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Bücher für RandgruppenAus dem Fangnetz gezogen

■ Wissenswertes über Europa-Kennzeichen und gekachelte Vögel

Kurz bevor die Euro-Norm eingeführt wird (vorne weißes Schild mit schwarzer Schrift, hinten gelb mit schwarz) erscheint das Buch „Autokennzeichen in Europa“. Ein kleines, praktisches, wenngleich recht nutzloses Handbuch, welches bis auf eine Ausnahme – nämlich dem kennzeichenzerstrittenen und daher -losen Albanien – die Kfz-Zeichen Europas entschlüsselt. Wer hätte je gedacht, daß der Kennzeichenschlüssel S.M.O.M. keine Abkürzung für einen obskuren SM-Klub ist, sondern für den staatsfreien Malteserorden steht? AND steht für Andorra und MC für Monaco. Aber was sind RSM, LV oder FL? Antwort darauf und Wissenswertes über das jeweilige Land erfahren wir aus diesem Kompaß: Die Einwohnerzahl des Vatikanstaates beträgt 450, davon genießen leider nur 150 das Bürgerrecht, und es gibt 150 Autos. Zufall oder Absicht? Das Papamobil hat das Kennzeichen S.C.V.6 (Im Volksmund: Se Christo vedesse = wenn Christus das sähe). Es wird Lateinisch und Italienisch gesprochen, wobei mit Sicherheit hin und wieder auch ein paar Brocken Polnisch fallen, was das Buch allerdings nicht erwähnt.

Ungewöhnliche Aufnahmen aller europäischen Vögel (1.300 Arten) in Bild und Text verspricht „Der große Kosmos-Naturführer“. Unbedingt sind ein Gutteil der Aufnahmen ungewöhnlich zu nennen: Die bodenständigen Fotografien mancher Greifvogelarten im Flug lassen gleichsam gekachelte Seiten in unterschiedlichsten Blautönen entstehen. Daneben gibt es auch Fotos von Vogelberingern, die die behenden und schwer zu fotografierenden Grasmücken-, Sänger- und Spötterarten augenscheinlich gerade aus dem Fangnetz gezogen haben und sie nun für ein Porträt mit ihren Wurstfingern an den dünnen Beinchen festhalten. Da tröstet auch nicht die Seltenheit einer Aufnahme der äußerst scheuen Erddrossel (Zoothera dauma) auf dem Hochglanzpapier.

Trotz des Anspruchs auf Vollständigkeit weist die aktuelle, 1998 redigierte Auflage zahlreiche Fehler und Lücken auf. Beschränken wir uns nur mal auf Island. So ist auf den Verbreitungslandkarten der Hausspatz (Passer domesticus) noch nicht auf der europäischen Vulkaninsel angekommen. Tatsächlich aber existierte bereits zwischen 1971 und 1980 eine kleine Spatzenkolonie im Ort Borgarfjördur eystri (224 Einwohner), die jedoch in den Silvestertagen 1980/81 von der Katze des Leuchtturmwärters vertilgt wurde. Die isländische Tageszeitung Morgunbladid berichtete erst kürzlich über dieses Massaker und verband das mit der Hoffnung auf ein langes Überleben der neuen Spatzenkolonie: Seit 1985 brüten regelmäßig und erfolgreich zwischen vier und acht Spatzenpaare um die katzenlose Farm Hof nahe der Öraefiwüste im Süden des Landes. Die Spatzen sind übrigens – genau wie die Menschen vor tausend Jahren – mit dem Schiff auf das Eiland gekommen, so Morgunbladid. Allerdings nicht zielbewußt, sondern eher erschöpft und zufällig.

Auch ausgestorbene europäische Vögel wie der 1844 vor der Südküste Islands ausgerottete Riesenbrillenalk (pinguinus impennis) finden im Nachschlagewerk keinerlei Erwähnung. Vom überaus seltenen Waldrapp (Geronticus eremita), der noch im 16. Jahrhundert in Süddeutschland brütete, heute nur noch in einer Kolonie in der Türkei und sehr wenigen Kolonien in Marokko existiert, gibt es im großen Vogel-Naturführer kein Foto, sondern nur eine hutzelige, steife Zeichnung. Dabei fleucht und kreucht im Berliner Zoo eine kleine Kolonie dieser Ibisart herum. Leicht also hätte man die fotogenen Tiere ablichten können. Ein preisgünstiges, aber irgendwie uninspiriertes Vogelbuch. Wolfgang Müller

„Autokennzeichen in Europa“. Gräfe und Unzer, 9,80 DM

„Der große Kosmos-Naturführer Vögel“. 29,95 DM

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