Bücher über Väter und Care-Arbeit: Gutes Geld, gute Papas
In der Zukunft ist die geschlechtliche Arbeitsteilung abgeschafft und Droiden übernehmen die Care-Arbeit – das wäre jedenfalls fairer als die Gegenwart.
Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.“ So viel Tradition – wir sind schließlich „christlich-abendländisch geprägt mit jüdisch-humanistischen Wurzeln“ (Markus Söder) – muss sein, wenn wir uns mit einem Buch der Anthropologin Anna Machin beschäftigen wollen, das den Untertitel trägt „Die Entstehung des modernen Vaters“.
Aber bevor wir uns in die Seiten vertiefen, erinnern wir kurz an einen Julimorgen vor drei Jahren, als gestohlene und mit Sprengstoff gefüllte Militärfahrzeuge in der Provinz Helmand in einen Außenposten der afghanischen Armee eindrangen und explodierten. Unter den Selbstmordattentätern befand sich auch der Sohn des Taliban-Chefs Mawlawi Haibatullah Akhundzada. Die Taliban zögerten nicht, diesen Tod propagandistisch auszuschlachten, auch gerade in der Betonung des Gegensatzes zum väterlichen Verhalten des amtierenden afghanischen Präsidenten, der seinen Sohn dem Kriegsgeschehen entzogen und zum Studium in die USA geschickt hatte.
Wir „westlichen Väter“, wie Anna Machin uns immer wieder anspricht, würden wohl nicht zögern, den afghanischen Präsidenten zu loben, der die sorgende Vaterrolle über den Dienst am Vaterland stellt und seinen Sohn nicht auf dem Altar des Widerstands opfert. Ob eine Gesellschaft oder Gemeinschaft allerdings ganz ohne Opfer funktionieren kann, ist eine durchaus umstrittene Frage: Wenn es richtig ist, dass Menschen für andere Menschen am Anfang und am Ende ihres Lebens sowie mittendrin, wenn etwa ein sogenannter Unfall geschieht, bedingungslos da sein müssen, dann müssen die Kümmernden, welche die „Care-Arbeit“ leisten, ihre eigenen Bedürfnisse zumindest zeitweise, aber möglicherweise radikal zurückstellen.
Wir wissen, schreibt Machin, „dass eine sichere Bindung zwischen Vater und Kind für eine gesunde Entwicklung ausschlaggebend ist. Diese Bindung ist vor allem in den ersten 1.000 Tagen entscheidend, weil sie mit einer Zeit der rasanten Gehirnentwicklung zusammenfällt.“ Der Vater also, der in diesen 1.000 Tagen Dringenderes glaubt zu tun zu haben, als sich bedingungslos um die liebevolle Hirnentwicklung seines Kindes zu kümmern, macht mehr als einen entscheidenden Fehler – er begeht letztlich ein Verbrechen: Da es bei der von ihm zu verantwortenden Vernachlässigung nicht um ihn selbst, sondern um ein anderes Wesen geht, das der Vater möglicherweise noch dazu bewusst mit in die Welt gesetzt hat, um es dann im evolutionär entscheidenden Moment im Stich zu lassen.
Die 1.000 Tage
Es ist klar, dass ein Buch mit dem Titel „Papa werden“ („The life of Dad. The Making of the Modern Father“), das ja seine Kundschaft finden und weiterempfohlen werden will, nicht als letzten Schluss für den „westlichen Vater“ ein apodiktisches ‚Sei die ersten 1.000 Tage da‘ durchhalten kann. Deswegen schreibt Machin nebenbei an anderer Stelle: „unser Schicksal ist bei unserer Geburt nicht in Stein gemeißelt, es wird nicht in den ersten 1.000 Tagen entschieden“. Puh, nochmal Glück gehabt – und vor allem auch du, meine Tochter, mein Sohn!
Es sind aber nicht nur solche unaufgelösten Widersprüche, die einen bei der Lektüre zunehmend missgelaunt stimmen, und auch nicht die penetrant-verhätschelnde Papa-Ansprache. Mich hat dieses Buch, in dem ohne Anmerkungsapparat Dutzende von Vaterstudien zitiert werden, aus einem anderen Grund traurig gemacht.
Im Zuge der Coronapandemie war es in letzter Zeit immerhin öfter im Blick: Für die Erforschung von Krankheiten wie Malaria und Tuberkulose, an denen jährlich Millionen von Menschen sterben, wird praktisch überhaupt kein Geld ausgegeben – schlicht deswegen, weil die von diesen Krankheiten betroffenen Menschen arm sind. Gleichzeitig, war kürzlich etwa in der taz zu lesen, wird die Entwicklung von Medikamenten begünstigt, die wenig therapeutischen Sinn haben, solange es eine kaufkräftige Kundschaft gibt, die an ihnen interessiert ist. Nach diesem Prinzip funktioniert die gesamte ‚Ich-bin-zu-dick-Industrie‘, die eine Krankheit – Adipositas – erfindet, um sie anschließend teuer behandeln zu können.
Wenn nun eine Forschergruppe in einer der von Machinangeführten Studien 263 Väter nach dem siebten Geburtstag ihrer Kinder ein Jahr begleitet, um herauszufinden, wie die einzelnen Väter das Verhalten ihrer Kinder wahrnehmen und wie das mit ihrem Verhalten als Väter und dem Zusammenhalt der Familie am Ende des Jahres korreliert; und wenn am Ende wie bei den meisten der angeführten Studien so was herauskommt wie ‚Ist der Vater gesund, muss nicht zu viel arbeiten und hat trotzdem genug Geld, freut sich das Kind‘ – dann darf man schon fragen, wem eigentlich hier was aus welchen Gründen und mit welchen Mitteln als zu erforschendes und tendenziell zu therapierendes Problem vermittelt werden soll.
Vor allem weil die Autorin durchaus im Blick hat, dass Vatersein weniger ein anthropologisches als ein materielles Problem ist: „Wenn es Vaterschaftsurlaub gibt und er angemessen finanziert wird, beansprucht ihn die überwältigende Mehrheit der Väter auch“– und zwar egal ob westlich oder östlich, schwarz oder weiß, hetero oder schwul.
Equal Care
Aber natürlich – die oben schon erwähnte „Care-Arbeit“ beginnt nicht mit Geburt und endet nicht mit ein paar Wochen oder Monaten aktiver, unbedingter Vaterschaftszeit (hier mal statt: „Vaterschaftsurlaub“). Was wir Fortschrittlichen immer anstreben, ist „Equal Care“, so der Titel eines gerade im Berliner Verbrecher Verlags erschienen Bandes. „Care-Arbeit“, betont das Autorenpaar Almut Schnerring und Sascha Verlan, ist „unverzichtbar“, „unverschiebbar“, sie ist „im Grunde das Zentrum allen Wirtschaftens“, denn es geht bei ihr „ums tatsächliche Überleben“.
Wenn nun solch in jüngster Zeit als „systemrelevant“ gekennzeichnete Arbeit nicht entsprechend gewürdigt, vergütet und tatsächlich eben überhaupt nicht allen im Gemeinwesen in gleicher Weise zur Verfügung gestellt wird: dann bedeutet das, dass das „tatsächliche Überleben“ aller eben nicht a priori gesetzt ist. Faktisch wird auch in einem reichen Land wie Deutschland täglich priorisiert, wer wie weiterleben, wer sich wie entwickeln darf.
Anna Machin: „Papa werden. Die Entstehung des modernen Vaters“. Verlag Antje Kunstmann, München 2020
Almut Schnerring und Sascha Verlan: „Equal Care: Über Fürsorge und Gesellschaft“. Verbrecher Verlag, Berlin 2020
Care-Arbeit werde im Kapitalismus systematisch abgewertet, schreiben Schnerring/Verlan, weil sie sich technisch nicht beschleunigen, sondern nur in möglichst billiger Lohnarbeit erledigen lasse, die dann gern ausgelagert wird auf den Taschengeld-Teenager oder die ausländische Pflegekraft, die in ihrem eigenen Zuhause wiederum fehlt, möglicherweise sogar die ersten 1.000 Tage nach Geburt ihres oder seines eigenen Kindes oder in den letzten, pflegeintensiven Wochen eines Elternteils – die brutale Seite der globalen Betreuungskette.
In ihrem nicht zuletzt an guten Fragen reichen Buch lassen Schnerring/Verlan keinen Zweifel aufkommen, dass die „geschlechtliche Arbeitsteilung“ auch im rhetorisch gesofteten Kapitalismus strukturell beinhart abgesichert bleibt. Die Frauen kümmern sich praktisch um alles und verdienen wenig, die Männer verstecken sich hinter ihrem Mehr-Verdienen und sterben dafür früher.
IG-11
Seit ich in der Star-Wars-Serie „The Mandalorian“ den vom mörderischen Kopfgeldjäger zum väterlichen Pflegedroiden umprogrammierten Kampfroboter IG-11 kennengelernt habe, bin ich weniger skeptisch als das Autorenpaar, was den Einsatz von Care-Robotern angeht, aber klar, wir sind noch nicht so weit: Wir müssen weiter fordern, und jeder Cent mehr Geld für Eltern ist mehr wert als alles abgestandene Gelaber, was einen Mann oder eine Frau „natürlich“ ausmacht.
Und dann können wir uns manchmal auch zurücklehnen und über das Lied „Story of Isaac“ von Leonhard Cohen nachdenken. Wir werden, wie Cohen so großartig singt, von keinem Gott mehr in Versuchung geführt, unser Kind auf seinem Altar zu opfern. Aber das Problem der Selbstverwirklichung und was wir ihr opfern wollen, das Problem der Altare, die wir selber bauen, ist damit, genau, nicht vom Tisch. Equal Care ist die richtige, linke Idee, aber dem Begriff Care bleibt eine tragische, tendenziell konservative und ich-feindliche Dimension anhängen, die für fortschrittliches Denken und Handeln herausfordernd bleibt.
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