seele baumeln lassen ist ein Ort der Gewalt, des Exzesses und der totalen Rücksichtslosigkeit geworden“, zitiert die Hamburger Morgenpost eine Anwohnerin. Wer auf die Straße gehe und um Ruhe bitte, riskiere „aufs Maul zu kriegen“, wird ein weiterer Anwohner zitiert.
Park-Fiction-Komitee
Auf Anregung der Initiative beantragte die Bezirksversammlung Altona beim Senat „sozial- und ordnungspolitische Maßnahmen gegen Partylärm und offene Drogenszene“ am „Brennpunkt Park Fiction“. Leider habe sich dort eine ungute Szene entwickelt, heißt es in dem Antrag von CDU und Grünen: „Gruppen von Touristen mischen sich dort mit Partyvolk und Drogenabhängigen.“ Der Park werde rund um die Uhr genutzt, Nacht für Nacht werde bis zum Morgen gefeiert – und irgendwann die kostenlose öffentliche Toilette nicht mehr benutzt.
Der Bezirk forderte deshalb, die Reinigungsintervalle zu verdoppeln, einen Sozialarbeiter für Park Fiction abzustellen, Hinweisschilder mit Verhaltensregeln aufzustellen und die Polizei um Kontrollen zu bitten. Für eine häufigere Reinigung gebe es kein Geld, teilte der Senat mit, und es gebe bereits genug Straßensozialarbeiter im Viertel, die sich um Drogenkranke kümmerten.
Die starke Präsenz der Polizei ist einem anderen Teil der Anwohner schon jetzt zu viel. Sie werfen ihr Racial Profiling vor: Beim Versuch, den Drogenhandel zu unterbinden, greift die Polizei regelmäßig junge Männer mit dunkler Hautfarbe auf.
Das Park-Fiction-Komitee sieht das ähnlich. Die Bestreifung durch die Polizei habe seit 2016 ein erschreckendes Niveau erreicht, heißt es in einer Stellungnahme an die Bezirksversammlung. „Die absurde Einsatzdichte hat die Lebensqualität für Schwarze Menschen in St. Pauli extrem verschlechtert.“
Dabei setze die Polizei die falschen Prioritäten: „Während tags und abends zu viel Polizei im Park ist, kommt sie anscheinend im akuten Bedarfsfall nicht“, dann nämlich, wenn sie gegen eine sowieso verbotene Ruhestörung einschreiten sollte.
Selbermachen vs. staatliche Intervention
Doch die Kritik des Komitees ist grundsätzlicherer Art: Die staatliche Intervention schwäche die selbst organisierte Problembewältigung, die „trotz der Nähe zum rauhen Pflaster der Reeperbahn“ noch erstaunlich gut funktioniere. „Konnten in der Nachbarschaft früher umfassende Beschränkungen der Zeiten und Orte des Handels abgesprochen werden, ist dies mit der steigenden Polizeipräsenz schwieriger geworden.“
Dabei sei ja die informelle Kultur des Selbermachens „der eigentliche Kern von Park Fiction, als politisches Projekt, als Planungsprozess und als Alltagskultur“. Das Funktionieren dieser Kultur sei immer fragil und seit einiger Zeit gefährdet. Doch statt Abhilfe zu schaffen, attackiere der Bezirk mit seinen ordnungspolitischen Forderungen nach Verbotsschildern und „Sozialarbeit für die nicht vorhandenen Drogenabhängigen“ gerade die selbstorganisierte Kultur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe